Galeria Karstadt KaufhofDie Chronik einer jahrelangen Krise

Lesezeit 5 Minuten
Essen: Olivier van den Bossche, Vorstandsvoritzender, gibt ein Statement ab in der Konzernzentrale des Warenhauskonzerns Galeria Karstadt Kaufhof

Trotz schwieriger Lage optimistisch: Karstadt-Chef Oliver Bössche muss den Konzern durch eine erneute Insolvenz führen.

Nach der Pleite der Signa Holding hat auch Galeria Karstadt Kaufhof erneut Insolvenz angemeldet. Ein Blick zurück auf die Krisenjahre.

Olivier Van den Bossche ist kein Mann der Zahlen. Der Galeria-Chef fühlt sich am wohlsten, wenn er durch seine Warenhäuser streicht. Erst im Juni 2023 hat er die Führung des Essener Konzerns übernommen und seither einige Reformen auf den Weg gebracht. Die Insolvenz des Mutterkonzerns Signa hat ihn dennoch gezwungen, am Dienstag selbst zum Essener Amtsgericht zu gehen. Nun versucht Van den Bossche Optimismus zu verbreiten. In der Abnabelung von Signa sieht er eine große Chance.

Spekulationen, von den 92 Warenhäusern könnte im Rahmen der Sanierung nur ein harter Kern von 30 übrig bleiben, weist er zurück. „Das ist Unsinn, damit wären wir kein bundesweites Warenhausunternehmen mehr“, betont Van den Bossche. „Wir haben schon heute mehr als 60 Standorte, die wir profitabel betreiben können.“

Mehr Kunden in die Filialen locken

Entscheidend wird aber sein, wie Galeria wieder mehr Kunden in die Filialen locken will. Der Handelsprofi, der bereits für Carrefour, die belgische Warenhauskette Galeria Inno, Galeria Kaufhof, Metro und Rituals tätig war, ist dabei, ein Konzept umzusetzen, das die Gewerkschaft Verdi seit Jahren fordert. Van den Bossche will Galeria neben Mode und Parfümerie auf Tischkultur, Haushaltswaren, Küchenartikel, Haushaltshelfer, Bettwäsche, Matratzen, Bettwaren, Wohnaccessoires, Frottierwaren und „alles für das Bad“ fokussieren.

Sortimente vor Ort sollen nicht länger von Essen aus vorgegeben werden. Die Geschäftsführer in den Warenhäusern erhalten wieder mehr Gestaltungsräume. All das hat offenbar im zurückliegenden Halbjahr bereits Wirkung gezeigt. „Das Weihnachtsgeschäft ist gut gelaufen. Unser Onlinegeschäft nähert sich der Profitabilität. Die Chancen sind hoch, dass wir schon im laufenden Geschäftsjahr operativ profitabel sind, wir sind nah dran“, sagt Van den Bossche. Doch schwer wurde es in der Geschichte des Warenhauskonzerns bereits oft. Inzwischen blickt auf eine regelrechte Chronik der Krisen zurück:

1999: Der Warenhauskonzern Karstadt AG und das Versandhaus Quelle Schickedanz fusionieren zur Karstadt-Quelle AG. Der neue Konzern hat rund 116000 Mitarbeiter. Kritiker sprechen von einer Fusion zweier Fußkranker, weil beide Unternehmen schlecht laufen. Größte Aktionärin wird die Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz.

Juli 2000: Der langjährige Karstadt-Chef Walter Deuss legt nach ausbleibenden Erfolgen sein Amt nieder. Nachfolger wird der bisherige Chef der Karstadt-Warenhaus AG, Wolfgang Urban. Dieser kündigt ein Jahr später den Abbau von bis zu 7000 der 52000 Stellen im Warenhausbereich an.

Oktober 2004: Bei dem immer noch schwer angeschlagenen Konzern einigen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf einen Sanierungsplan. Abermals 5500 Stellen sollen sozialverträglich abgebaut werden. Ein Jahr später wird sich der Konzern von der Modekette Wehmeyer, 74 kleineren Warenhäusern und den Fachmarktketten Sinn-Leffers und Runners Point getrennt haben.

2005: Der frühere Bertelsmann-Manager Thomas Middelhoff rückt auf den Vorstandsvorsitz von Karstadt-Quelle. Der Konzern verkauft für 4,5 Milliarden Euro seine gesamten Warenhaus-Immobilien und mietet sie zurück.

2007: Karstadt-Quelle heißt nun Arcandor. Damit soll nach außen gezeigt werden, dass mit dem Zukauf des Reiseunternehmens „Thomas Cook“ auch Touristik zum Kerngeschäft gehört.

September 2008: Die Privatbank Sal. Oppenheim greift Arcandor unter die Arme und übernimmt Anteile der bisherigen Mehrheitsaktionärin, Quelle-Erbin Schickedanz. Als Middelhoff 2009 abtritt, hat der Konzern eine Schuldenlast in Milliardenhöhe. In einem letzten Versuch soll Arcandor radikal umgebaut werden.

1. September 2009: Für die wichtigsten Arcandor-Gesellschaften – darunter die Karstadt Warenhaus GmbH – wird vom Amtsgericht Essen ein Insolvenzverfahren eröffnet. Im Dezember wird bekannt, dass zehn Karstadt-Standorte schließen sollen und in dem Zuge 1200 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen.

30. September 2010: Das Amtsgericht hebt das Insolvenzverfahren auf. Der deutsch-amerikanische Investor Nicolas Berggruen übernimmt die noch rund 120 Warenhäuser. Die Gläubiger verzichten auf zwei Milliarden Euro. Die Beschäftigten in der Essener Karstadt-Zentrale feiern Berggruen wie einen Popstar.

August 2014: Berggruen ist an der Sanierung des Karstadt-Konzerns gescheitert. Er verkauft ihn für einen symbolischen Euro an den österreichischen Immobilieninvestor René Benko. Stephan Fanderl soll als neuer Karstadt-Chef die Kaufhaus-Kette binnen drei Jahren in die schwarzen Zahlen bringen.

6. November 2019: Benko schluckt Kaufhof, dem sein ursprüngliches Interesse gegolten hatte. Die deutsche Warenhaus AG steht und heißt bald Galeria Karstadt Kaufhof – mit zusammen 243 Filialen und 32000 Beschäftigten.

1. April 2020: Galeria Karstadt Kaufhof rettet sich in ein Schutzschirmverfahren. Offizielle Begründung ist die Corona-Pandemie. Stephan Fanderl ist weg, Miguel Müllenbach übernimmt später den Chefposten.

1. September 2020: Die Gläubigerversammlung in der Essener Grugahalle stimmt dem Insolvenzplan zu. 85 Filialen sollen geschlossen werden. Am Ende sind es „nur“ 42. Rund 5000 Arbeitsplätze werden abgebaut.

7. Oktober 2022: Müllenbach bittet erneut um Staatshilfe, erklärt in einem Mitarbeiterbrief: „Wir werden unseren Weg nur erfolgreich fortsetzen können, wenn es uns gelingt, die Finanzierung von Galeria neu zu strukturieren und dem Unternehmen neues, frisches Kapital zuzuführen.“

31. Oktober 2022: Die Verhandlungen mit Berlin über weitere Staatshilfe scheitern. Galeria geht in der Folge zum zweiten Mal binnen drei Jahren in ein Schutzschirmverfahren, um sich vor dem Zugriff seiner Gläubiger zu schützen. Dem Bund und damit den Steuerzahlern gehören jetzt alle Waren. Der Preis dafür ist hoch: Über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) werden insgesamt 680 Millionen Euro in Galeria gepumpt.

13. März 2023: Sanierer Arndt Geiwitz und Geschäftsführer Miguel Müllenbach stellen dem Aufsichtsrat den Insolvenzplan vor. Weitere 52 Filialen der noch 129 Filialen sollen schließen.

Mai 2023: Müllenbach tritt als Galeria-Chef ab, der bisherige Vertriebschef Olivier van den Bossche wird ihn ersetzen. Im Juni trennt sich Galeria unter anderem von mehreren Kaufhof-Filialen. In einer zweiten Welle schließen zum 31. Januar 2024 fünf weitere Warenhäuser in NRW. Am Ende soll das Galeria-Netz auf 92 Filialen eingedampft sein. Sie hoffen auf 200 Millionen Euro, die der Mutterkonzern Signa zur Sanierung versprochen hatte.

29. November 2023: Die Signa Holding GmbH meldet beim Handelsgericht Wien Insolvenz an. Sie war wegen gestiegener Zinsen, Baukosten und Energiepreise ins Wanken geraten. Die Schweizer Signa-Betreiberfirma kündigt an, Galeria Karstadt Kaufhof verkaufen zu wollen.

28. Dezember 2023: Mit der Signa Prime Selection AG und der Signa Development Selection AG streben auch die beiden wichtigsten Einheiten der Signa-Gruppe ein Insolvenzverfahren an. Die Signa-Konzern zerfällt. Benkos edle Firmenzentrale in Wien wird versteigert.

7. Januar 2024: Die Galeria-Hauptverwaltung in Essen steht einmal mehr auf dem Prüfstand. Ein Auszug aus dem maroden Gebäude ist geplant. Betriebsratsvorsitzender Jürgen Ettl stimmt die 1000-köpfige Belegschaft in der Zentrale auf einen schmerzhaften Arbeitsplatzabbau ein.

Rundschau abonnieren