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Leverkusener GeschichteWiesdorf ist die Stadt vom Reißbrett

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1977 wird das neue Rathaus eröffnet.

Leverkusen – Wiesdorf war ursprünglich ein Fischerdorf, ebenso wie Hitdorf und Rheindorf – die Lage am Fluss als wesentlicher Transportweg war für die erste Ansied-lung im Mittelalter wichtig. Als sich die Einzelhöfe verbinden, bildet sich die Hauptstraße unweit der Kirche St. Antonius. Doch im Jahre 1861, als Carl Leverkus zuzieht und sein Werk an der Grenze zu Flittard aufbaut, verlagert sich das Zentrum und mehr Menschen kommen nach Wiesdorf, um hier zu arbeiten.

Dreißig Jahre später, 1891, übernimmt die „Farbenfabrik Bayer“ und Carl Duisberg plant das heutige Bayerwerk. „Im Grunde gibt Bayer von hier an das Tempo vor“, kommentiert Michael Gutbier vom Oplade-ner Geschichtsverein (OGV) die Entwicklung. Es entstehen Kolonien für die Arbeiter und leitenden Angestellten. Und in den Raum, der sich zwischen Werk, Arbeitersiedlung und Dorf öffnet, werden das Bayer-Kaufhaus und das Erholungshaus gesetzt.

Der Bahnhof Wiesdorf-Leverkusen sorgt ab 1914 für eine Anbindung Wiesdorfs und des Werks parallel zur direkten Anbindung vom Bahnhof Mülheim. An der heutigen Bundesstraße 8, die nach Opladen führt, siedeln sich Schule, im Jahr 1904 die evangelische Christuskirche und das 1908 errichtete neue Rathaus an.

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Ein urbanes Zentrum entsteht zwischen Rathaus und Rhein. „In den 1920ern und 30ern wird dann der Ausbau des Stadtzentrums geplant“, berichtet Gutbier. „So wird unter anderem 1929 die katholische Herz-Jesu-Kirche (heute Citykirche) errichtet. Doch wegen der Kriege kommt es zu keiner zusammenhängenden Planung und Realisierung.“ Die evangelische Christuskirche wird 1944 bei einem Luftangriff stark zerstört.

Neue Wohnungen entstehen

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstehen zunächst Wohnungen für die Kriegsvertriebenen, neue Stadtteile wachsen hinzu. Doch die Stadt soll für die Bayer-Arbeiter ansprechender gestaltet werden. „Erst in den 60ern gibt es dann eine Planung vom Reißbrett.“ Die Folge: „Leverkusen hat alles – aber es fehlt das Herz.“ Die Stadt, benannt nach dem prägenden Industriellen, will so modern sein wie Köln. Zunächst ist die neue Großstadt sogar grandioser als die Nachbarstadt, von überall her kommen die Menschen zum Einkaufen nach Wiesdorf. Ende der Sechziger entstehen der Busbahnhof Wiesdorf, die „City C“ und „City A“. Das Zentrum liegt nun an der Hauptstraße, die heute ab der Herz-Jesu-Kirche bis zum Rathaus Wiesdorfer Platz heißt.

Das erste Rathaus wird 1972 abgerissen, um dem 1977 erbauten, fünfstöckigen grünen Gebäude zu weichen. Mit diesem zieht eine Landschaft aus Beton und Wasserbecken ein. Der in Wiesdorf aufgewachsene Anwalt und CDU-Vorsitzende Frank Schönberger erzählt begeistert vom dort errichteten Kunstwerk Aquamobil, dessen Klappen immer neue Tonfolgen erzeugten. „Ganz am Anfang gab es auch Bötchen, mit denen die Kinder über das Wasser fahren konnten“, berichtet er.

Schönberger erinnert sich an Vieles aus der Kindheit in Wiesdorf. So zum Beispiel an das Stadthaus, das mit einem Paternoster aufwarten konnte und zur Errichtung der Rathaus-Galerie 2008 gemeinsam mit dem grünen Rathaus und dem Bayer-Kaufhaus abgerissen wurde. Im früheren Hertie ist heute Peek & Cloppenburg neben TK Max, anstelle des ersten Rathauses die City B, in der auch die Redaktion des „Leverkusener Anzeiger“ ihren Sitz hat.

Schönberger erzählt zudem von einer riesigen Fläche neben dem Bayer-Kaufhaus, auf der mehrmals im Jahr Kirmes abgehalten wurde. „Später wurde das dann eine tiefe Baugrube, in der ich immer mit dem Fahrrad die Böschung runtergefahren bin.“ Schönberger lächelt. „Bis in die 60er war eine Wiese vor der City C. Das Forum war ein Bauernhof. Das war’s, mehr war da nicht.“

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Besonders anschaulich berichtet der „Dorfanwalt“, wie er sich selbst nennt, vom inhaber-geführten Einzelhandel. „Am ehemaligen Marktplatz, an der Ecke Dönhoff- und Breidenbachstraße, gab es ein großes Kurzwarengeschäft. An einer Schubladenwand waren Knöpfe befestigt – das hat mich als Kind fasziniert.“ Auch erinnert er sich an den freundlichen Besitzer der wohlduftenden Kaffeerösterei, in der seine Großmütter und Eltern frisch Gemahlenen kauften. „Es gab Textilgeschäfte, Schuhgeschäfte und bestimmt je sieben oder acht Metzger und Bäckereien.“ An der Carl-Leverkus-Straße öffnete sich ein Tordurchgang zu einem Innenhof, in dem auf Markt-Tischen Gemüse und Obst geboten wurde. Irgendwann kam der Weihnachtsmarkt auf dem Rathausplatz dazu, einer der ersten in der Umgebung. „Hier war ein richtiges gesellschaftliches Leben“, schwärmt der Leverkusener, „Gasthäuser und Eckkneipen; es war urbaner als heute.“

Dazu kamen die Disco „Meeting“ und der 1973 eröffnete Plattenladen Elpi mit fairen Preisen. In den 90ern wurden die „Luminaden“ überdacht. Die heutige Problemzone der Innenstadt hofft erneut auf Kaufinteressenten, die die verlassene Zone wiederbeleben sollen.

„Architektonisch waren die Elemente der City nie richtig aufeinander abgestimmt“, konstatiert Schönberger. Im Gegensatz zu manchem Einzelhändlern unterstützte er den Bau der Rathaus-Galerie als „verbindendes Element“. Manche kleinere Geschäfte klagen über einen Verlust der Kundschaft als Reaktion auf das große Einkaufscenter. „Das grüne Rathaus hatte Brandschutz-Probleme, ein Wasserbecken davor regnete durch und mehrere Geschäftsführer größerer Läden wären abgezogen“, so der Anwalt und Vorsitzende der City-Werbegemeinschaft. „Ich bin überzeugt, dass die Alternative schrecklich gewesen wäre.“

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