(K)ein „Teufelsgeiger“Musiker Igor Epstein über das Judentum und die Wahlheimat Köln

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„Bei mir bistu shein“ spielte Igor Epstein auf besonderen Wunsch von Marcel Reich-Ranickis Gattin Tosia auf Familienfesten.

„Bei mir bistu shein“ spielte Igor Epstein auf besonderen Wunsch von Marcel Reich-Ranickis Gattin Tosia auf Familienfesten.

Köln – Die Musik-Akademie von Igor Epstein liegt in der Südstadt. Früher war es sauberer im Vringsveedel, in ganz Köln, sagt er. Aber verliebt in diese Stadt ist er trotzdem.

Den Namen Epstein samt Abwandlungen hört man recht häufig. Ist das in Litauen so etwas wie hier Schmitz?

Epstein: Das „Ep“ lässt sich nicht übersetzen, aber ich habe nachgeforscht: Meine Vorfahren kommen aus dem Taunus, wo es ein Städtchen namens Eppstein gibt. Der Herzog wollte, dass alle seine Untertanen diesen Nachnamen tragen: die Christen mit zwei, die Juden mit einem p.

Dieter Epstein war mal Trainer von Fortuna Köln.

Kenne ich leider nicht, aber dafür Katja Ebstein − übrigens ein Künstlername. Wir waren beide bei Ralph Siegel unter Vertrag. Eine tolle Sängerin und ein Mensch mit großem Herz. Unsere jüngste Tochter haben wir auch Katja genannt.

Sie haben in Deutschland zunächst in Berlin gelebt.

Ja, aber der Herrgott hat mich nach Köln geleitet. Als Bandleader habe ich auf Touristenschiffen gespielt und dabei eine nette Familie aus Köln kennengelernt, die mich hier hinlotste. Inzwischen weiß ich, es gibt viele Parallelen zwischen meiner ersten Heimat Vilnius, meiner zweiten Rostow am Don und Köln. Alle drei Städte sind sehr multikulturell. In Vilnius lebten damals nur wenige Litauer, dafür umso mehr Juden, Polen und Russen.

Fühlen Sie sich als Litauer, obwohl Sie mit neun Jahren in den nördlichen Kaukasus zogen?

Litauen gehörte ja zur Sowjetunion, aber wir galten weder als Litauer noch als Russen, sondern als Juden – das war unsere offizielle Nationalität. Ich habe Russisch, Litauisch, Jiddisch und Polnisch gelernt. Und inzwischen kann ich auch noch ein bisschen Deutsch.

Zur Person

1962 wurde Igor Epstein im litauischen Vilnius, damals Teil der Sowjetunion, geboren. Als er neun Jahre alt war, zog die Familie nach Rostow am Don in den nördlichen Kaukasus. Dort studierte er klassische Geige und Bratsche und Kontrabass-Jazz.

1990 ging er nach Deutschland und landete schnell in Köln, das zur seiner dritten Heimatstadt wurde. In der Folge spielte er in berühmten Lokalen, auf renommierten Bühnen und mit prominenten Musikern wie Chris de Burgh, Gloria Gaynor, Nino de Angelo, Johnny Logan, Ricky Shayne und Jennifer Rush. Parallel dazu veröffentlicht er eigene CDs mit Jazz und Klezmer-Musik.

2003 gründete er mit zwei Freunden die „Weltmusik, Klezmer und Ästhetik Akademie“ samt einem „Integrations- und Begegnungszentrum e.V.“. In seinen Räumen in der Kölner Südstadt gibt er Musikunterricht, aber auch Starthilfe für Neuankömmlinge in Deutschland.

2021 erhielt er den Ehrenamtspreis der Stadt Köln. Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges hilft er auch von dort kommenden Flüchtlingen. Igor Epstein hat mit seiner Frau zwei erwachsene Töchter und wohnt in Weiden. (img)

www.teufelsgeiger.com

www.klezmer-tov.de

www.weltmusikakademie.org

Ihre „Weltmusik, Klezmer und Ästhetik Akademie“ samt „Integrations- und Begegnungszentrum e.V.“ fühlt sich dem jüdischen „Tzedaka“ verpflichtet. Was meint das?

Ein Gebot zur Wohltätigkeit. Wenn ich sehe, jemandem geht es schlecht, egal welcher Herkunft und Religion, bin ich verpflichtet zu helfen. Rostow, wo ich aufgewachsen bin, liegt keine 60 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Also muss ich den Menschen helfen!

Was tun Sie?

Unter anderem bringen wir seit Monaten tonnenweise Hilfsgüter ins Land. Und hier in meiner Akademie gebe ich Ukrainern umsonst Musikunterricht und stelle meine Räume zur Verfügung.

Wer hat 1990 Ihnen beim Start hier geholfen?

Am dritten Tag in Köln habe ich einen jüdischen Jazz-Schlagzeuger getroffen, über den ich im legendären Jazz-Café Melody auf der Dürener Straße spielen konnte, das einem auch Russisch sprechenden Tschechen gehörte. Ein perfekter Einstieg!

Später haben Sie im einst berühmtem Promi-Restaurant Maca-Ronni aufgespielt, das auch Alfred Biolek gehörte.

Ein damals weltberühmter Ort, in dem viele internationale Künstler zusammenkamen. Ich bin dort dank Moshe Fleischer gelandet, der schon mit Santana, Adriano Celentano und Howard Carpendale getourt ist. Im Maca-Ronni habe ich mit Moshe gespielt und im ersten Jahr Leute wie Elton John, Jennifer Rush oder auch Gloria Gaynor kennengelernt. Alles großartige Menschen, dafür bin ich Gott sehr dankbar.

Da oben passt jemand auf, glauben Sie?

Ich bin nicht übermäßig religiös, aber halte mich an die jüdischen Traditionen. Und ich bin nicht konservativ, sondern ein Rock’n’Roller. Aber sagen wir es so: Ohne Gott geht gar nichts!

Halten Sie den wöchentlichen Shabbat ein, an dem zum Beispiel nicht gearbeitet werden darf?

Ich versuche es, aber es gelingt mir nicht immer. Unsere älteste Tochter war zwar in einem jüdischen Kindergarten, aber später auf der Liebfrauenschule , einem christlich-erzbischöflichen Gymnasium. Ich bin auch schon oft in Moscheen gewesen, warum nicht. Muslime, Christen und Juden, sage ich, sind Brüder und Schwestern: ein Vater, verschiedene Mütter.

Es gibt auch Fotos von Ihnen und Marcel Reich-Ranicki.

Marcel war unglaublich faszinierend: ein polnischer Jude, der den Krieg überlebt und ausgerechnet in Deutschland zum „Literaturpapst“ aufsteigt. Ich habe bei allen runden Geburtstagen für ihn aufgespielt, wir waren gute Freunde. Noch besser habe ich mich mit seiner Gattin Tosia verstanden. Wenn ich für sie „Bei mir bistu shein“ gespielt habe, war sie die glücklichste Frau der Welt.

Neben dem Jazz spielen Sie Klezmer-Musik. Ist sie identisch mit jüdischer Folklore?

Klezmer ist eine Volks- und Tanzmusik, die sich aus der osteuropäischen Hochzeitsmusik entwickelt hat – wunderbar einfach und stimmungsvoll.

Recht simpel ist auch die kölsche Folklore. Stehen Sie mit kölschen Musikern in Kontakt?

Klar! Der erste war Micky Brühl, wir sind inzwischen alte Freunde. Er und Wicky Junggeburth haben mich übrigens überredet, eine CD mit alten kölschen Liedern aufzunehmen. Alles instrumental, ohne den kölschen Gesang natürlich, den kriege ich nicht hin. Vor allem von Willi Ostermann gibt es wunderschöne Kompositionen.

Ihr Zwirbelschnäuzer geht in eine sehr kölsche Richtung.

Stimmt, da haben mir meine kölschen Freunde zu geraten. Ich bin ein sehr stolzer Wahlkölner.

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Warum eigentlich?

Als Musiker komme ich viel rum und kann die Menschen aus Kiel, München oder Frankfurt von Kölnern unterscheiden. Kölner Menschen, egal aus welcher Ecke unserer Erde sie kommen, sind offen und zugänglich. Um hier akzeptiert zu werden, braucht man keinen Uni-Abschluss, sondern Herz. Und in den alten, echten Kneipen kommt man auch schnell mit jedem in Kontakt. Ich sage mal: Päffgen!

Warum nennen Sie sich der „Teufelsgeiger“?

Tue ich nicht, das will ich nicht mehr hören! (lacht)

Ihre Webadresse lautet www.teufelsgeiger.com.

Das stammt aus der Zeit mit Ralph Siegel. Ich habe ihn auf der Hochzeit von Andrea Berg und Olaf Henning kennengelernt, zwei Wochen später habe ich bei ihm einen Künstlervertrag unterschrieben. Für Ralph war ich ein Nachfolger von Helmut Zacharias, der ja auch „Teufelsgeiger“ genannt wurde. Ich habe gesagt, Ralph, den Namen trägt doch heute jeder Kirmesgeiger, außerdem will ich mit dem Teufel nichts zu tun haben. Aber er bestand darauf, mich so zu vermarkten.

2021 haben Sie für die Arbeit Ihrer Akademie den Kölner Ehrenamtspreis bekommen.

Als Künstler und Ehrenamtler hat das natürlich mein Ego gekitzelt.

Man gilt dann als „Held des Monats“ ...

Eine Studentin von mir schickte mir ein Foto aus der Neumarkt-Passage – als „Held des Monats“. Ich war ein bisschen schockiert, aber das ist schon okay. Jetzt bin ich sogar als erster Jude für den Bundes-Ehrenamtspreis nominiert.

Ihre Website eröffnet mit einem Foto, auf dem Sie eine schwarze Lederhose tragen.

Gamaschen und Lederhose sind bei jedem Auftritt dabei.

Nur die Größen ändern sich, nehme ich an.

Vielen Dank für die Anspielung! Ich rechne die Vergangenheit nicht in Jahren zurück, sondern in Kilos. Am wichtigsten sind allerdings meine Schuhe. Als ich 1993 erstmals in London war, habe ich einen alten jüdischen Schuhmacher kennengelernt. Ich hatte mit zwei Konzerten ganz anständig Geld verdient und mir davon ein Paar Schuhe machen lassen. Diese Schuhe besitze ich bis heute. Die sind mein Talisman, und bei sehr wichtigen Auftritten gibt es nichts anderes für mich.

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