Pioniere in KölnMentoren helfen besonders schutzbedürftigen Geflüchteten

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Glücklich in ihrer neuen Heimat sind Samira und Fouad A. mit ihren Kindern. Und sehr dankbar für die Hilfe von Mentorin Angelika K. und Mentor Ottmar Bongers. Alle stehen zusammen und lächeln.

Glücklich in ihrer neuen Heimat sind Samira und Fouad A. mit ihren Kindern. Und sehr dankbar für die Hilfe von Mentorin Angelika K. und Mentor Ottmar Bongers.

Selbständiges Leben ist das Ziel. In Merheim haben besonders schutzbedüftige Menschen das trotz jahrelanger Fluchtgeschichte schnell erreicht. 

„Sicherheit“, „Freunde“, „kein Stress“ — diese Worte sagt Fouad A. oft, wenn er von seinem Leben in Köln erzählt. Das begann am 18. Mai 2021. Ein Datum, dass er nie vergessen werde, sagt der 30-Jährige. An diesem Tag kam er mit seiner Frau Samira und seinem kleinen Sohn Khaled nach Deutschland.

Fast fünf Jahre lang war das Paar auf der Flucht, durch den Sudan, Somalia, Jemen, Niger. In einem Lager in Lybien kam Sohn Khaled zur Welt. Es folgten Jahre voller Sorge um den Säugling, mit Mangelernährung, traumatischen Erfahrungen, ohne Chance auf ein normales Leben.

Die ungläubige Freude von damals wird greifbar

Dann gab es plötzlich Hoffnung. „Wir wurden in das deutsche NesT-Programm aufgenommen, als eine von zwei Familien aus dem ganzen Lager. Eine kam nach Stuttgart. Wir kamen nach Köln.“ (s. Infokasten) Wenn Fouad erzählt, wird die ungläubige Freude von damals greifbar. Jetzt, gut zwei Jahre nach ihrer Ankunft, ist die Familien in der Merheimer Gemeinde St. Gereon gut integriert. Khaled (6) geht in die Schule, hat schon einen Freund gefunden. Und ist seit fünf Monaten „großer Bruder“ der kleinen Melissa. Fouad hat gerade seine Führerscheinprüfung bestanden, er will sich als KVB-Busfahrer bewerben und kann zehn Jahre Berufspraxis in Saudi-Arabien vorweisen. „Er hat im ersten Anlauf bestanden. Und das im Kölner Stadtverkehr“, sagt Antonia K.

Sie ist eine von fünf Ehrenamtlichen der Merheimer Mentoring-Gruppe. Die hat sich verpflichtet, der Familie ein Jahr lang eine Wohnung zur Verfügung zu stellen und sie bei ihren Belangen zu unterstützen. Damit erfüllt die Gruppe die Voraussetzungen, dass besonders schutzbedürftige Menschen über das Programm „Neustart im Team“ (NesT) nach Deutschland kommen dürfen.

Aktive von St. Gereon sind in Köln  Pioniere des NesT-Programms

Die Aktiven der Gemeinde St. Gereon sind in Köln Pioniere dieses Programms. „2019 konnten wir zwei Schwestern aus Syrien aufnehmen“, sagt Mentor Ottmar Bongers. „Eine der beiden leidet an juvenilem Rheuma und ist dringend auf Medikamente angewiesen.“ Nach acht Jahren Krieg und dem Verlust von Familienangehörigen waren sie aus ihrer Heimat geflohen. „Jeder Weg von der Arbeit nach Hause war lebensgefährlich“, erinnert sich Shurook D. (30).

Shurook und Heba D. mit dem Mentoren-Team und Gemeindemitgliedern stehen auf der Wiese vor der Kirche St. Gereon.

Shurook und Heba D. mit dem Mentoren-Team und Gemeindemitgliedern.

Ebenso wie die Familie aus dem Sudan lebten die jungen Frauen zunächst in der Gastwohnung des Pfarrhauses, kamen dort zur Ruhe. Und bauten Vertrauen zu den Menschen auf, die sie als Mentoren stetig begleiteten. Und mit ihnen im Alltag Deutsch sprachen. „Schon nach einem Jahr konnte Shurook sich gut verständigen und als Alltagshelferin in der Kita arbeiten, ihre Schwester Heda hat geflüchteten Kindern Nachhilfe gegeben“, erinnert sich Bongers. „Heute studiert Heda Medical Management.“ Weil man die beiden in Merheim kannte, sei es dem Mentorenteam gelungen, eine Wohnung für sie zu finden.

„Einen Turbo“ nennt Ottmar Bongers das NesT-Programm. „Die geflüchteten Menschen können schnell eigenständig hier bei uns leben, weil sie direkt Hilfe bekommen. Und den Menschen hier im Stadtteil täglich begegnen, statt jahrelang in einer Geflüchtetenunterkunft leben zu müssen.“ „Auch für uns ist die Teamstruktur des Programmes gut“, findet  Antonia K. „Jeder bringt seine Fähigkeiten ein, das gesamte Team trägt das Projekt, auch wenn mal einer von uns ausfällt.“ Sie und Samira hätten eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut. „Und für Khaled bin ich ‚die Oma‘“, sagt die Mentorin schmunzelnd.

Ich freue mich, dass ich bald selber für meine Familie sorgen kann.
Khaled A.

Ottmar Bongers freut sich ganz besonders über die große Hilfsbereitschaft von Fouad. „Er hilft bei unserer Lebensmitte-Tafel, bei Umzügen oder wann immer man ihn fragt.“ Und er absolviert gerade den letzten Sprachkurs, den er für seine Arbeit als Busfahrer bei den KVB braucht. „Ich freue mich, dass ich bald selber für meine Familie sorgen kann“, sagt der 30-Jährige. Dann lacht er. „Und darauf, dass Khaled bald in einem Fußballteam spielen darf. Dann fahre ich mit, stehe am Platz und feuere ihn an!“


Die Bundesregierung hat 2019 das staatlich-zivilgesellschaftliche humanitäre Programm „Neustart im Team“ (NesT) ins Leben gerufen, mit dem besonders schutzbedürftige Geflüchtete in Deutschland aufgenommen werden. Voraussetzung ist, dass sich mindestens vier Personen zu einer Mentoring-Gruppe zusammenfinden, die den Geflüchteten ein Jahr lang eine Wohnung finanziert und sie beim Einleben begleitet. Bis 2025 soll die Zahl der Aufgenommenen pro Jahr auf 260 gesteigert werden. Im laufenden Jahr sind bisher 13 Personen durch vier Gruppen aufgenommen worden, weitere Einreisen stehen noch aus. Informationen zum Programm gibt es bei der Zivilgesellschaftlichen Kontaktstelle des NesT-Programms, getragen vom Deutschen Caritasverband, dem DRK und der Evangelischen Kirche Westfalen unter zks@neustartimteam.de oder Ruf 02304 / 755 4545.

Hilfe und Information bietet auch Ottmar Bongers interessierten Kölnern und Kölnerinnen an. „Wir geben unsere Erfahrungen mit dem NesT-Programm und mit den in Köln zuständigen Behörden sehr gerne weiter.“ Erreichbar ist der Mentor über die Mail: caritaskreisstgereon@gmx.de.

In der Merheimer Gemeinde wird die Miete vom Erzbistum über die Aktion „Neue Nachbarn“ übernommen. Von der Stadt wünsch sich Bongers eine stärkere Unterstützung des großen ehrenamtlichen Engagements. „Wenn die Stadt uns für das erste Jahr Wohnungen zur Verfügung stellen würde, die wir mieten könnten, würde die Integration geflüchteter Menschen um vieles schneller und besser verlaufen.“

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