Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Interview mit Marcel Reif„Fußball verabschiedet sich von den Fans“

Lesezeit 5 Minuten
Marcel Reif

In fünf Jahren sieht Marcel Reif die Bundesliga auf dem Weg der Trennung von den Bayern und ohne die 50+1-Regel.

Er war Deutschlands bekanntester Fernseh-Reporter und polarisierte wie kaum ein anderer: Marcel Reif. Nach seinem Abschied vom Reporterplatz hat er in einem Buch über seine Beziehung zum Fußball geschrieben. Der 68-Jährige befürchtet, dass der Sport sich von den Fans verabschiedet. Mit Reif sprach Thomas Lipke.

Herr Reif, in Ihrem Buch "Nachspielzeit - ein Leben mit dem Fußball" beschreiben Sie, wie viel Ihnen der Fußball bedeutet. Wie sehen Sie derzeit die Bundesliga?

Mit gemischten Gefühlen. Der Fußball selbst ist nicht unbedingt schlechter geworden, allerdings muss man sich drumherum einiges schönreden. Denn hinter dem FC Bayern kommt erstmal lange Zeit gar nichts mehr.

20 Punkte Vorsprung - das kann der Liga doch nicht guttun.

Natürlich nicht. Obgleich sich an dem Muster, "Jeder kann Jeden schlagen, außer die Bayern" eigentlich nichts geändert hat. Nur das die Bayern inzwischen auch qualitätsmäßig nicht mehr in diese Liga gehören. Denn der Rest spielt überwiegend Mittelmaß. Es besteht eine gewisse Beliebigkeit, und es ist natürlich immer schlecht, wenn du ein Gesetz hast, dass nicht mehr für alle gilt. Und für den Rekordmeister gelten offensichtlich andere Gesetze.

Bedeutet dies also, dass ein Abschied der Bayern aus der Liga gar kein unrealistischer Gedanke ist?

Das Problem ist, dass die Liga und der FC Bayern andere Ziele haben. Dem einen geht es um die Champions League, den anderen um Platz zwei. Aber dieses Phänomen ist nicht nur in der Bundesliga, sondern auch in anderen Ligen zu beobachten: In Spanien sind es zweieinhalb Topclubs, in Italien zwei, in Frankreich einer. Nur in England sind es fünf oder sechs.

Also würde statt einer Nations League eher eine Superliga Sinn ergeben?

Wissen Sie, ich habe immer gesagt, wenn die jede Woche aufeinandertreffen, ist es irgendwann auch nicht mehr interessant. Doch auf mittlere Sicht scheint dieses Konstrukt unabwendbar. Ob das wirklich auch sinnvoll ist, weiß ich nicht. Aber es macht ja auch nicht wirklich Sinn, wenn die anderen Vereine eine B-Elf nach München schicken, weil sie wissen dass sie sowieso keine Chance haben werden und die Punkte woanders holen müssen.

Sie sind ein großer Kritiker des Fußballkommerz' und äußerten auch über die TV-Rechte-Vergabe ihren Unmut. Nun haben wir die Bayern auf der einen, die Montagsspiele auf der anderen Seite, welche auch nicht zur Attraktivität beisteuern. In Dortmund blieben 27 000 Menschen der Partie gegen Augsburg fern und in Frankfurt flogen Tennisbälle auf den Rasen. Bewegt der Fußball sich immer weiter von den Fans weg?

Meiner Meinung nach wurde um die fünf Montagsspiele ein viel zu großer Bohei gemacht, genauso wie um den Halbzeitauftritt von Helene Fischer beim Pokalendspiel. Da finden Stellvertreterkämpfe statt. Wenn das die schlimmsten Auswüchse sind, haben wir es gut getroffen.

Aber es gibt eine Entfremdung.

Der Fan merkt, dass der Fußball, so wie er sich jetzt weiterentwickelt, nicht mehr der Fußball ist, der er mal war. Das lässt sich aber auch nicht mehr zurückdrehen. Dafür hängt ein zu großer Rattenschwanz dran. Die Medien zahlen einen zu großen Betrag. Den möchten sie natürlich auch wieder einfahren. Die echten Fans merken, dass der Fußball sie eigentlich nicht mehr braucht. Vielleicht würde sich das Ganze wieder etwas normalisieren, wenn die Spitzenclubs tatsächlich nicht mehr in der Liga mitspielen würden. Denn dann brauchen wir auch keine Montagsspiele mehr.

Ein weiteres heikles Thema bei vielen Anhängern ist die 50+1 Regel.

Auch hier finden Machtkämpfe statt. Wenn du dagegen bist, nimm' 1860 München. Ein Verein der von einem Scheich in den sportlichen Ruin getrieben wurde. Doch auf der anderen Seite hast du Paris St. Germain. Ein Verein, den das Geld aus Katar zu einem Aspiranten auf den Champions-League-Titel machen soll. Du musst das als Verein und Liga nicht mitmachen wollen, dann darf man sich aber auch nicht beschweren, wenn abgesehen vom FC Bayern München die Bundesliga in Europa bald keine Rolle mehr spielen wird.

In der Spitze dürfen derzeit sechs Vereine auf der europäischen Fußballbühne spielen. Würden Sie sagen, dass der 1.FC Köln ein Opfer des Zirkus ist? Auch der SC Freiburg stieg nach seiner Europa-League Teilnahme ab.

Das ist der Preis des Erfolgs, der Fluch der guten Tat. Natürlich ist es immer schwer, diese hohe Belastung zu kompensieren. Auch Leipzig und Hoffenheim hatten ihre Probleme. Letztendlich möchtest du dich aber auch belohnen, sonst musst du darauf verzichten. Das liegt aber nicht an der Struktur des Systems, das ist eher menschlich. Wenn die Bayern dagegen mittwochs nicht antreten müssten, hätten sie Entzugserscheinungen.

Für Köln scheint der Klassenerhalt inzwischen schier unmöglich.

Der FC gestaltet das tragisch heroisch. Immer wenn man denkt, jetzt ist es vorbei, kommt ein gutes Spiel, das die Hoffnungen wieder weckt. 

Zur Person

Marcel Reif (68) kommt gebürtig aus dem polnischen Ort Walbrzyzch. Nach seinem Studium der Publizistik startete er 1972 seine journalistische Laufbahn als freier Mitarbeiter des ZDF im Ressort Politik/Innenpolitik. Nach drei Jahren als Auslandskorrespondent in London wechselte er 1984 in die ZDF-Sportredaktion, wo er sein Debüt als Fußballkommentator gab. Darauf fand er seine berufliche Heimat im Privatfernsehen und Pay-TV. Seit 1999 begleitete er als Chef-Kommentator für Premiere und später Sky die Spiele der Bundesliga und der Champions League. 2016 räumte Reif seinen Kommentatorenplatz. (EB)