Einsamkeit im AlterKölner Mediziner plädiert für Tablet-PCs auf Rezept

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Gina Conrad zeigt zwei Seniorinnen etwas auf den Tablets

In der geriatrischen Rehabilitationsklinik des St. Marien-Hospitals gehören auch Tablet-Schulungen zum therapeutischen Angebot.

Immer mehr ältere Menschen leiden unter Einsamkeit. So geht das Altersmedizinische Zentrum am St. Marien-Hospital damit um.

Die pinke „Begegnungsbank“ vor dem St. Marien-Hospital im Kunibertsviertel soll Menschen miteinander ins Gespräch bringen. Vielmehr noch steht sie dort aber als Symbol für das Thema Einsamkeit im Alter. „Wir sehen das Problem schon länger auf uns zukommen, und wir stehen erst am Anfang“, sagt Professor Dr. Ralf-Joachim Schulz, Leiter des Altersmedizinischen Zentrums am St. Marien-Hospital. „Wir haben definitiv eine Verantwortung für dieses Thema. Einsamkeit kann große Auswirkungen auf die körperliche und seelische Gesundheit älterer Menschen haben.“

Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fühlen sich Millionen Menschen in Deutschland einsam, im Alter steigt die Gefahr der sozialen Isolation. „Viele alte Menschen der Generation haben keine Kinder oder sie leben weit entfernt, Vertraute und Gesprächspartner sind vielleicht schon gestorben“, zählt Professor Schulz die Gründe für Einsamkeit im Alter auf.

Videoanrufe gegen das Alleinsein

Es spielen laut dem Mediziner aber auch körperliche Faktoren eine Rolle: Durch schwindende Muskelkraft und körperliche Inaktivität fühlen sich Senioren schnell antriebslos und schwach - und trauen sich oft nicht mehr zu, eine Straßenbahn oder ein Taxi zu benutzen. „Das Leben spielt sich dann nur noch in den eigenen vier Wänden oder vor der eigenen Haustür ab“, so Schulz. Auch Inkontinenz, beginnende Demenz oder eine Herzinsuffizienz seien Gründe, die das Vertrauen in den eigenen Körper reduzieren und den soziale Rückzug begünstigen. „Erschwerend kommen auch finanzielle Probleme im Alter hinzu.“ 

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Zur Prävention von Einsamkeit im Alter sind deshalb in der geriatrischen Rehabilitationsklinik des Krankenhauses auch Tablet-Schulungen Teil des therapeutischen Angebots. „Wenn Angehörige nicht die Zeit für Besuche haben, dann ist es wichtig, dass man andere Wege der Kommunikation findet“, sagt Gerontologin Gina Conrad, die die von der Stiftung „Digitale Chancen“ in Berlin geförderten Tablet-Kurse durchführt. Fotos machen und verschicken, Videoanrufe, Aufklärung über Betrug durch gefälschte E-Mails oder den Rewe-Lieferdienst bestellen - das alles versucht sie den Seniorinnen und Senioren bei den wöchentlichen Sitzungen beizubringen.

Man muss den Menschen nur die Angst vor der Technik nehmen, und ihnen dazu die Chance geben, aus der Isolation herauszukommen.
Professor Dr. Ralf-Joachim Schulz, Leiter des Altersmedizinischen Zentrums am St. Marien-Hospital

Der Austausch über das Tablet oder Smartphone erleichtere oft den Kontakt mit der jüngeren Generation ungemein, etwa mit den Enkelkindern, sagt Professor Schulz. Das habe sich gerade in Zeiten von physischer Distanzierung, wie es während der Corona-Pandemie der Fall war, gezeigt. Besonders Fotos oder Videoanrufe schaffen dann wieder Nähe. „Man muss den Menschen nur die Angst vor der Technik nehmen, und ihnen dazu die Chance geben, aus der Isolation herauszukommen.“ Schulz plädiert sogar dafür, Tablet-PCs per Rezept zu verschreiben. „Das wäre vielleicht in manchen Fällen hilfreicher als manch ein Antidepressivum.“

Die digitale Kommunikation kann und soll jedoch das Gespräch von Mensch zu Mensch nicht ersetzen. „Vielen ist ihre Isolation gar nicht so bewusst, das beginnt oft langsam und verschlimmert sich über die Jahre“, so Schulz. Im St. Marien-Hospital werden bei der Anamnese standardisiert auch soziale Komponenten erfasst, etwa die Betreuungssituation zu Hause, damit bereits dann das Entlassungsmanagement beginnen kann. Pflegerinnen und Pfleger sind dafür extra zertifiziert.

Prof. Dr. Ralf-Joachim Schulz sitzt auf der pinken Bank.

Prof. Dr. Ralf-Joachim Schulz auf der „Begegnungsbank“.

Das klassische Ehrenamt dagegen werde immer weniger, berichtet der Mediziner. „Wir haben zunehmend Probleme im Krankenhaus, die sogenannten grünen Damen zu finden“, so Schulz. „Ich sehe aber in der jungen Generation eine soziale Kompetenz. Wenn wir sie dazu ermutigen, haben wir eine Chance.“ Potenzial sehe er auch im Einsatz von Pflegerobotern - denn wenn diese im Hintergrund die zeitaufwendige Dokumentation übernehmen, gebe es wieder mehr Zeit für die Kommunikation zwischen den Menschen.

Auch die pinke „Begegnungsbank“ vor dem Krankenhaus mit direktem Blick auf die Pfarrkirche St. Kunibert werde bereits gut angenommen. Die Stiftung des Pflegedienstes Home Instead hat deutschlandweit 22 Bänke aufgestellt, in Köln ist sie die einzige. Bald soll auf ihr noch ein QR-Code den Weg zu einer digitalen Kommunikationsplattform weisen: Auf ihr können Menschen dann anonym ihre eigene Geschichte über die  Einsamkeit teilen.

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