Frust über ImpfstoffmangelWie Kölner Hausärzte einen neuen Weg gehen wollen

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Kapp

Dr. Michael Kapp plant mit einigen Kollegen eine Gemeinschafts-Impfpraxis im Kölner Norden.

  • Weil der Andrang groß und die Liefermengen knapp sind, stoßen Arztpraxen an ihre Grenzen.
  • Im Kölner Norden soll nun eine Gemeinschafts-Impfpraxis entstehen.

Köln – Die schlechte Nachricht kommt am Donnerstagvormittag per E-Mail. Im Postfach seiner Praxis im Kölner Stadtteil Mülheim öffnet Dr. Peter Kreuz die Benachrichtigung seines Apotheken-Lieferanten mit der Information über die Impfstofflieferung für die kommende Woche. „Null“, sagt Kreuz fassungslos. Nichts. Noch am Mittwochnachmittag hat er 140 Patienten geimpft, so wie zuletzt immer mittwochs. „Jetzt müssen wir 150 Menschen wieder absagen“, ärgert er sich.

Seit 30 Jahren praktiziert Kreuz in Mülheim, einem multikulturellen Stadtteil im Rechtsrheinischen. Fünf Helferinnen und Helfer hat er. Sie alle arbeiten schon lange 60 Stunden pro Woche, „ohne Übertreibung“, versichert Kreuz und mahnt: „Wir sind an einem Punkt angekommen, wo es nicht mehr geht. Der Impfaufwand läuft aus dem Ruder, das kann kein Mensch mehr leisten“, moniert er. Täglich gingen etwa 60 Fragen zu Impfungen per Mail in seiner Praxis ein. Das Team bemühe sich, alle zu beantworten.

Mit seinem Hilferuf ist der Arzt aus Mülheim nicht allein. „Die Hausärzte könnten viel mehr leisten, leiden aber unter der Impfstoff-Knappheit“, weiß Dr. Jürgen Zastrow, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung in Köln. Er kritisiert schon seit Wochen den enormen bürokratischen Aufwand, der mit den Corona-Schutzimpfungen über die Hausärzte hereingebrochen ist. Und seit dieser Woche hoffen nicht mehr nur die Hausärzte auf Impfstoff, sondern auch Betriebsärzte.

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Ärzte wollen gemeinsam Impfungen organisieren

Im Norden von Köln, wo mehrere Stadtteile mit hohem Infektionsgeschehen zu kämpfen haben, will ein Dutzend Ärzte nun einen neuen Weg einschlagen. Aus dem Taborzentrum in Heimersdorf, einem größeren Veranstaltungssaal, soll eine Gemeinschafts-Impfpraxis werden. „Wir wollen hier 500 bis 1000 Impfungen pro Woche schaffen“, sagt Dr. Michael Kapp, dessen Praxis nur wenige Meter vom Taborzentrum entfernt liegt. Geplant sind Impfungen ohne Voranmeldung. Jeden Nachmittag.

Die Initiative für dieses Projekt hatten schon vor Monaten die Bürgervereine von Heimersdorf, Seeberg, Lindweiler und Volkhoven-Weiler ergriffen. „Anfangs ging es uns um die Einrichtung von Testzentren, da war noch gar kein Impfstoff in Sicht. Dann wurde uns bewusst, dass nicht jeder aus dem Norden ins Impfzentrum nach Deutz fahren wird. Also haben wir gehandelt“, erzählt Dieter Höhnen, Vorsitzender des Bürgervereins in Heimersdorf. Die Eröffnung der Impfpraxis war für Montag geplant. Doch daraus wurde nichts, weil der Impfstoff zu knapp war. „Derzeit können wir nicht seriös überblicken, wann wir öffnen können“, stellt er leicht enttäuscht fest.

Terminvereinbarung mit hohem Aufwand

Am Mittwochnachmittag hat sich Dr. Michael Kapp mit Kollegen getroffen, um die Planungen für die Gemeinschafts-Impfpraxis voranzutreiben. Denn das derzeitige Prozedere bringt auch ihn und sein Personal an die Kapazitätsgrenze. „Es ist enorm aufwändig, die Patienten zu kontaktieren und feste Termine ausmachen, ohne zu wissen, ob wir dann auch genügend Impfstoff bekommen“, sagt auch er. Katja Boettcher, seine medizinische Assistentin, erzählt, sie benötige zum Teil vier bis fünf Anrufversuche, um Patienten zu erreichen.

Zusätzliche Arbeit bereiten den Hausärzten auch die terminierten Zweitimpfungen. Anfangs sollte der Abstand zwischen zwei Impfungen zwölf Wochen betragen. „Das ist irgendwann auf sechs, dann auf vier Wochen reduziert worden. Das können wir gar nicht planen“, berichtet Kapp. Welche Folgen die immer neuen Informationen und geänderten Abläufe haben können, hat erst vorigen Sonntag die Kassenärztliche Vereinigung erfahren müssen. Versehentlich waren bei Terminverschiebungen 60 Menschen für den Sonntag zur Zweitimpfung eingeladen worden, obwohl das Impfzentrum sonntags geschlossen hat. Nun heißt es: Termine bitte nicht verschieben, denn das sei aussichtslos.

Eine Flut an täglichen Informationen

Jeden Abend, so erzählt es Dr. Michael Kapp, versucht er dem Informationsschwall Herr zu werden. Die Kassenärztliche Vereinigung schicke Neuigkeiten, der Regionalverband ebenfalls, nicht zu vergessen die Pharmakonzerne. „Jeden Feierabend kämpfe ich mich durch mindestens acht Seiten“, sagt Kapp. Etwa 400 Patienten hat er bislang in seiner Praxis geimpft. Eine Warteliste führe er nicht. Seit dem die Hausärzte impfen dürfen, habe sein Personal aus eigener Initiative all jene Patienten kontaktiert, die laut Priorisierung für eine Impfung infrage kommen. Bis heute sei das so.

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Wenn das Taborzentrum irgendwann zur Impfpraxis wird, sollen nicht nur die Menschen aus Heimersdorf von dem Angebot profitieren. Als der Impfbus der Stadt vor knapp drei Wochen im benachbarten Chorweiler stoppte, weil die Sieben-Tage-Inzidenz – befeuert durch die Enge der Hochhaussiedlungen – jenseits der 500er-Marke lag, war auch Dieter Höhnen vom Bürgerverein auf den Liverpooler Platz gekommen. „Ich habe gesehen, wie viele Menschen enttäuscht gegangen sind, weil sie nicht in Chorweiler wohnen und keine Chance auf eine Impfung hatten. Wir wollen aber niemanden wegschicken“, skizziert er das ehrgeizige Ziel. Höhnen hofft, dass sie Menschen nicht alle in der ersten Woche oder am ersten Tag kommen. „Das Angebot ist bis August geplant. Und die ersten zwei Wochen sind als Probezeit vorgesehen“, sagt er. Sicher ist sicher.

Dr. Peter Kreuz aus Mülheim bereitet nicht nur die Impfstoffknappheit Sorge. „Allmählich kommt unser eigentlicher Auftrag zu kurz. Denn die Kranken kommen nicht mehr zu uns, das ist gefährlich“, warnt er und verdeutlicht, auf wie vielen Ebenen die Gefahren der Pandemie lauern.

KV Nordrhein will alle Impfwilligen Erwachsenen bis Ende Juni erstimpfen

5200 nordrheinische Praxen beteiligen sich am Impfgeschehen. Mittlerweile finden knapp 60 Prozent aller durchgeführten Impfungen in Nordrhein in Arztpraxen statt. Die Rolle der Arztpraxen in der Impfkampagne nimmt seit Ostern kontinuierlich zu. Vor fünf Wochen betrug der Anteil der Impfungen in Arztpraxen noch 28 Prozent.

Noch bekommen Ärzte allerdings nicht immer die Mengen an Impfstoff geliefert, die sie bestellt haben. Den Frust und Ärger in den Praxen könne Bergmann verstehen, wenn zum Beispiel bereits vereinbarte Termine storniert werden müssen. Regional seien die Unterschiede groß. An manchen Stellen kämen die bestellten Mengen an, an anderen Stellen nicht. Im Juni werde sich das mit erhöhten Liefermengen laut Bergmann „definitiv“ ändern.

Dann sollen wöchentlich 500 000 Impfdosen in nordrheinische Praxen geliefert werden.Der Andrang in den Praxen wird weiter steigen, wenn dort am 7. Juni die Impfpriorisierung fällt. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO), Frank Bergmann, sagt: „Die Aufhebung macht nur dann Sinn, wenn mehr Impfstoff verfügbar ist. Aber das ist ja ab Juni der Fall.“ So werde die KVNO allen Menschen „sehr schnell“ ein Impfangebot machen können. Klar sei aber auch, dass das nicht innerhalb von ein bis zwei Wochen passieren könne. Bei allen, die bisher noch nicht von einer Impfung profitieren konnten, sei eine gewisse Unruhe zu spüren. „Wir müssen uns noch etwas in Geduld üben“, sagte Bergmann.

Ende April hatte die KVNO eine Modellrechnung zum Impfgeschehen aufgestellt. Die Hauptaussage: Bis Ende Juni bekommen alle impfwilligen Erwachsenen in NRW in einem optimistischen Szenario eine Erstimpfung. Das sind rund zwölf Millionen Menschen. Drei Wochen später scheint das Ziel lauf Aussage der KVNO immer noch realistisch. Teilweise lag die Impfquote in den vergangenen Wochen leicht über dem optimistischen Szenario. Der Ausblick: Ende Mai sind weniger Erstimpfungen zu erwarten, da in den Praxen viele Zweitimpfungen anstehen. Durch die größeren angekündigten Impfstoff-Liefermengen und die Einbindung der Betriebsärzte soll das Tempo ab Anfang Juni wieder ansteigen.

Die 1,5 Millionen Schüler in NRW zu impfen, sei laut KVN eine der nächsten Herausforderungen. Aktuell plant die KVNO gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium, wie und wo Schüler geimpft werden sollen. (sim)

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