Der Pfarrer und sein LiebhaberEin homosexueller Priester erzählt

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schwuler Pfarrer

Johannes Förster hält eine Ikone der frühchristlichen Märtyrer Sergios und Bakchos. Historiker gehen davon aus, dass die beiden eine Liebesbeziehung führten. Sie gelten als gern verwendetes Symbol in der homosexuellen Community.

  • Ein jahrhundertealtes Gesetz der katholischen Kirche besagt: Wer homosexuell ist, der kann nicht Priester werden.
  • Wenn die Homosexualität eines Pfarrers rauskommt, ist er raus. Keine Chance.
  • Johannes Förster konnte nur Priester werden, weil er gelogen hat.

Düsseldorf – Wie schnell alles enden kann, hat Johannes Förster vor zwei Jahren gesehen. Da erwischte es einen Kollegen aus der Diözese. Jemand hatte sein Foto im Internet wiedererkannt. Auf einer Dating-Plattform, auf der Männer nach Männern suchen. Für die große Liebe. Oder weil sie einfach Sex wollen. Es gab keine Zweifel, dass er es war, und er versuchte auch nicht zu leugnen, was er geheim gehalten hatte. Dieser Tag war sein letzter als Pfarrer. Keine Gespräche, keine Versetzung, keine Chance.

Ab diesem Moment wächst die Angst in Johannes Förster. Stärker, als ohnehin schon. Auch er hat gelogen. In dieser Geschichte heißt er deshalb nicht so, wie ihn die Gläubigen in seiner Gemeinde kennen. Wir treffen ihn in einem der vielen Pfarrhäuser in Nordrhein-Westfalen. Er trägt ein weißes Polohemd und eine Brille mit breitem schwarzen Rahmen. Zwischen 50 und 60 muss er sein, sein genaues Alter verrät er nicht, aber das Haar ist nur noch dünn und nach hinten gekämmt. Zieht er sein Gewand an, ist Förster ein ganz gewöhnlicher Pfarrer. Er tauft Neugeborene und segnet Hochzeitspaare. Er nimmt den Alten die Beichte ab und hält die Hände der Kranken, bevor sie sterben.

Alles andere als gewöhnlich

Aber Johannes Förster ist schwul. Und deshalb alles andere als gewöhnlich in einer Glaubensgemeinschaft, in der selbst der sonst so liberale Papst Franziskus vorschlägt, man könne homosexuelle Jugendliche in die Psychiatrie stecken, und dann werde das schon alles wieder.

Förster ist entsetzt, wenn er so etwas hört. Aber öffentlich widersprechen kann er nicht. Zu groß ist seine Angst. Er versteckt nicht nur seine Art zu lieben, er versteckt auch einen Menschen in seinem Leben. Einen Mann, mit dem er lebt, lacht und schläft. Für fast alle Bischöfe reicht das, um ihm das Predigen für immer zu verbieten. Priester haben sich für ein zölibatäres Leben entschieden. „Wenn sie an diesem Lebensentwurf zweifeln, begleiten wir sie in ihrer Entscheidung für das Zölibat oder eben für eine Partnerschaft“, teilt das Erzbistum Köln mit. Aber die katholische Kirche hat auch ein Problem mit Homosexuellen, das ist so schon in der Bibel angelegt. In Köln will man sich nicht äußern, was passiert, wenn ein homosexueller Pfarrer auffällt. Im Buch Leviticus, Kapitel 20, Vers 13, heißt es: „Wenn jemand beim Knaben schläft wie beim Weibe, die haben einen Greuel getan und sollen beide des Todes sterben.“

„Homosexualität ist keine Krankheit“ ist eine Schlagzeile

Soweit geht heute keiner mehr, aber wenn der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki im Mai 2019 sagt, Homosexualität sei keine Krankheit, ist das eine Schlagzeile. Es gibt auch andere Stimmen. Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck forderte im Januar, auch homosexuelle Menschen für das Priesteramt zuzulassen. Solche Reformer sind in der Minderheit, und sie vertreten ihre Position erst seit Kurzem. Overbeck sorgte noch vor Jahren für einen Skandal, als er in der TV-Sendung von Anne Will – die mit einer Frau verheiratet ist – sagte, schwule Männer begingen eine Sünde. Förster hatte sich früh entschieden, was er aus seinem Leben machen will. In den 70er Jahren wächst er in einer katholischen Gemeinde auf, die Pfarrer und seine Vikare sind streng, aber „ganz schön cool“. In der Pubertät merkt er, dass ihn Mädchen nicht interessieren. Also beginnt er, Gott zu lieben. Nach dem Abitur studiert er Theologie, er will sein Leben erst dem Glauben und dann der Kirche widmen. Im Priesterseminar wird Förster klar, dass er auf Männer steht. Er behält es für sich, denn die Ausbilder spüren immer wieder Studenten mit homosexuellen Neigungen auf. Man stellt sie vor die Wahl: Therapie oder raus. Förster fällt nicht auf.

Kurz vor der Priesterweihe testet ihn auch der Bischof. Förster erinnert sich noch gut an den Moment, an dem er ihn angelogen hat. Er sitzt in dessen Büro noch nicht auf dem Stuhl, da kommt die erste Frage: „Sind Sie schwul?“ Förster ist überrumpelt. Die Hände schwitzen. Der Bischof scheint nichts zu merken. „Nein“, sagt er dann. Erst danach vertraut er sich seiner Schwester an. Die sagt: „Jetzt ist mein Bild von dir zerstört.“ Der Vater erfährt es erst viel später, er hält Schwulsein für „abnormal und unnatürlich“. Der Kontakt bricht für mehrere Jahre ab. Erst seit Kurzem reden sie wieder miteinander.

Niemals schwach werden

Förster führt heute eine Beziehung mit einem Mann, über den er nicht sprechen will. Als junger Priester wollte er noch allen Gesetzen der Kirche folgen. Niemals schwach werden. Keinen Sex haben. Niemanden zum Mann nehmen. Nach Gesprächen mit Kollegen merkte er, es gibt noch andere, die sind wie er. Dass sich noch mehr verstecken. „Ich bin mir sicher, dass die Zahl der Homosexuellen im Priesteramt überdurchschnittlich hoch ist“, sagt er. Viele hätten sich noch bis in die späten 1980er in den Dienst der Kirche geflüchtet, damit niemand ständig frage, wo denn eigentlich die Frauen in ihrem Leben seien. „Vielleicht bin ich Priester geworden, weil ich schwul bin“, sagt Förster. Mit Trauer umgehen, emotional sein, in den richtigen Momenten die richtigen Worte finden – das könnten Homosexuelle oft besser, glaubt er. Förster ist überzeugt, dass heute viele Priester den Zölibat brechen. Die Kirche zu verlassen, kam für ihn nie in Frage. Nach dem Studium wuchsen die Zweifel, aber er sah keinen anderen Weg, weil das Priestersein für ihn eine Berufung ist. In seinem Bistum hat er bis heute niemandem die Wahrheit erzählt. Er kennt andere schwule Priester, aber sie glauben nicht an eine gemeinsame Bewegung. Wagt sich einer alleine vor, fürchten die anderen, entdeckt zu werden. Wie viel Unterstützung sie hätten, ist unklar. Kürzlich hat sich ein Pfarrer aus Hamm als homosexuell geoutet. Konsequenzen gab es keine. Gefolgt ist ihm bislang niemand.

Bis hoch in den vatikanischen Machtzirkel werden homosexuelle Priester abgelehnt. Laut den Leitlinien zur Priesterausbildung sollen Männer mit „tiefsitzenden homosexuellen Tendenzen“ nicht zugelassen werden. „Franziskus ist aber der erste Papst, mit dem ich mich wirklich identifiziere, weil ich hoffe, dass er die Kirche endlich öffnet“, sagt Förster. Benedikt XVI. und sein Vorgänger Johannes Paul II. hatten immer wieder erklärt, Homosexualität verstoße gegen christliche Werte. Förster hatte ihre Namen in den Gebeten während der Messe oft nicht genannt. „Ich konnte einfach nicht.“

Zahl der Priester

Wie viele Priester homosexuell sind, ist unklar. Der Augsburger Theologe Hanspeter Heinz schätzt den Anteil in Deutschland auf 20 Prozent. In den USA soll es laut Experten sogar jeder Zweite sein.

In diesem Sommer hat Förster wieder viele Paare getraut. Schwule waren nicht dabei, zumindest nicht offiziell, das ist schließlich verboten. Wenn Homosexuelle aber fragen, ob sie Gottes Segen erhalten, lehnt Förster nicht ab. Er trifft sie in einem Hotel, die Kirche wäre zu auffällig. Keine Fotos, zu den Gästen sagt er, sie sollen niemandem erzählen, dass er da war. Ohne Priestergewand segnet er Mann und Mann, Frau und Frau. Es ist keine echte Trauung, aber die Paare sind ihm dankbar. Sie alle mussten sich entscheiden. Zwischen der Kirche und ihrer Liebe. Dann haben sie beides gewählt.

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