An der HochschuleSo bereiten sich Rettungskräfte in Sankt Augustin auf einen Ernstfall bei der Fußball-EM vor

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Gemeinschaftlich bauen die Ehrenamtlichen ein Behandlungszelt auf.

Gemeinschaftlich bauen die Ehrenamtlichen ein Behandlungszelt auf.

130 Ehrenamtliche und der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes, Christian Diepenseifen, probten die Abläufe für einen Großeinsatz.

Weniger als zwei Monate sind es bis zum Start der Fußballeuropameisterschaft. Gleich vier Spielorte liegen in Nordrhein-Westfalen, wohin hunderttausende Fans anreisen werden. Wenn es gut läuft, wird das Turnier ein Fußballmärchen.

Sollte es aber zu einem Zwischenfall kommen, sind möglicherweise viele Verletzte auf einmal zu betreuen. Auch die Rettungskräfte bereiten sich auf die EM vor. Am Samstag übten sie am Parkplatz der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg den Aufbau eines Behandlungsplatzes.

130 Ehrenamtliche bauten in Sankt Augustin Versorgungszelte auf

Dutzende Fahrzeuge des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und des Malteser Hilfsdiensts fuhren am Vormittag vom Aldi-Zentrallager in Sankt Augustin in zwei Kolonnen zur Grantham-Allee. Binnen kürzester Zeit entstand dort ein Zeltlager, emsig liefen die 130 Ehrenamtlichen umher, schleppten Kisten und Taschen, schoben Stromgeneratoren und errichteten eine Verpflegungsstation.

Ein spezielles Einsatzszenario gab es nicht, doch die Helferinnen und Helfer bereiteten sich in ihrer Übung auf sehr viele Verletzte vor. Christian Diepenseifen, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst und damit quasi der oberste Notarzt im Rhein-Sieg-Kreis, erklärte das Konzept der Aufstellübung des „Behandlungsplatz 50“.

„Das ist ein NRW-weites Konzept der überörtlichen Hilfe, bei dem sich die Gebietskörperschaften gegenseitig helfen. Besonders relevant wird das bei der Fußballeuropameisterschaft, aber auch anderen Ereignissen.“ Das bedeutet: Sollte während der Europameisterschaft ein Unglück mit vielen Betroffenen und Schwerverletzten passieren, kommen Rettungskräfte aus anderen Städten und Kreisen hinzu. Sie sammeln sich an einem vorher festgelegten Platz, werden registriert und fahren gemeinsam zum Einsatzort. Dort bauen sie ihre Zelte auf, in denen die Verletzten gesichtet und behandelt werden.

Vorbereitung auf die EM: Retter übten auch für Großschadenslagen in ganz NRW

All das braucht natürlich seine Zeit, die im Fall von Großschadenslagen aber eingeplant werde, erklärte Diepenseifen. „Das sind keine Konzepte, die innerhalb des Rhein-Sieg-Kreises zum Tragen kommen. Es geht darum, in andere Städte zu fahren, wenn es dort ein Unglück mit sehr vielen Verletzten gegeben hat.“ Doch eine Anfahrt mit 40 Fahrzeugen und bis zu 150 Einsatzkräften sei nur zu bewerkstelligen, wenn man sie vorher übe. „So können wir Defizite erkennen und daraus Lehren ziehen.“

„Behandlungsplatz 50“ bedeute, so Diepenseifen, dass innerhalb einer Stunde ab Eintreffen ein Behandlungsplatz für 50 Betroffene aufgebaut werde. „Die Krankenhäuser sind im Katastrophenfall überlastet, manche Verletzte begeben sich selbst dort hin oder werden unregistriert eingeliefert.“ Deswegen würden sie gesichtet. „Das bedeutet, dass ein Arzt entscheidet, wer zuerst behandelt werden muss. Dabei achten wir auf Vitalwerte, innere und äußere Blutungen oder Kopfverletzungen. Das dauert ein bis zwei Minuten pro Patient und ist wichtig für die Behandlung vor dem Transport ins Krankenhaus“, so Diepenseifen.

Mehrere Männer in Einsatzkleidung stehen vor einer Drohne, die einer von ihnen per Fernsteuerung bedient.

Auch eine Drohne gehört zur Kommunikationseinheit der Rettungkräfte.

Behandelt wird nach der Triage: Verletzte bekämen einen Zettel mit einer grünen, gelben, oder roten Karte umgehängt. Als rot eingestufte Menschen schweben in Lebensgefahr und müssen sofort behandelt werden. Gelb steht für schwere Verletzungen, die aber nicht akut lebensbedrohlich sind. Grün Eingestufte sind leicht oder gar nicht verletzt. Entsprechende Fahnen markieren die Zelte.

Die Fußball-EM ist aber nur einer von vielen Anlässen, bei denen die Retterinnen und Retter aus Rhein-Sieg zum Einsatz kommen könnten. „Wir halten diese Konzepte rund um die Uhr bereit, deswegen müssen wir sie regelmäßig üben. Nichts ist schlimmer, als wenn das Wissen einrostet“, sagt Diepenseifen.

Übung in Sankt Augustin: Auch die Verpflegung der Einsatzkräfte gehört dazu

„Eine derartige Katastrophe, die die Anfahrt derart vieler Rettungskräfte erforderlich macht, hat es in NRW noch nicht gegeben“, betont er. Das Loveparade-Unglück 2010 in Duisburg, bei dem 21 Menschen in einer Menschenmasse starben, könne man nicht mitzählen. „Da waren die Rettungskräfte aufgrund der Großveranstaltung bereits vor Ort.“

Wenn hunderte Rettungskräfte zusammenkommen, bekommen diese irgendwann Hunger. Im Rettungswesen gibt es dafür eine spezielle Verpflegungseinheit, die an diesem Samstag ebenfalls an der Übung in Sankt Augustin teilnahm. Der DRK-Ortsverband Bad Honnef hat dafür einen ausrangierten Rettungswagen umgebaut. 

Ein Mann steht vor den geöffneten Türen eines Rettungswagens.

Jens Koelzer vor dem Verpflegungswagen, der mal ein Rettungswagen war, nun aber statt Menschen Würstchen und Schnitzel transportiert.

„Das Fahrzeug führt einen Kühlanhänger mit. Das Essen bereiten wir am Standort in Bad Honnef zu. Mit zwei Leuten vor Ort können wir 150 Kräfte versorgen“, sagte Jens Koelzer, Kreisbereichsleiter aller ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer..Neben Brötchen und Getränken gebe es auf dem Blaulicht-Foodtruck Schokoriegel und Würstchen.

„Da wir Einsätze meistens nicht planen können, halten wir immer Verpflegung für 1000 Menschen vor. Das sind meist Konserven, die Schnitzel zum Beispiel waren tiefgefroren. Die Lebensmittel halten sechs Jahre, meistens gibt es immer vorher einen Großeinsatz, wo sie verbraucht werden“, sagte Koelzer. „Ob es zehn Personen sind oder 2000, macht vom Aufwand her keinen Unterschied, nur die Menge ist größer.“ Für viele Ehrenamtliche, die zum Teil im Rettungsdienst arbeiteten, sei diese Arbeit ein Ausgleich.

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