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NRW-Arbeitgeberpräsident„30 Prozent der Jobs in der Verwaltung können eingespart werden“

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Fordert mehr Impulse aus Berlin: NRW-Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff.imago/Funke Foto Services

Fordert mehr Impulse aus Berlin: NRW-Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff.imago/Funke Foto Services

Der NRW-Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff fordert eine Digitalisierung der Ämter, um Personal abzubauen. Auch der Sozialstaat ist ihm zufolge zu teuer.

Arndt Kirchhoff, Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen, hatte große Hoffnungen in die neue Bundesregierung mit ihrem Kanzler Friedrich Merz gesetzt und tut es noch – aber langsam wird er ungeduldig. „Wir brauchen jetzt dringend einen Herbst der Reformen“, ruft er dem Kabinett im Interview mit Matthias Korfmann, Martin Korte und Stefan Schulte zu.

Herr Kirchhoff, der Aufschwung der deutschen Wirtschaft bleibt aus. Wie bewerten Sie die Lage?

Sie ist ernst. Die Realität ist, dass wir seit drei Jahren nicht nur kein Wachstum mehr haben, wir schrumpfen. Daraus folgt: Mit dem, was wir erwirtschaften, können wir uns unsere jetzigen Sozialsysteme so nicht mehr leisten. Die Insolvenzen nehmen zu, der Export schwächelt. Wir brauchen jetzt dringend einen Herbst der Reformen, um einen Stimmungsumschwung auszulösen.

Wie können wir besser werden?

Wettbewerbsfähigkeit hängt vor allem mit den Kosten zusammen – und die sind hierzulande zu hoch: Das gilt für die Energiekosten, die Steuern und die Höhe der Sozialabgaben. Diese Kosten belasten Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam. Es ist nicht gesund, dass Millionen Bürgerinnen und Bürger am Sozialstaat hängen und nicht arbeiten. Das ist auch ungerecht. Es kann nicht sein, dass es Menschen besser geht, wenn sie nicht arbeiten, als wenn sie arbeiten.

Woran liegt das?

An einem Fehler im System des deutschen Wohlfahrtstaates, der eben nicht mehr auf das Prinzip des „Förderns und Forderns“ setzt. Zu oft lohnt sich die Arbeitsaufnahme für Leistungsempfänger nicht. Sie bekommen zum Beispiel Wohn- und Heizkosten erstattet. Demgegenüber müssen viele Arbeitnehmer eisern sparen, weil Mieten und Nebenkosten so gestiegen sind. Das geht so nicht und muss sich ändern. Es ist eine Frage von Fairness und Leistungsgerechtigkeit und letztlich der gesellschaftlichen Akzeptanz unseres Sozialstaates.

Durch die Sondervermögen des Bundes ist genug Geld da. Muss jetzt nicht Priorität Nummer eins sein, dieses Geld zukunftsweisend zu investieren, anstatt den Sozialstaat umzukrempeln?

Wenn wir diese Sondervermögen eines Tages zurückzahlen wollen, benötigen wir ein höheres Wachstum. Das ist das Wichtigste. Wir müssen also alle Bremsen wegnehmen, die Wachstum verhindern: hohe Energiekosten, viele Subventionen, zu hohe Sozialkosten. Wenn zum Beispiel viel zu hohe Energiekosten verhindern, dass Gießereien gießen und Schmieden schmieden und die Firmen deshalb ins Ausland gegen müssen, muss man reagieren. Sonst treiben wir unsere Industrie aus dem Land.

Rahmenbedingungen sind das eine, aber sind deutsche Produkte noch gut genug?

Unsere Unternehmen sind bei vielen Produkten – etwa Autos, Elektrogeräten, Leuchten, Spezialmaschinen – immer noch weltführend. Die große Frage ist nur, wo das alles produziert wird. In Deutschland wurden früher sechs Millionen Autos im Jahr produziert, heute nur vier Millionen. Weltweit produzieren wir aber insgesamt sogar mehr Autos als früher. In Deutschland stimmen die Rahmenbedingungen nicht mehr.

Wirtschaftsministerin Katherina Reiche steht in der Kritik, weil sie auf neue Gaskraftwerke setzt und die Einspeisevergütung für Solaranlagen streichen will.

Von der Solar-Förderung profitieren nur Einzelne, und diese Anlagen rechnen sich auch ohne Subventionierung. An dieser Stelle kann der Staat sparen. Und die Gaskraftwerke sind die Antwort auf die Frage, wo bei Dunkelflaute der Strom herkommt. Da geht es um unsere Versorgungssicherheit.

Wo kann der Staat noch sparen?

In der Industrie ist die Zahl der Beschäftigten von elf auf acht Millionen gesunken. Gleichzeitig stieg die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Sektor von acht auf zwölf Millionen. Das ist volkswirtschaftlich eine fatale Entwicklung. Die viel zu große Zahl der Beschäftigten in den Verwaltungen muss deutlich abgebaut und durch digitale Angebote ersetzt werden. Die Bürger erleben es doch in ihrer Kommunalverwaltung: Obwohl dort immer mehr Leute arbeiten, dauert vieles immer länger.

Aber die Ämter in den Städten sind doch eher unter- als überbesetzt, oder?

Viel mehr Dienstleistungen könnten digital ablaufen. Wenn ich unsere Unternehmen zum Maßstab nehme, könnten 30 Prozent des Personals in den Verwaltungen bei einer konsequenten Digitalisierung eingespart werden.

Zu den bekannt schlechten Rahmenbedingungen kommt eine weitere hinzu: 15 Prozent Zoll auf deutsche Produkte in den USA. Wie sehr trifft das unsere Unternehmen in NRW?

Das trifft uns schon massiv. Und was wir lernen mussten, ist, dass man Trump nicht kontrollieren kann. Deshalb will ich das Verhandlungsergebnis von Frau von der Leyen auch nicht kritisieren.

Andere, etwa China und Kanada, halten mit Gegenzöllen hart dagegen, haben wir Europäer uns von Trump nicht erpressen lassen?

Wir sind derzeit leider nicht in einer so starken Position, wir müssen unsere Rolle schon realistisch einschätzen. Klar ist aber auch: 15 Prozent Basiszoll für unsere Produkte und Null auf amerikanische ist natürlich kein guter Deal.

Sie wünschen sich einen Reformherbst, um den Sozialstaat schlanker zu machen. Bei der Rente etwa plant die Regierung aber sogar neue Ausgaben.

Heute werden halb so viele Kinder geboren wie zu meiner Zeit – und die müssen doppelt so viele Rentner bezahlen. Dass das nicht funktionieren kann, sollte eigentlich klar sein. Den Koalitionsvertrag abzuarbeiten, wird nicht reichen. Ich wünsche mir mehr Mut auch zu unpopulären Reformen in Berlin. Dass Frau Reiche eine Diskussion über eine längere Lebensarbeitszeit angestoßen hat, finde ich absolut richtig.

Auf Druck der SPD steigt der Mindestlohn bis 2026 auf 14,60 Euro. Wird das Arbeitsplätze in NRW kosten?

Ja klar. Da müssen Sie nur die Betriebe fragen, die davon betroffen sein werden, etwa in der Gastronomie oder Logistik. Auch die Landwirte sagen, dass sie dann weniger Erdbeeren und Spargel anbauen werden, weil die Erntehelfer zu teuer werden.