Sebastian Vettel im Interview„Es könnte sein, dass die Formel 1 verschwindet“

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Sebastian Vettel

Sebastian Vettel

  • Dass die Formel 1 noch alles andere als grün ist, weiß Sebastian Vettel natürlich auch.
  • Doch der vierfache Weltmeister aus Deutschland, der in dieser Saison bei Alfa Romeo unter Vertrag steht, ist unter den Fahrern so etwas wie der Vorreiter in Sachen Veränderung und Klimaschutz.
  • Darüber spricht er im Interview mit Marco Scheinhof.

Herr Vettel, Sie könnten in eine Glaubwürdigkeitskrise rutschen. Sie engagieren sich für die Umwelt, sprechen Themen an, sind aber nach wie vor Rennfahrer. Wie passt das zusammen?

Die Formel 1 ist nicht grün, keine Frage. Wir leben aber in einer Zeit, in der wir Techniken und Möglichkeiten haben, die Formel 1 grüner zu machen, ohne dabei das Spektakel oder die Leidenschaft zu verlieren. Die aktuellen Regularien sind sehr aufregend, der Motor ist sehr effizient. Das bringt aber nichts. Einen solchen Motor können Sie nicht kaufen, wenn Sie sich ein neues Autos zulegen. Da geht es schnell um das Thema Relevanz. Es wird gerade über einiges gesprochen, das die Zukunft der Formel 1 verändern könnte. Das wäre wichtig. Sonst bin ich nicht sehr optimistisch. Wenn sich nichts ändert, könnte es sein, dass die Formel 1 verschwindet.

Welche Veränderungen schweben Ihnen vor und wie sind sie zu erreichen?

Wenn wir zum Beispiel auf die Mobilität schauen, da könnten wir Lösungen finden. Wir haben mehr als eine Milliarde Autos in der Welt, die täglich mit fossilen Kraftstoffen getankt werden. Dazu kommen noch viele Flugzeuge und Schiffe, die genauso betankt werden. Eine Alternative dafür zu finden, wäre eine Lösung für die Zukunft. Die Formel 1 hat zudem eine große Chance, synthetische Kraftstoffe zu fördern und sie so schnell wie möglich verstärkt einzusetzen. Dabei haben wir keine Zeit, über persönliche Interessen zu reden. Ob es einem Hersteller gefällt oder nicht. Wir müssen unsere Ressourcen besser nutzen. Den Sachverstand, aber auch das Geld, das die Formel 1 hat. Die Hersteller haben in den vergangenen zehn Jahren Milliarden ausgegeben für einen Motor, der sehr effizient und stark ist, der aber keine Relevanz für die Straßenautos hat. Dieses Geld braucht es wieder, um jetzt auf den richtigen Kurs zu kommen.

Von der Kartbahn zum Formel-1-Titel

Sebastian Vettel wird am 3. Juli 1987 in Heppenheim in Hessen geboren. Durch seinen Vater Norbert kommt er zum Motorsport und macht seine ersten Erfahrungen wie viele andere im Kart. Schnell wird sein Talent erkannt und bereits vier Jahre nach seinem Einstieg in den Formelsport 2003 kommt Vettel in der Königsklasse an. Über BMW Sauber und Toro Rosso landet Vettel 2009 bei Red Bull. Von 2010 bis 2013 wird er viermal in Folge Weltmeister und wechselt 2015 zu Ferrari. Dort bleibt er in sechs Saisons titellos und unterschreibt schließlich für die aktuelle Saison bei Aston Martin. In seiner Bilanz stehen 53 Siege und 122 Podestplätze. Vettel lebt in der Schweiz, ist verheiratet und hat mit seiner Jugendfreundin und heutigen Frau Hanna drei Kinder. Der Ehrenbürger seiner Heimatstadt Heppenheim war „Sportler des Jahres“ in Deutschland (2010), Europa (2010, 2012, 2013) und der Welt (2014) . (spo)

Ihr Wandel, dass Sie sich der Umwelt verstärkt widmen, ist auffällig. Gab es einen entscheidenden Moment, als Sie Ihre Ansichten geändert haben?

Da gab es kein Drama oder einen speziellen Moment, der alles verändert hat. Wir leben in einer Zeit, in der es wichtige Themen zu verstehen und zu verändern gibt. Um unsere Zukunft auf der Erde zu sichern, müssen wir uns mehr um sie kümmern. Oder wenn es um Menschenrechte, Gleichheit oder darum geht, wie wir Menschen behandeln. In jüngeren Jahren sieht man manches vielleicht noch nicht. Je älter man wird, desto klarer werden einem einige Dinge. Es ist für mich enttäuschend, dass wir viele schlechte Beispiele sehen, es aber trotzdem so lange dauert, etwas zu verändern. Wir machen manchen Fehler immer und immer wieder. In der Formel 1 geht es bei so etwas um ein Ergebnis, man verliert vielleicht ein paar Positionen oder Punkte. Vielleicht gewinnt man am Ende nicht den Titel. Was aber bedeutet das schon? In der realen Welt verletzen wir Menschen, kümmern uns nicht um sie. Das hat einen großen Einfluss auf deren Leben. Es ist ein Gefühl der Ungerechtigkeit. Und dann rede ich darüber.

Fällt Ihnen das nun leichter, da Sie nicht mehr in dem riesigen Ferrari-Kosmos sind, in dem jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird?

Ich denke nicht. Wenn ich das Gefühl habe, ich muss etwas sagen, dann mache ich das. Dann habe ich auch kein Problem, meine Meinung zu bestimmten Themen zu wiederholen. Das ist meine Meinung, auch wenn nicht jeder zustimmt. Ich höre aber auch gerne die Meinung von anderen. Da kann auch ich lernen.

Sebastian Vettel

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Jüngst hatten Sie einen Videoanruf mit einer Abiturklasse aus Ahrweiler hatten. Aus der Region, die im Sommer sehr stark von der Flut betroffen war.

Ich habe ihnen gesagt, dass es wichtig ist, immer weiterzumachen. Das war wichtig für die Motivation. Ich habe versucht, da meine Erfahrungen weiterzugeben, gleichzeitig aber auch viel lernen können. Es war gut, dass die Mädchen und Jungs zumindest etwas abgelenkt waren.

Ein anderes Thema, das Ihnen wichtig ist, ist LGBT, also die Homosexuellen- und Transgendergemeinschaft. Sie setzen sich für deren Rechte ein, könnte die Formel 1 auch mehr helfen?

Wir alle stimmen doch zu, dass es nur fair ist, alle Menschen gleich zu behandeln. In bestimmten Ländern ist das nicht so. Da braucht es aber mehr als nur Worte, da braucht es Taten. Dabei könnte unser Sport großen Druck ausüben und helfen, Fairness auf der Erde weiter auszubreiten. Es ist nicht richtig, Leute zu verurteilen oder zu bestrafen, nur weil ein Mann einen Mann oder eine Frau eine Frau liebt. Jede Form der Separation ist falsch. Wir sind doch viel reicher, weil wir so unterschiedlich sind. Stellen Sie sich vor, wir wären alle gleich. Wir würden nicht vorankommen. Wir können das mit der Formel 1 vergleichen: Wenn alle Autos gleich aussehen, wäre es langweilig. Wir haben durch die verschiedenen Farben, Formen oder Spezifikationen am Auto Fortschritte erzielt. Auch wir Menschen sind unterschiedlich. Wir sollten diese Unterschiede feiern, statt davor Angst zu haben.

Dabei heißt es oft, der Sport sollte neutral sein und sich aus solchen Themen besser raushalten. Wie gehen Sie damit um?

Das Problem ist, dass sowohl ein Sport als auch ein Land von Menschen geleitet wird. Und einzelne Menschen haben einzelne Meinungen. Wir haben die Aufgabe, die richtigen Leute zu finden, die unseren Sport führen. Dabei muss man bedenken, dass oft finanzielle Aspekte eine Rolle spielen. Es gibt aber Situationen, in denen sich die Verantwortlichen fragen müssen, ob sie eine Moral haben. Vielleicht muss man auch mal zu einem großen Deal Nein sagen.

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Wie sehen Sie die Impfquote in Deutschland im Kampf gegen Corona?

Wer bin ich, um das beurteilen zu können? Ich wurde geimpft, ich reise viel und bin dankbar, dass ich die Möglichkeit bekam, um besser geschützt zu sein. Das muss aber jeder für sich entscheiden. Man sollte dabei aber auch an andere denken. Da geht es auch um Solidarität.

Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, wie es nach der Formel-1 bei Ihnen weitergehen soll? Vielleicht in der Politik?

Ich bin nicht sicher, ob Politik das Richtige für mich wäre. Schauen Sie auf mein Alter, ich werde keine zehn Jahre mehr fahren. Ich denke natürlich darüber nach, was nach der Formel-1 kommt. Ich lasse mich von Leuten faszinieren, die eine Sache leidenschaftlich betreiben. Der einfachste Weg wäre, Reporter bei einem Fernsehsender zu werden und sich für die nächsten Jahre wieder an demselben Platz zu finden wie bisher. Da sehe ich mich nicht. Ich liebe den Sport aber und werde ihm nicht komplett den Rücken zudrehen.

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