Köln – Die Aussage ist so alt wie die Psychologie des Spiels. Wenn ein Spieler davon spricht, dass er „das Vertrauen des Trainers spürt“ oder er fordert, dass er „mehr Vertrauen braucht“, um seine Leistung abrufen zu können, bringt das im Wesentlichen zum Ausdruck, dass gerade im knallharten Millionengeschäft Profi-Fußball die Wertschätzung des Menschen eine wichtige Rolle spielt und die Verantwortlichen jedem Einzelnen Fehler zugestehen.
Der 1. FC Köln hat zum Auftakt der Bundesliga-Saison 2020/21 beim 3:1-Heimsieg gegen Hertha BSC Berlin ein gutes Beispiel dafür abgegeben, wie leistungsfördernd sich ehrliche Anerkennung und eine gesunde Fehlerkultur auswirken können.
Fans feiern Trainer Steffen Baumgart – Hübers-Einsatz in München noch fraglich
Etwa 500 Fans waren am Mittwoch ins Franz-Kremer-Stadion zum öffentlichen Training des 1. FC Köln vor dem Bundesliga-Spiel am Sonntag (17.30 Uhr/DAZN) gepilgert. Als Steffen Baumgart kurz nach 15 Uhr als erster das Stadion betrat feierten ihn die Zuschauer mit großem Applaus. Für die Fans ist der neue FC-Trainer nach dem 3:1-Auftaktsieg gegen Hertha BSC der Hoffnungsträger auf länger anhaltende gute Zeiten am Geißbockheim.
Das Training dürfte die Hoffnungen genährt haben. In der intensiven und anspruchsvollen ersten Einheit dieser Woche brandete nach gelungenen Aktionen immer wieder der Beifall der Zuschauer auf – und es gab bei den taktisch geprägten Spielformen eine ganze Reihe ansehnlicher Szenen.
Während Kingsley Schindler nach seiner Blessur wieder am Mannschaftstraining teilnehmen konnte, absolvierte Jan Thielmann auf dem Platz nur eine individuelle Einheit. Der 19-Jährige hatte sich gegen die Hertha an der Schulter verletzt. Timo Hübers konnte nicht auf den Rasen. Ob der Innenverteidiger nach einem Schlag gegen das Sprunggelenk für das München-Spiel rechtzeitig fit wird, ist noch offen. Ähnliches gilt für Torwart Marvin Schwäbe, der sich am Montag im Training eine Verletzung zuzog. (sam)
434 Tage lang hat Anthony Modeste auf ein Tor in der Bundesliga warten müssen, bis er am Sonntag in der 41. Minute zum 1:1 gegen die Hertha traf. Seit seiner Rückkehr aus China zum 1. FC Köln im Herbst 2018 kommt der französische Torjäger in Pflichtspielen für die Geißböcke nur auf zwölf Treffer. Vergangene Saison stand er gerade einmal 215 Minuten auf dem Platz und flüchtete im Winter nach St. Etienne. „Ich brauchte frische Luft“, umschrieb der 33-Jährige seine schwierige Zeit unter Trainer Markus Gisdol. Modeste war körperlich nicht auf der Höhe, ihm fehlte das Selbstvertrauen.
Viele hatten ihn nach seiner Rückkehr aus St. Etienne auch für diese Saison abgeschrieben. Steffen Baumgart nicht. Den neuen FC-Trainer kümmerte die Vergangenheit wenig. Er wollte sich selbst ein Bild machen und fand Zugang zu dem sensiblen Charakter des Stürmers. In der Vorbereitung stand Modeste in fast jedem Testspiel in der Startelf und absolvierte alle Trainingseinheiten – auch, wenn sie ihm schwer fielen. Baumgarts Vertrauen zahlte sich schon gegen Berlin aus. Nicht nur wegen seines 64. Bundesliga-Treffers, sondern auch, weil Modeste die nötigen Wege im laufintensiven Baumgart-System ging und das 2:1 von Florian Kainz mit einer Flanke vom Flügel vorbereite.
Interview mit Timo Horn
Herr Horn, in Köln geht es bekanntlich schnell mit der Euphorie. Beschreiben Sie mal die Stimmung nach dem 3:1 gegen Hertha BSC!
Die Stimmung in der Mannschaft ist natürlich gut. Nachdem wir in den beiden vergangenen Jahren nicht so gut in die Saison gestartet sind, war der Sieg extrem wichtig. Für uns war es ein megaschönes Erlebnis wieder mit den Fans im Rücken. Wir haben versucht jede Sekunde aufzusaugen.
Alles stürzt sich auf Steffen Baumgart und feiert den Trainer. Wie erleben Sie ihn?
Er bringt viel Energie in das Team. Vielleicht ist das auch etwas, was wir gebraucht haben. Er stachelt an, puscht von der Seitenlinie und das schwappt auf die Mannschaft über. Diese Intensität auf dem Platz wird auch in den nächsten Spielen unsere Marschroute sein.
Auch gegen die Bayern?
Das verraten wir natürlich nicht. Wer die Bayern im Supercup gesehen hat, weiß wie hoch ihre Qualität ist, egal zu welchem Zeitpunkt der Saison. Schalke hat letztes Jahr auch gedacht, der erste Spieltag wäre gut und hat dann acht Stück bekommen. Das wird eine große Aufgabe, aber wir fahren nach München, um auch dort etwas zu holen.
Welche Impulse setzt Uwe Gospodarek als neuer Torwarttrainer?
Wir arbeiten an meiner Explosivität. Da ist noch Luft nach oben. Ich bin immer offen für Verbesserungen und in einem Alter, in dem ich mich noch nach vorne entwickeln kann. (sam)
Anschließend schnappte Modeste sich bei seinem Jubellauf eine Trinkflasche und spritzte Baumgart Wasser ins Gesicht. In einer Art und Weise, mit der er zu Glanzzeiten unter Trainer Peter Stöger seine höchste Wertschätzung für andere Menschen zum Ausdruck brachte. „Tony hat sehr gut gearbeitet, jetzt muss er dran bleiben. Wenn wir ihn in den Strafraum bekommen, hat er die Qualität, und man sieht, wie gefährlich er da sein kann“, sagte Steffen Baumgart nach dem ersten Saisonspiel. Typisch für den Trainer, der gerne lobt und genauso gerne im nächsten Moment auffordert, bei der Arbeit nicht locker zu lassen.
Und für den 49-Jährigen ist die Frage des Vertrauens keinesfalls eine Einbahnstraße. „Bei Vertrauen geht es auch darum, dass die Spieler dem Trainer und dem, was er vorgibt, vertrauen und versuchen, es umzusetzen. Ich muss als Trainer Lösungen anbieten und die Jungs dazu bringen, dass sie an den Weg glauben“, hatte er in einem Rundschau-Interview erklärt.Auf dieser Grundlage ist auch gut zu erklären, dass Baumgart Timo Hübers gegen die Hertha nicht schon nach 20 Minuten auswechselte. Der Neuzugang von Zweitligist Hannover 96 hatte wie schon beim Pokalspiel in Jena als Innenverteidiger eine wacklige Anfangsphase hinter sich und sichtbar mit Nervosität zu kämpfen. Als er dann nach 16 Minuten auch noch die Gelbe Karte sah, wäre sein Arbeitstag bei den meisten Bundesliga-Trainern wohl beendet gewesen.
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Bei Steffen Baumgart aber nicht. Der FC-Coach schickte zwar umgehend Jorge Meré in die Aufwärmzone, gab Hübers aber die Möglichkeit sich zu fangen. Der 25-Jährige stabilisierte sich tatsächlich, blieb bis zum Schlusspfiff auf dem Platz und dabei nahezu fehlerlos. Selbstvertrauen und Selbstsicherheit bauen sich besser auf, wenn nicht gleich jeder Fehler sanktioniert wird.
Umfängliches Vertrauen in Spieler spiegelt sich meist auch in der Leistung der Spieler wieder, die nicht zur Startelf gehören und eingewechselt werden. Salih Özcan und Kingsley Ehiziubue fügten sich in der Schlussphase gegen Berlin nahtlos ins System ein, obwohl sie nach schwachen Leistungen gegen Jena zunächst auf die Bank mussten. Und Louis Schaub setzte wie schon in den Vorbereitungsspielen viele Akzente, obwohl ihm bei seiner Rückkehr von der Leihe in Luzern keine Zukunft im FC-Kader vorausgesagt wurde. Der Österreicher hat aber unter Baumgart hart gearbeitet und kämpft um seinen Verbleib. Auch weil er das Vertrauen des Trainers spürt und ihm vertraut.