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Hoffnung auf FördermittelKreis Euskirchen vor Neuorientierung: mehr Köln/Bonn, weniger Aachen

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Ein Schild weist auf die Autobahn in Richtung Köln, ein Wagen biegt in die Richtung ab.

Viele Pendler zieht es Tag für Tag nach Köln oder Bonn. Nun soll sich der Kreis Euskirchen auch politisch in diese Richtung bewegen. 

Kaum gegründet, macht die Große Koalition im Kreistag Euskirchen einen Vorschlag, der historisch werden könnte.  

Man kann wirklich nicht behaupten, dass die Große Koalition im Euskirchener Kreistag sich erst noch warmlaufen möchte: Unter einer „Neuen Regionalen Ausrichtung des Kreises“ machen es CDU und SPD nicht – und das schon wenige Tage, nachdem das Bündnis geschlossen wurde.

In einem gemeinsamen Antrag bitten sie die Kreisverwaltung, eine Vollmitgliedschaft des Kreises im Verein Region Köln/Bonn zu prüfen – bei einem gleichzeitigen Austritt aus dem Zweckverband Region Aachen. Für den Kreis, der sich seit Jahrzehnten wirtschaftlich in Richtung Aachen ausrichtet, beziehungsweise ausgerichtet wurde, wäre das wahrlich ein lokalhistorischer Schritt.

Auch Landrat Markus Ramers hält Hinwendung nach Köln/Bonn für zielführend

Doch CDU und SPD versprechen sich mit der Hinwendung nach Köln/Bonn eine verbesserte regionale Positionierung des Kreises – vor allem im Wettbewerb um Fördermittel, Investitionen und Innovationsprojekte. Auch Landrat Markus Ramers (SPD) kann sich damit anfreunden: „Wir haben in den letzten Jahren zwar gut mit der Region Aachen zusammengearbeitet, aber die strategische Orientierung in Richtung Köln/Bonn ist doch sehr zielführend, gerade wenn es um Themen wie Netzausbau, Energie- oder Mobilitätsfragen geht.“

Freilich: Ganz neu sind die Überlegungen nicht. Der Kreis ist bereits zu einen Jahresbeitrag von 58.000 Euro Teilmitglied im Verein Region Köln/Bonn. Nun wollen CDU und SPD in Richtung Vollmitgliedschaft gehen. Die FDP, bis vor kurzem noch Teil einer Listengemeinschaft mit CDU und UWV im Kreistag, plädiert schon seit längerem für eine stärkere Ausrichtung nach Köln/Bonn. „Wir freuen uns über diesen Antrag“, sagt denn auch FDP-Kreischef Frederik Schorn: „Die Bürgerinnen und Bürger stimmen doch täglich mit den Füßen ab.“

Bei der CDU stießen die Liberalen noch vor kurzem auf Widerstand. Die damalige CDU-Fraktionschefin Ute Stolz hatte auf Schorns Vorschlag im Juni äußerst zurückhaltend reagiert und dessen Vorpreschen als wenig verwunderlich bezeichnet: „Er kommt ja auch aus Weilerswist.“

Ich kenne einen in Scheven, der in Aachen arbeitet, viele andere aber arbeiten in Köln.
Hans Reiff, FDP-Urgestein

Die Sorgen von Ute Stolz, die südlichen Kommunen im Kreis könnten mit Köln/Bonn weniger anfangen, teilt ihr Nachfolger im CDU-Fraktionsvorsitz, Jochen Kupp, nicht. Auch der Süden tendiere, wenn es etwa um Einkäufe, Fußball oder Kultur gehe, in Richtung Köln und Bonn, so Kupp, als Schleidener selbst ein „Sohn des Südens“. „Wir erkennen selbstverständlich die historische Verbundenheit des Kreises mit der Region Aachen an“, erklärt Kupp: „Dennoch müssen wir uns an den Realitäten orientieren.“

Die Bedeutung der Region Köln/Bonn für den Alltag vieler Menschen und für die wirtschaftliche Entwicklung des Kreises sei deutlich gewachsen. „Deshalb“, so Kupp weiter, „halten wir es für notwendig, sehr ernsthaft zu prüfen, ob eine Vollmitgliedschaft dort langfristig die besseren Chancen bietet.“

SPD-Fraktionschef Thilo Waasem ist es darüber hinaus wichtig, „dass der Kreis Euskirchen dort angebunden ist, wo sich sein Lebens- und Wirtschaftsraum tatsächlich befindet.“ Die täglichen Wege vieler Menschen, beruflich wie privat, führten eindeutig in Richtung Köln und Bonn, weiß auch Waasem.

Für FDP-Urgestein Hans Reiff aus Kall könnte ein alter Traum in Erfüllung gehen

Befürchtungen, dass der Kreis Euskirchen im Spiel mit der Millionenmetropole Köln und der 330.000-Einwohner-Stadt Bonn untergehen könnte, plagen die beiden GroKo-Fraktionen nicht. Waasem plädiert durchaus für ein gesundes Selbstbewusstsein: „Es ist an uns, unseren Einfluss als dynamischer Kreis deutlich zu machen.“

Und dass man mit Aachen auch nicht immer glücklich war oder ist, weiß auch Hans Reiff zu berichten. „Über die Zuordnung des Kreises nach Aachen waren wir als FDP schon 1972 nicht glücklich“, berichtet der FDP-Politiker, der von 1980 bis 2020 mit Unterbrechungen im Kreistag saß.

„Ich kenne einen in Scheven, der in Aachen arbeitet, viele andere aber arbeiten in Köln“, sagt Reif über seinen Heimatort. Wer mal versuche, mit dem Zug nach Aachen zu kommen, wisse, was er meine.

Die Kommunen des Altkreises Schleiden sind, was Gerichtsbarkeit und Kirchen angeht, nach Aachen ausgerichtet, während die nördlichen Städte und Gemeinden Köln (Bistum) und Bonn (Landgericht) zugeordnet sind.

Bei Industrie- und Handelskammer sowie beim Handwerk bleibt es bei Aachen

So hat es Landtag Nordrhein-Westfalen vor mehr als einem halben Jahrhundert entschieden. „Bei der kommunalen Neugliederung 1972 gab es noch den Regierungsbezirk Aachen. Und der wäre zu schwach geworden, wenn man ihn auch noch den Altkreis Schleiden genommen hätte“, erinnert sich Reiff. Aber das sei nun auch schon mehr als 50 Jahre her, weshalb er und seine Partei immer für eine Hinwendung nach Köln und Bonn plädiert hätten.

Anders sieht es bei den Kammern aus. Hier gehört der Kreis Euskirchen vollständig zur Industrie- und Handelskammer Aachen und zur Handwerkskammer Aachen (HWK). „Das soll auch so bleiben“, sagt CDU-Fraktionschef Kupp.

Auch die GroKo-Fraktionen machen keinen Hehl daraus, dass man mit den Aachener Institutionen nicht immer glücklich gewesen sei. So liest sich der Antrag von CDU und SPD ein Stück weit wie eine Abrechnung mit dem Zweckverband Region Aachen. Von seiner Mitgliedschaft darin habe der Kreis „bisher nur in begrenztem Umfang profitiert“, heißt es in dem Papier: „Zahlreiche kommunale Akteure berichten, dass Förder- und Kooperationsangebote des Zweckverbandes Aachen nicht immer zielgerichtet auf die Bedürfnisse der Kommunen zugeschnitten waren.“

GroKo-Antrag: Abrechnung in Richtung Aachen und Lobeshymne für Köln/Bonn

Im Gegenzug stimmen die Koalitionäre ein Loblied auf den Region Köln/Bonn eV. an: Dieser habe sich „in den letzten Jahren als dynamischer und aktiver Akteur für Stadt- und Regionalentwicklung, Klimaschutz, Mobilität, Digitalisierung und Strukturwandel hervorgetan“.

Besonders hervorzuheben sei, dass dieser Verein eine stärkere Einbindung der Mitgliedskommunen in Entscheidungs- und Projektprozesse verfolge und regelmäßig gemeinsame Strategien mit Landkreisen, Städten und Gemeinden entwickele.

Waasem betont im Gespräch mit dieser Zeitung aber auch, dass man keineswegs die Verbindungen nach Aachen kappen wolle. Gerichte und Kirchen in einem Teil des Kreises seien mit Aachen verlinkt, bei IHK und HWK sogar der ganze Kreis.

Was die Kammern betrifft, ist sich auch FDP-Chef Schorn bewusst, dass eine Veränderung Sache des Landes wäre – insofern stehe das nicht aktuell auf der Tagesordnung, wäre höchstens langfristig in Betracht zu ziehen.

Aber eins nach dem anderen, sagt Schorn: „Jetzt sind wir erstmal froh über den ersten Schritt.“