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Haus in Kalk geräumtWarum das Projekt „Obdachlose mit Zukunft“ in Köln vorerst scheitert

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Ein ehemaliger Bewohner des OMZ steht mit seinen Koffern vor dem Haus auf der Gummersbacher Straße.

Ein ehemaliger Bewohner des Projekts "Obdachlose mit Zukunft" mit seinen Koffern vor dem Haus auf der Gummersbacher Straße.

Kölns Sozialdezernent spricht von mafiösen Strukturen. "Einem wurde fast die Hand abgehackt", berichtet ein Bewohner des Hauses.

Zwei Zahnbürsten liegen auf einem Verstärker. Julia (36) und Patrik (32) haben sie aussortiert. „Ob wir heute Nacht in einer Notunterkunft oder draußen schlafen, wissen wir noch nicht“, sagt Julia. Am Mittwoch mussten die Bewohner im selbstverwalteten Projekt „Obdachlose mit Zukunft“ (OMZ) in der Gummersbacher Straße in Kalk ihr Haus räumen. Der Nutzungsvertrag mit der Stadt ist ausgelaufen, das marode Gebäude soll abgerissen werden. Doch auch das Projekt will die Stadt in der bisherigen Form (wie berichtet) nicht weiterführen.

„Es gab mafiöse Strukturen. Es wurden Gelder gefordert“, begründet Sozialdezernent Harald Rau die Entscheidung. Von schwerer Körperverletzung und Zwangsprostitution ist die Rede. Bewohner bestätigten das. „Es war ein Chaos. Einem wurde fast die Hand abgehackt“, sagt Bewohner Spike. Der 27-Jährige, Gründungsmitglied des OMZ, ist wütend. „Ein paar wenige haben alles kaputtgemacht“, sagt er.

Die Stadt hat versagt. Sie ist viel zu spät eingeschritten und hat es weiter eskalieren lassen.
Rainer Kippe, OMZ-Gründungsmitglied

Mit der Räumung des Hauses Gummersbacher Straße ist eine Idee, die viel Unterstützung in der Stadt gefunden hatte, zumindest teilweise gescheitert. Vor mehr als drei Jahren besetzten einige ehemals Obdachlose ein leerstehendes Gebäude in der Marktstraße in der Südstadt. Sie richteten sich ein, werkelten und stellten Regeln auf. Nach breiter gesellschaftlicher Unterstützung übergab die Stadt dem Projekt das leerstehende Haus in Kalk als Interim.

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Doch dann liefen dort die Dinge aus dem Ruder. Straftäter kamen hinzu. „Versuche, sie durch die Polizei aus dem Haus zu werfen, sind daran gescheitert, dass wir kein Hausrecht hatten“, kritisiert Spike. „Die Stadt hat versagt. Sie ist viel zu spät eingeschritten und hat es weiter eskalieren lassen“, schimpft OMZ-Gründungsmitglied Rainer Kippe von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim. Versäumnisse sieht auch der ehemalige Südstadtpfarrer Hans Mörtter. „Es gab keinen Gemeinschaftsraum, in dem sich das Plenum treffen konnte, es gab keine regelmäßige Sozialarbeit und keine Werkräume“, sagt er.

Um neue Strukturen zu schaffen, will die Stadt jetzt eine Zäsur. Erst in etwa drei Monaten soll das Projekt OMZ in einem Haus in der Winterberger Straße in Merheim eine neue Chance bekommen. Allerdings in anderer Form. Wie berichtet, soll ein Träger das Haus führen. Mit der Selbstverwaltung ist es erst einmal vorbei.     „Ohne Unterbrechung würde die Angst-Kultur mitgehen“, begründet Rau die Pause.

Für das neue OMZ-Haus ist eine Bewerbung nötig

Wer in das neue Haus, in dem es rund 15 Plätze geben soll, darf, entscheidet der Träger. Notwendig ist eine Bewerbung. Gegen die sperren sich aber bisher nicht wenige aus dem OMZ-Projekt. „Ich gehe nicht zu einem Casting. Ich finde das menschenunwürdig“, sagt Andreas. Der 52-Jährige und seine Freundin sind schon am Dienstag ausgezogen. „Wir leben jetzt in einem Zelt und hoffen, dass wir über Housing First an eine Wohnung kommen“, sagt Andreas. Seine Besitztümer kann er zwischenzeitlich einlagern. Die Stadt hat das für alle Bewohner organisiert.

Helfer verstauen Kisten in Transporter und schleppen Möbel. Sowohl der Sozialdezernent als auch Sozialarbeiter und die Leiterin des Amts für Wohnungswesen, Heike Kerscher, sind bei der Räumung vor Ort. „Heute beraten wir“, erklärt Rau, der bei der Mahnwache, die sich vor dem Haus gebildet hat, fünf Minuten Redezeit bekommt.

„Ich stimme allen zu, die sagen, im OMZ habe sich eine Gemeinschaft gebildet und dort sei viel Gutes passiert. Was nicht gut war, war, dass die Gruppe sich nicht selbst schützen konnte“, sagt Rau und verspricht: „Wir wollen das Gute weiterführen.“ Immerhin eine Hoffnung für Unterstützer wie Hans Mörtter. Ihm ist die Zusammenarbeit mit der Stadt sehr wichtig. „Wir müssen gucken, dass wir die Idee des OMZ am Leben erhalten“, sagt er, „Es ist dramatisch, dass Menschen auf die Straße müssen.“

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