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Rundschau-Debatte des TagesZu links fürs Bundesverfassungsgericht?

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Ihre Nominierung stieß in CDU und CSU nicht auf ungeteilte Zustimmung: Frauke Brosius-Gersdorf gilt manchen als „zu links“.

Ihre Nominierung stieß in CDU und CSU nicht auf ungeteilte Zustimmung: Frauke Brosius-Gersdorf gilt manchen als „zu links“. 

An diesem Freitag soll der Bundestag drei neue Richter für das höchste deutsche Gericht wählen. Doch Union und SPD sind dafür auf Stimmen der Opposition angewiesen. Und bei einer Kandidatin ist nicht einmal klar, ob CDU und CSU wirklich hinter ihr stehen.

Am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sind gleich drei Stellen neu zu besetzen. An diesem Freitag stimmt der Bundestag über die Kandidatinnen und Kandidaten ab. Doch um eine Personalie gab es im Vorfeld politischen Streit. Wird die Wahl für die schwarz-rote Koalition deshalb zur nächsten Zerreißprobe?

Warum müssen neue Richter für Karlsruhe gewählt werden?

Die 16 Verfassungsrichterinnen und -richter in Karlsruhe sind nur auf Zeit gewählt. Ihre Amtszeit beträgt höchstens zwölf Jahre. Außerdem gibt es eine Altersgrenze von 68 Jahren. Richter Josef Christ erreichte diese Altersgrenze bereits im vorigen November, Ende November lief seine Amtszeit darum ab. Im vergangenen Monat feierte die Vizepräsidentin des Gerichts, Doris König, ihren 68. Geburtstag. Später im Jahr scheidet auch Richter Ulrich Maidowski aus. Darum gibt es gleich drei Vakanzen in Karlsruhe.

Wie läuft eine Richterwahl für das Verfassungsgericht ab?

Die Verfassungsrichterinnen und -richter werden je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt. Diesmal ist der Bundestag an der Reihe. Die dort vertretenen Parteien wechseln sich nach Proporz mit Vorschlägen ab, Linke und AfD sind darin allerdings bislang nicht einbezogen. In diesem Jahr machte die SPD zwei Vorschläge und die Union einen. Der Wahlausschuss des Bundestags nominierte am Montag alle drei Kandidierenden. Im Plenum brauchen die Vorschläge nun eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen, um angenommen zu werden. Der Bundestag stimmt in zwei getrennten Wahlgängen ab – zunächst kommt der Kandidat der CDU, dann die Kandidatinnen der SPD. Die Wahl ist geheim, sodass auch im Nachhinein nicht nachvollziehbar ist, welche Abgeordneten wie abgestimmt haben. Die neu gewählten Verfassungsrichter werden dann von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ernannt.

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Wer darf Verfassungsrichter oder -richterin werden?

Die Kandidaten müssen mindestens 40 Jahre alt und Volljuristen sein. Je drei Mitglieder in jedem der beiden Senate am Verfassungsgericht müssen außerdem zuvor für mindestens drei Jahre an einem Bundesgericht gearbeitet haben, das sind die obersten Gerichtshöfe des Bundes. Christ war vor seiner Zeit in Karlsruhe Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichts. Sein möglicher Nachfolger Günter Spinner, der Kandidat der Union, ist aktuell Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht.

Was ist in diesem Jahr bei der Kandidatenauswahl anders?

Die neuen politischen Machtverhältnisse machen die Richterwahl besonders kompliziert. Die erste Karlsruher Stelle war schon vor der Bundestagswahl im Februar neu zu besetzen, die Fraktionen konnten sich aber nicht auf einen Kandidaten einigen. Da zwei Monate nach Ablauf von Christs Amtszeit noch kein Nachfolger gewählt war, forderte der damalige Wahlausschuss das Verfassungsgericht auf, selbst Vorschläge zu machen. Das tat es im Mai. Die Gerichtsvorschläge sind aber nicht bindend, von ihnen wurde nur Spinner schließlich nominiert. Die SPD schlug die beiden Juraprofessorinnen Ann-Katrin Kaufhold aus München und Frauke Brosius-Gersdorf aus Potsdam vor. An Brosius-Gersdorf gab es Kritik aus der Union, vor allem wegen ihrer Position zum Abtreibungsrecht (s. Kasten). Der Wahlausschuss nominierte aber schließlich alle drei Kandidierenden.

Welche Hürde steht der Stellenbesetzung noch im Weg?

Dies ist die notwendige Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen. Union und SPD erreichen dieses Quorum nicht aus eigener Kraft, auch nicht mit den Grünen zusammen. Es ergeben sich damit drei Möglichkeiten. Erstens könnte zumindest ein Teil der Abgeordneten von Linkspartei oder AfD für die Vorschläge der Regierungsparteien stimmen. Die Spitze der AfD-Fraktion empfahl die Wahl des CDU-Kandidaten, Union und SPD wollen allerdings eine Abhängigkeit von der AfD vermeiden.

Die Linksfraktion wiederum beschloss die Unterstützung der SPD-Kandidatinnen und forderte Gespräche von der Union. CDU und CSU winkten bislang aber ab. Fraktionschefin Heidi Reichinnek sagte dem „Spiegel“, die Fraktion werde am Freitagmorgen in einer Sondersitzung entscheiden, „wie wir mit dem Kandidaten der Union verfahren“.

Eine zweite Möglichkeit wäre, dass nicht alle Abgeordneten von Linkspartei und AfD an der Bundestagssitzung teilnehmen. Darauf setzt offenbar die Union. Entscheidend sind nämlich nur die abgegebenen Stimmen. Sollte im Bundestag keine Zweidrittelmehrheit zustande kommen, könnte drittens auch der Bundesrat über die Nominierten entscheiden. Er kann einspringen, wenn der Bundestag innerhalb von drei Monaten nach den Wahlvorschlägen des Gerichts niemanden wählte. (afp)