Mönchengladbach – Es ist der berühmteste Pfostenbruch der deutschen Fußballgeschichte - aber nicht der einzige. Doch in ein Museum hat es nur dieses Stück Holz gebracht, das vor 50 Jahren auf dem Mönchengladbacher Bökelberg brach und einen Ehrenplatz in der High-Tech-Gedenkstätte am Borussia-Park hat.
„Jetzt bloß in Deckung gehen“, dachte Herbert Laumen im ersten Schreck. Der Gladbacher Stürmer war ins Bremer Tor gesprungen, hatte sich mit viel Schwung im Netz festgehalten, als der Pfosten kurz über der Grasnarbe abbrach und das Tor über Laumen einstürzte. Zwei Minuten waren noch zu spielen, es stand 1:1. Zu wenig für die Borussia im Titelkampf mit dem FC Bayern, mehr als erwartet für den Abstiegskandidaten Bremen. Während die Gladbacher auf einen Abbruch spekulierten und keine Aufbauhilfe betrieben, gaben die Werderaner alles, um den Pfosten aufzurichten.
Ordner und Zuschauer stoßen Pfosten um
„Wir taten alles, um das Tor aufzubauen und die freuten sich, wenn es wieder umfiel“, schimpfte Werder-Torwart Günter Bernard. Ligaobmann Richard Ackerschott beobachtete, dass Ordner und Zuschauer den Pfosten umstießen. Der Platzwart hatte Schwierigkeiten, einen Hammer zu finden und sagte nach kurzem Blick auf den Pfosten: „Da ist nichts zu machen.“Jahre später gaben die Gladbacher zu, dass sie auf ein Wiederholungsspiel aus waren. „Unser Kapitän Günter Netzer hat sich taub gestellt, wenn ihn der Schiedsrichter angesprochen hat“, sagt Herbert Wimmer. Ob Netzer, wie er heute behauptet, dem Unparteiischen den Vorschlag machte, der Platzwart („Ein mutiger Mann!“) könne sich neben das Tor stellen und den Pfosten festhalten, oder ob das eine Idee von Schiedsrichter Gert Meuser (Ingelheim) war, wie es in Berichten von damals hieß, ist nicht mehr zu klären.
Nach zwölf Minuten ohne Fortschritt brach Meuser die Partie ab und nahm die kollektive Passivität der Gladbacher in seinen Sonderbericht auf. Das war neben den Durchführungsbestimmungen, die dem gastgebenden Verein vorschrieben, zwei Ersatztore parat zu haben, der zweite Grund, warum der DFB in zwei Instanzen entschied, das Spiel mit 2:0 für Werder zu werten. Die Empörung in Mönchengladbach war groß, doch nach dem letzten Spieltag kühlte sie schnell ab: Durch ein 4:1 in Frankfurt bei einer gleichzeitigen 0:2-Niederlage des FC Bayern in Duisburg gewann die Borussia zum zweiten Mal die Meisterschaft trotz der Niederlage am Grünen Tisch, Werder hätte den Klassenerhalt auch ohne die Pfostenbruch-Punkte geschafft.
Heute wird gelacht
Heute lachen sie über den Pfostenbruch, der wie der Hundebiss von Dortmund oder der verfrühte Pausenpfiff von Wolf-Dieter Ahlenfelder in Bremen auf ewige Zeiten einen Spitzenplatz im Kuriositätenkabinett der frühen Bundesligajahre hat. Eine Loge im Borussia-Park heißt „Pfostenbruch“, und Herbert Laumen wird nicht müde, davon zu erzählen wie er da im Tor lag: „Wie ein Fisch im Netz, allein kam ich gar nicht raus.“ Ein paar Tage zuvor hatte der umworbene Stürmer seinen Wechsel zu Werder perfekt gemacht; auch eine der Anekdoten jenes Tages.
Verulken lassen musste sich der Stürmer sogar vom eigenen Club, der kurz vor dem 40. Jahrestag die Meldung verbreitete, Laumen habe das Tor mit Absicht eingerissen, weil er eine Firma zur Produktion von Aluminium-Toren gegründet habe – April, April! Die Tore aus Aluminium wurden tatsächlich als Folge des Bökelberg-Bruchs bald Pflicht. Was sie nicht vor Zusammenbruch schützt, wie man am 1. April 1998 in Madrid erlebte, als Real-Fans ein Tor einrissen und so die unterhaltsamste Überbrückung von Wartezeit in der Geschichte deutscher Sportübertragungen auslösten. Marcel Reif und Günter Jauch bekamen dafür einen Preis, und jeder weiß seitdem, was der Satz „Ein Tor würde dem Spiel guttun“ wirklich bedeutet.
Das war wohl das letzte romantische Kapitel in der Geschichte der einstürzenden Fußballtore. Dass bei der WM in den USA im Achtelfinale von East Rutherford zwischen Bulgarien und Mexiko ein Pfosten brach, weiß heute kaum noch jemand. Nach sieben Minuten stand das Ersatztor, es lief perfekt – und war langweilig. Da lohnt sich doch der Blick auf die kleinen, weniger berühmten Brüder des Bökelberg-Pfostenbruchs aus den beiden höchsten deutschen Ligen.
Vorhang auf, Erinnerungen an
Oberliga West, 21. September 1952, RW Essen - SW Essen abgebrochen (1:1): „Handwerker, bitte melden“ – dem Aufruf per Stadionsprecher nach einem Pfostenbruch im ETB-Tor folgen vier junge Männer, die es nicht hinbekommen. Schiedsrichter Hüren (Krefeld) bricht ab, auf den Rängen schlagen die Derby-Emotionen hoch – und an den Kassenhäuschen kommt es zu Tumulten, weil viele Zuschauer ihr Eintrittsgeld zurückfordern. Weil RWE nachweist, dass der Pfosten aufgrund höherer Gewalt brach, setzt das Sportgericht die Partie neu an; am zweiten Weihnachtstag 1952 verliert Schwarz-Weiß 1:8. Der Fall macht bundesweit Schlagzeilen – auch, weil RWE-Boss Georg Melches den angefaulten Pfosten als Beweisstück mit zur Verhandlung bringt.
2. Liga Süd, 4. Oktober 1953, Karlsruher SC - Jahn Regensburg abgebrochen (1:3): Als 20 Minuten vor Schluss ein Pfosten bricht, als KSC-Stürmer Josef Hubeny dagegenkracht, bleiben die zurückliegenden Karlsruher untätig; die Aufbauversuche der Regensburger sind erfolglos. Das Sportgerichtsurteil – beide Teams sollen in identischer Besetzung die letzten 20 Minuten beim Stand von 1:3 nachholen – erregt landesweit Aufsehen, wird aber von der zweiten Instanz kassiert: Der KSC verliert die Punkte am Grünen Tisch.
2. Liga Süd, 11. Dezember 1955, Hessen Kassel - Bayern München (3:2): Nach dem Kasseler 3:2 in der 80. Minute bricht die Latte, an die sich FCB-Nationalspieler Hans Bauer nach seinem Rettungsversuch hängt. Die Hessen überzeugen Schiedsrichter Leonhard (Stuttgart) davon, es auf einen Reparaturversuch ankommen zu lassen. Der KSV-Platzwart richtet die Latte und nagelt sie zusammen. Er rettet den Sieg und ist bis heute eine Club-Legende. Oberliga Nord, 29.November 1959, VfR Neumünster - VfV Hildesheim abgebrochen (1:1): Schiedsrichter Rolf Seekamp (Bremen) gibt dem VfR zehn Minuten Reparaturzeit, nachdem ein Pfosten gebrochen ist. Das Ergebnis überzeugt ihn nicht, er bricht die Partie acht Minuten vor dem Ende ab. Das Sportgericht setzt ein Wiederholungsspiel an – 3:1 für VfR.
Oberliga Nord, 6. August 1961, VfL Osnabrück - Holstein Kiel (1:5): In der zehnten Minute knickt der den Pfosten des Kieler Tores um, die Reparatur dauert nur sechs Minuten. Später stellt sich heraus, dass beide Pfosten angesägt waren. „Die Übeltäter hätten eine Tracht Prügel verdient“, wettert das „Sport-Magazin“.
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Oberliga Nord, 7. Januar 1962, VfV Hildesheim - Hannover 96 (3:1): Als in der 42. Minute ein Pfosten bricht, macht Schiedsrichter Walter Höfel (Lengede) den Spielführern einen Vorschlag, den sie akzeptieren: Die Teams gehen vorzeitig in die Pause, der Schaden wird repariert, dann wird die erste Halbzeit zu Ende gespielt und die Partie danach direkt mit dem Seitenwechsel und der zweiten Hälfte fortgesetzt. Alles klappt wie geplant, die Reparatur dauert 20 Minuten.
2. Liga Süd, 4. November 1962, FSV Frankfurt - VfL Neustadt (2:1): FSV-Torwart Leichum bringt den Pfosten, der in der 73. Minute zerborsten ist, mit dem Platzwart in 20 Minuten auf Vordermann – und rettet dem FSV damit und mit seinen Paraden den Sieg.
DFB-Pokal, 1. Hauptrunde, 16. Januar 1965, Mainz 05 - Werder Bremen (1:0): Nach einer Ecke stürzt der Bremer „Pico“ Schütz ins Mainzer Tor, der Pfosten knickt um. Unter der Aufsicht von Schiedsrichter Seiler (Schmiden) reparieren die Mainzer Spieler, den Schaden in drei Minuten. Als Helfer ein Ersatztor heranschleppen, steht das Tor bereits wieder – und es hält auch beim Gewaltschuss von Ulrich Meyer zum Mainzer 1:0 stand.
Regionalliga West, 9. September 1973, Westfalia Herne - Spvg. Erkenschwick (1:1): Schiedsrichter Bruns (Duisburg) gibt dem Platzverein kurz vor der Pause eine halbe Stunde Zeit für die Reparatur des morschen Pfostens, an der sich Zuschauer, Spieler und Westfalia-Trainer „Kalla“ Mozin beteiligen. Als der später gefragt wird, wo man einen Ersatzpfosten aufgetrieben habe, witzelt er: „Den hatte ich ein paar Tage vorher zufällig auf einer Müllkippe gesehen…“