Über die Zukunft des Gütervekehrs der Deutschen Bahn spricht im Interview mit Frank Überall Vorstandsmitglied und DB-Cargo-Chefin Sigrid Nikutta.
Chefin der DB Cargo„Mache diesen Job, weil ich etwas verändern will“

DB-Cargo-Chefin Sigrid Nikutta
Copyright: Frank Überall
Als Sie 2020 das Ressort Güterverkehr im Vorstand der Deutschen Bahn AG übernommen haben, hätten Sie sich wohl nicht vorstellen können, wie herausfordernd das wird?
In der Tat hat es seitdem Ereignisse gegeben, die ich mir selbst in meinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können: Corona, Ukraine-Krieg, ein Beihilfe-Verfahren bei der EU...
Als ich mich dafür entschieden habe, zur Bahn und zur DB Cargo zurückzukehren, wusste ich, dass es eine Herkulesaufgabe ist. Ich wusste auch, dass DB Cargo seit dem Tag der Gründung in ein er schwierigen wirtschaftlichen Situation war. Mir war also klar, wie schwierig diese Aufgabe ist – aber auch, wie wichtig sie ist.
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Warum?
Der Schienengüterverkehr ist der größte Hebel zur CO2-Reduktion. Und wir haben die Technik, können mehr Verkehr auf die Schiene verlagern. Wir alle spüren, dass sich mit dem Klima etwas verändert. Wir sind die Generation, die noch etwas verändern kann. Deshalb mache ich diesen Job, weil ich etwas verändern will. Aber wir brauchen auch die richtigen Rahmenbedingungen dafür. Wir müssen die Umwelt viel stärker in den Fokus rücken. Ein Beispiel: Eine Tonne CO2 kostet derzeit 55 Euro. Würden wir den Wert generationengerecht ansetzen, läge er bei 800 Euro.

In Köln-Gremberg stellte in der vergangenen Woche Sigrid Nikutta die erste vollautomatisch fahrende Guterlok mit vor.
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Wird es denn gelingen, mithilfe des Güterverkehrs CO2 in relevantem Umfang zu reduzieren?
Es gibt sehr viele Kunden, die mehr Transporte auf die Schiene verlagern möchten. Der Markt ist da, aber die Infrastruktur ist - hier zitiere ich meinen dafür verantwortlichen Vorstandskollegen Kollegen Berthold Huber - zu alt, zu voll und zu störanfällig. Deshalb gibt es jetzt auch das große „Korridor-Sanierungsprogramm“. Das führt allerdings dazu, dass es bei Bauarbeiten im laufenden Betrieb zusätzliche Einschränkungen gibt.
Wenn man Ergebnisse der DB Cargo in den letzten Jahren ausdrucken wollte, brauchte man nur rote Farbe. Sie wollen die Zahlen wieder ins Schwarze bringen?
Seit der Gründung nach der Bahnreform 1999 war DB Cargo fast immer in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation, hat also Minus gemacht. Das hat strukturelle Gründe, denn das Unternehmen war zu diesem Zeitpunkt quasi Monopolist. Dann sind die Märkte geöffnet worden, es entstand Wettbewerb. Das war so gewollt. Darauf muss sich ein Unternehmen natürlich einstellen. Das ist ein großer Veränderungsprozess. Die Einzelbereiche sind nun profitabel. Das alles überlagernde Problemfeld war, ist und bleibt der Einzelwagenverkehr.
Dabei geht es darum, einzelne Waggons zu bewegen, damit sie nicht mit Lastwagen transportiert werden?
Ja, und das ist strukturell defizitär – aber wichtig für die Wirtschaft in Europa und maßgeblich für die Verkehrswende. Die meisten Länder lösen das Ganze über die umfangreiche Kostenübernahme des Staates. Es gibt aber auch das Gegenteil wie beispielsweise Italien – da fährt der Einzelwagenverkehr fast ausschließlich im LKW auf der Straße. Der Einzelwagenverkehr ersetzt in Deutschland 40.000 LKW-Fahrten jeden Tag, wirklich jeden Tag! Er ist für uns aber der große Verlustbringer, den wir uns so nicht mehr leisten können.

DB Cargo Chefin Sigrid Nikutta mit Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder
Copyright: Frank Überall
Drohen uns also italienische Verhältnisse, wo dann wieder alles aus diesem Segment mit LKW transportiert wird?
DB Cargo muss in allen Bereichen profitabel werden, auch im Einzelwagenverkehr. Die Bundesregierung hat eine Förderung dazu auf die Schiene gebracht. Sogar im Koalitionsvertrag ist der Einzelwagenverkehr erwähnt und gewollt. Das hilft, ist jedoch in der jetzigen Form noch nicht so zugeschnitten, dass das System wirklich erhalten werden kann. Hier muss nachjustiert werden. Wir kämpfen dafür, dass das System erhalten bleibt, weil es wirklich wichtig ist für die Industrie. Alles andere führt definitv zu viel Rückverlagerung auf die Straße. Das wollen wir nicht. Das will, glaube ich, keiner in Deutschland. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir hier zu einer Lösung kommen. Dennoch untersuchen wir gerade alle Alternativen in ihren Auswirkungen, um dann auch sehr kurzfristig eine entsprechende Entscheidungsgrundlage zu haben. Unternehmerisch für mich, aber eben auch politisch. Wir als DB Cargo können, ja dürfen, nur etwas machen, das profitabel ist.
Das liegt an einem Beihilfe-Verfahren der EU. Werden Sie nicht im nächsten Jahr profitabel, müssen Sie 1,9 Milliarden Euro an Ihren Mutterkonzern zurückzahlen?
Das Ergebnis des EU-Beihilfe Verfahren ist, dass DB Cargo eigenständig profitabel in 2026 sein muss. Deshalb wurde der Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag mit der DB AG gekündigt. Und dieser zeitliche und wirtschaftliche Druck wirkt natürlich - Profitabilität ist das oberste Gebot.
Zugleich hat die EU Ihnen auferlegt, nicht mehr Betriebskilometer zu fahren als im Jahr 2023. Wir soll das gehen?
Es ist wie die Quadratur des Kreises. Aber das können wir. Denn wir haben schon vor zwei Jahren angefangen, systematische Maßnahmen für diese Profitabilität zu entwickeln. Eine dieser Maßnahmen ist, dass wir seit Jahresbeginn in einer neuen Struktur arbeiten. Wir haben autark arbeitende Einheiten mit mittelständischen Strukturen gegründet, die jeweils eigenen Profit erwirtschaften müssen. Das Ermutigende ist, dass Stand heute alle Geschäftseinheiten in den profitablen Bereich gekommen sind oder in den nächsten Wochen kommen werden - bis auf den Einzelwagenverkehr. Damit habe ich das Problem schonmal gekapselt.
Die Gewerkschaften sind nicht nur begeistert davon. In einer Umfrage des Gesamtbetriebsrates bei DB Cargo hieß es, dass die Motivation der Beschäftigten unter dem Sparprogramm leidet. Kann man sich das in Zeiten des Fachkräftemangels leisten?
Wenn man in einer solchen Umstrukturierungsphase ist, ist eine solche Verunsicherung nicht ungewöhnlich. Wir reduzieren Personal sozialverträglich, der weit überwiegende Teil bekommt im Konzern einen anderen Arbeitsplatz angeboten. Darauf lege ich großen Wert. Aber ich muss langfristig orientiert sein. Denn nur wenn das Unternehmen eine Zukunft hat, können wir auch zukunftssichere Arbeitsplätze anbieten.
Der Personalabbau wird auch NRW deutlich treffen?
Ja, in diesem Bundesland müssen von gut 3.900 Vollzeitstellen, davon rund 600 in Köln, bis zum Jahresende etwa acht Prozent wegfallen. Diese Umstrukturierung ist bereits erfolgt – allen Kolleginnen und Kollegen werden Alternativen geboten.
Wird der Standort Köln-Gremberg dauerhaft bleiben?
Unsere Rangierbahnhöfe gehören zu unserem Kerngeschäft. Das bleibt in unserer Hand. Köln-Gremberg ist unser drittgrößter Rangierbahnhof, wichtig für die Verkehre in die Niederlande mit den großen Häfen und als Einfallstor für das Ruhrgebiet.
Es werden aber auch Geschäfte komplett aufgegeben?
Wir schauen uns sehr genau an, was wichtig ist für die gute Zukunft von DB Cargo. Wir trennen uns von Güterwagen oder Loks, die wir so nicht mehr benötigen. Wir trennen uns auch von einzelnen kleineren Bereiche, wo wir ohnehin nur kleine Beteiligungen hatten. Wir konzentrieren uns auf unser Kerngeschäft. Wir haben zum Beispiel in unserer spanischen Gesellschaft gebrauchte Autos aufgearbeitet. Das machen wir künftig nicht mehr.
Ungemach droht Ihnen in Deutschland auch durch die politisch geplante Erhöhung der Trassenpreise für die Nutzung der Schienen?
Das wirft uns ordentlich zurück. Preiserhöhungen von 16 Prozent sind am Markt kaum durchzusetzen. Deshalb steht im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, dass das System eine grundlegende Reform braucht.
Das hört sich technisch an, hat aber genau diese praktische Auswirkung. Wir müssen in Deutschland ganz, ganz schnell handeln. Es kann doch nicht sein, dass wir sagen, wir wollen mehr Güter auf der Schiene befördern, aber dann über solche Mechanismen dafür sorgen, dass das viel zu teuer wird.
Sie haben in der vergangenen Woche hier in Köln eine Lok zum automatisierten Fahren vorgestellt. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder hat erhebliche Gelder für die Digitalisierung des Schienenverkehrs zugesagt. Aber er hat auch gemahnt, das Geld müsse zeitnah ausgegeben werden?
Wirtschaft und Politik müssen das gemeinsam schaffen. Wir brauchen einen Ruck! Der Minister hat die Industrie aufgefordert, die Industrie erwartet entsprechende Unterstützung und erleichterte Prozesse und vereinfachte Genehmigungen. Da müssen alle an einem Strang ziehen. Wir brauchen einen Spirit, dass es gewollt ist und schneller die Dinge möglich macht. Ich spüre, dass dieser Spirit beginnt und hoffe, dass er jetzt richtig Fahrt aufnimmt.
Durch den Ukraine-Krieg ist das Thema Verteidigungsbereitschaft in den Fokus geraten. Das trifft auch DB Cargo?
Die Verbindung zwischen Bahn und Bundeswehr ist schon aus historischer Sicht eng. Wir transportieren für die Bundeswehr und für alle NATO-Partner immer schon Güter auf der Schiene. Natürlich intensivieren wir das gerade. Vor ein paar Jahren hätten wir über diese Frage noch gar nicht nachgedacht.
Der amtierende Bahn-Chef Richard Lutz steht in der Diskussion. Ist es an der Zeit, dass mal eine Frau an die Spitze des Konzerns kommt? Sie werden zuweilen auch selbst als geeignete Kandidatin genannt?
Ich wünsche mir, dass wir zuallererst die inhaltliche Diskussion führen, wohin wir in Deutschland eigentlich mit der Bahn wollen: Was sind die Ziele? Wie viel Geld haben wir dafür? Was ist der Weg dorthin? Hauptfokus ist: Welche Bahn wollen wir in Deutschland haben und wie setzen wir das um. Wir haben hier ein übergeordnetes Thema – und kein Personalthema. Wir erleben gerade schmerzlich, wozu es führt, dass in die Infrastruktur jahrzehntelang zu wenig investiert worden ist. Diese Diskussion müssen wir führen!
Sie reisen gleich von Köln zurück nach Berlin, mit der Bahn, die in diesen heißen Sommertagen für Böschungsbrände, überhitzte Wagen, Personalmangel, Ausfälle und Verspätungen bekannt ist. Freuen Sie sich auf diese Fahrt?
Ich fahre immer mit der Bahn. Ich habe aber auch ein tieferes Verständnis für die Herausforderungen und dafür, was so in unserem riesigen Bahnsystem mit immerhin fast 35.000 Kilometer Schiene passiert. Deshalb: Ja, ich freue mich auf die Bahnfahrt. Im Zug kann ich wirklich sehr gut arbeiten.