Zwei zusätzliche Wachen, zehn zusätzliche Fahrzeuge, 50 zusätzliche Stellen für Rettungskräfte: Stimmt die Politik zu, werden mehrere Millionen Euro investiert.
Steigende EinsatzzahlenRettungsdienst im Kreis Euskirchen soll deutlich ausgebaut werden

150 Vollzeitstellen gibt es derzeit im Rettungsdienst im Kreis. 50 weitere sollen dazukommen.
Copyright: Tom Steinicke (Symbolfoto)
Der ganz große Brocken war unstrittig, bei kleineren Dingen sind die Verhandlungen zäh – und anderes bezeichnet Julia Baron schlichtweg als skandalös. Doch nun biegt mit dem Rettungsdienstbedarfsplan für die Geschäftsbereichsleiterin und das Team der Gefahrenabwehr im Kreishaus ein Großprojekt auf die Zielgerade. In dem rund 130 DIN-A4-Seiten umfassenden Werk stecken mehrere Jahre Arbeit.
Zuerst Corona, dann die Flut und schließlich die Schließung der Notaufnahme in Schleiden haben nicht nur Ressourcen gebunden, sondern auch immer wieder Erkenntnisse gebracht, die eingearbeitet wurden, bevor in diesem Sommer und Herbst mit den Kostenträgern verhandelt wurde. Nun ist die Politik am Zug: An diesem Mittwoch tagt der Kreisausschuss, am 17. Dezember liegt die Entscheidung beim Kreistag.
Die Ausgangslage: Die Einsatzzahlen steigen kontinuierlich
Zahlreiche Faktoren beeinflussen den Rettungsdienst und damit den Bedarf an Wachen, Fahrzeugen und Personal. Zuvorderst sind es die Einsatzzahlen. Und die steigen kontinuierlich. Im Jahr 2023, dessen Datenauswertung in den Plan eingeflossen ist, wurden mehr als 19.000 Einsätze in der Notfallrettung registriert, zudem je rund 8000 Notarzteinsätze und Krankentransporte. Das sind etwa zehn Prozent mehr als 2017.
Deutlich verschärft wurde die Lage vor allem im Südkreis durch die Schließung der Notaufnahme im Schleidener Krankenhaus im Sommer 2024. Mit dem „Verstärken der Ränder“, wie es Baron mit Blick auf die Standorte der Rettungswachen bezeichnet, ist dies zwar in den Plan eingeflossen. Doch ob das reicht? Denn durch den Anstieg der Einsatzzahlen werden etwa auch für den Rettungsdienst die Wartezeiten an den Notaufnahmen länger – und die Wege im Flächenkreis sind eben enorm lang.
Einen deutlichen Ressourcenmehrbedarf hatte Baron bereits im vergangenen Jahr angekündigt. In Zahlen übersetzt heißt das: zwei zusätzliche Rettungswachen, zehn zusätzliche Fahrzeuge und 50 zusätzliche Stellen bei den Einsatzkräften.
Die Verhandlungen: Federführend war die AOK
Das „Mehr von allem – und zwar viel mehr“ hat niemand vom Stuhl gehauen. Kein Wunder, der Kreis ist nicht als einziger in einer prekären Lage. Die großen Punkte waren laut Baron nicht die kritischen in den Verhandlungen mit den Kostenträgern, die die AOK federführend für die Krankenkassen und Unfallkassen führt. 46 zu klärende Punkte seien von der AOK zu Beginn aufgelistet worden. „Ungefähr die Hälfte davon konnte im ersten Verhandlungstermin abgeräumt werden“, sagt Baron.
Bei den diskussionsintensiven Punkten sei es um vergleichsweise Kleinigkeiten gegangen, mit fünf Punkten traf man sich zur Schlichtung bei der Bezirksregierung. Erst in den kommenden Tagen erwartet Baron die Entscheidung zu den letzten noch offenen Punkten: Darin geht es um die Übernahme der Kosten von rund 200 Stunden pro Jahr für die Rufbereitschaft von Leitstellendisponenten, damit diese etwa bei krankheitsbedingtem Ausfall von Kollegen kurzfristig in den Dienst beordert werden können, und eine Sachbearbeiterstelle für den Bereich Aus- und Fortbildung.
Die Wachen: zwei zusätzliche Einrichtungen, neue Standorte für andere
Neben den Fahrtwegen sind zahlreiche Faktoren in die Berechnungen für die Standorte von Rettungswachen eingeflossen: Einsatzzahlen, Bevölkerungsentwicklung, aber auch etwa Strukturen wie Seniorenheime und Gewerbegebiete. Das Ergebnis: Zwei neue Wachen sind erforderlich, eine im Bad Münstereifeler Höhengebiet, eine in Kall. Andere Wachen erhalten neue Standorte. Die in Bad Münstereifel wird in Richtung Iversheim neu geplant. Die Wache Weilerswist wird umziehen und möglicherweise mit dem geplanten Feuerwehrgerätehaus kombiniert. In Euskirchen bleibt die Wache am Kreishaus, die zweite wird in Richtung Südstadt/Roitzheim umziehen.
Die Wache Tondorf wird nach Blankenheim umziehen – möglicherweise nach Lommersdorf. Die Marmagener zieht in die Gemeinde Dahlem – voraussichtlich in den Bereich Schmidtheim. Der Unmut in der Gemeinde Nettersheim über diese beiden Planungen ist groß.
Zunächst unverändert bleiben Mechernich, Rescheid, Schleiden und Zülpich sowie die Notarztfahrzeuge in Euskirchen, Mechernich und Schleiden. Zwar wurden allen Standorten Unzulänglichkeiten und Mängel attestiert, die sich nach Barons Einschätzung aber durch bauliche Maßnahmen beheben lassen.
Finale Standortentscheidungen sind in keinem Fall getroffen. Laut Baron haben erste Gespräche mit den Bürgermeistern stattgefunden. Und die haben teils offenbart, dass die Standortsuche sich nicht genau an Gutachten orientieren kann. Beispiel Bad Münstereifeler Höhengebiet: Laut Baron haben die Berechnungen den Standort Scheuerheck ergeben – wo es aber möglicherweise kein passendes Grundstück gibt.
Die Fahrzeuge: zwei weitere RTW und acht KTW-N(otfall)
Elf Rettungswagen (RTW), sieben Krankentransportwagen (KTW) und vier Notarzteinsatzfahrzeuge (NEF) sind aktuell im Einsatz. Zusätzlich werden zwei weitere RTW und acht KTW-N(otfall) angeschafft. Letzteres ist ein neues Konzept, dass im Tagesdienst und in der Notfallrettung, jedoch nicht bei hoch zeitkritischen Fällen eingesetzt wird und mit Rettungssanitätern besetzt ist.
Laut Baron werden die Fahrzeuge kleiner sein als ein RTW, aber mit einer vergleichbaren Ausstattung versehen. Neben den Wachen wird auch beim Blick auf die Fahrzeuge klar, dass die Umsetzung des Plans Jahre dauern wird: Zwei Jahre sind alleine für die Beschaffung der Fahrzeuge einzuplanen. Und dass es um Millioneninvestitionen geht, die der Kreis vorfinanzieren muss, bevor sie über die Gebührensatzung mit den Krankenkassen abgerechnet werden.
Das Personal: 50 Stellen werden zusätzlich geschaffen
Rund 150 Vollzeitstellen gibt's aktuell im Rettungsdienst – beim Kreis sowie bei DRK, Maltesern und beim IMS Rettungsdienst. Es werden insgesamt 50 zusätzliche Stellen geschaffen bei den vier Arbeitgebern. Gerade bei den Notfallsanitätern, an denen nach wie vor enormer Mangel herrscht, will der Kreis die Not durch eigene Ausbildung lindern.
Die Einführung von Gemeindenotfallsanitätern war und ist eine Idee, um so die prekäre Lage gerade in den ländlichen Kommunen zu entspannen. Jedoch gibt es aus dem Kreis Heinsberg, wo ein entsprechendes Pilotprojekt durchgeführt wurde, Signale, dass dieses Modell schwierig umzusetzen ist, teuer ist und zudem enorme Ressourcen an Notfallsanitätern bindet. Die Option, sie einzuführen, soll zwar im neuen Rettungsgesetz bestehen, jedoch nicht als Leistung des Rettungsdienstes und damit nicht abrechnungsfähig. Der Kreis müsste also selbst zahlen.
Die Bevölkerung: 1800 Corhelper gibt es aktuell im Kreis Euskirchen
Noch stärker als bislang will der Kreis auch auf die Hilfe der Bevölkerung setzen. Etwa mit den Corhelpern, die Baron als „unglaubliche Erfolgsgeschichte“ bezeichnet. 1800 gibt es aktuell im Kreis, die alarmiert werden, wenn etwa eine Reanimation erforderlich ist. Wenn jede Sekunde zählt, können die Ersthelfer mit lebenserhaltenden Maßnahmen beginnen und die Zeit überbrücken, bis der Rettungsdienst eintrifft.
Die Corhelper sind ehrenamtlich im Einsatz, die Infrastruktur muss der Kreis zahlen. „Ich kann nicht nachvollziehen, dass im Rettungsgesetz keine Finanzierung durch die Krankenkassen vorgesehen ist“, sagt Baron. Jedoch wird nach ihrer Einschätzung im Kreis nicht daran gerüttelt.
Die Baustellen: Neues Gefahrenabwehrzentrum und neue Gebührensatzung
Wenn der Rettungsdienstbedarfsplan in die Umsetzung geht und bei den Wachen tatsächliche Baustellen entstehen, stehen die nächsten Projekte schon vor der Tür.
Zum einen ist es das neue Gefahrenabwehrzentrum. Dass das Brandschutzzentrum in Schleiden, 1970 gebaut, in keinem guten Zustand mehr ist, ist nicht neu. An welchem Standort und in welcher Form das Problem gelöst wird, steht indes nicht fest. Ein Gutachter erstellt aktuell eine Machbarkeitsstudie inklusive Standortanalyse. Erst wenn die vorliegt, kann in Diskussion und Planung eingestiegen werden.
Ich persönlich finde das skandalös. Es kann nicht der Weg sein, dass die Kreise die Kosten an die Patienten geben müssen.
Zum anderen ist es die Gebührensatzung für den Rettungsdienst. Die bisherige stammt aus 2023 und muss dringend erneuert werden, wie Baron berichtet. Und hier könnte sehr Unangenehmes passieren: dass den Menschen bestimmte Einsätze des Rettungsdienstes in Rechnung gestellt werden. Es geht um sogenannte Fehlfahrten, wenn also keine Fahrt ins Krankenhaus erfolgt, weil etwa eine Behandlung vor Ort ausreichend war.
Der Rhein-Sieg-Kreis hat dies unlängst beschlossen – und ausschließen kann Baron das für den Kreis Euskirchen nicht. „Ich persönlich finde das skandalös“, sagt Baron dazu: „Es kann nicht der Weg sein, dass die Kreise die Kosten an die Patienten geben müssen.“ Sie hofft jedoch darauf, dass auf Bundes- und Landesebene entsprechende gesetzliche Regelungen verabschiedet werden, so dass dieses Problem dem Kreis erspart bleibt.
Der Kreisausschuss beschäftigt sich unter anderem mit dem Thema Wolf
Der Kreisausschuss tagt am Mittwoch um 17 Uhr zum ersten Mal nach der Wahl. Die Tagesordnung ist lang: Im öffentlichen Teil stehen 31 Punkte auf der Tagesordnung, im nicht-öffentlichen Teil 17. Endgültig abgestimmt wird jeweils im Kreistag am Mittwoch, 17. Dezember.
Auch der Wolf wird Thema sein. Die FDP würde den Kreis gerne mehr in die Pflicht nehmen. Im Umweltausschuss ist der Antrag jedoch bereits abgewiesen worden. Lediglich die FDP und die AfD hatten dafür gestimmt, dass der Kreis beispielsweise prüft, über welche Möglichkeiten er derzeit verfügt, DNA-Spuren an tatsächlichen oder vermeintlichen Wolfsrissen eigenständig zu sichern, aufzubewahren und zeitnah auszuwerten.
Der mögliche Austritt des Kreises aus dem Region-Aachen-Zweckverband, den die Große Koalition aus CDU und SPD beantragt, wird ebenfalls beraten. Damit einhergehend wäre die Vollmitgliedschaft in der Region Köln/Bonn.
Der neue Förderschulcampus des Kreises dürfte eine weitere Hürde nehmen. Der Kreis plant in Kuchenheim die Matthias-Hagen-Schule und die Hans-Verbeek-Schule zu einem Campus zu verschmelzen. Das Votum im Bildungsausschuss zu dem rund 65-Millionen-Euro-Projekt war einstimmig. Im Kreisausschuss wird es auch um mögliche neue Bildungsgänge am Thomas-Eßer-Berufskolleg in Euskirchen und am Berufskolleg Eifel in Kall gehen.
Die Freizeitverkehre der Linie 773 (Museumsbus zum Freilichtmuseum Kommern) und der Linie 814 (Kermeter-Shuttle) stehen zur Disposition. Der Kreis plant, die beiden Linien aus Kostengründen für mindestens ein Jahr ruhenzulassen.
Für die geplante Sanierung des Radwegs zwischen Palmersheim und dem Kreisverkehr an der L210 dürfte es grünes Licht geben.

