Jüdischer Karnevalsverein„Kölschen Kippa Köpp“ starten mit ambivalenten Gefühlen in die Session

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Bilder der verschleppten Zivilisten an der Synagoge in der Roonstraße

Ein Blumenmeer für die verschleppten Geiseln: Die Synagoge in der Roonstraße wird am Eflten im Elften abgesperrt, der Hamas-Terror in Israel geht auch an der Kölner Gemeinde nicht spurlos vorüber.

Der Elfte im Elften steht bevor — die Synagoge in der Roonstraße liegt unweit der Feierzone an der Zülpicher Straße. Doch ist wirklich die Zeit zum Feiern geeignet? Eine Bestandsaufnahme.

„Immer friedlich und gemütlich geht ,Am Dude Jüdd' es zu“, heißt es in dem weithin vergessenen Karnevalslied „Am Dude Jüdd“ (Beim toten Juden). Für Uninformierte klingt es auf den ersten Blick antisemitisch, doch das ist es mitnichten. Das vor mehr als 120 Jahren vom Komponisten Willi Ostermann (1876 bis 1936) aufgeführte Lied beschreibt in kölschen Reimen eine Szene in einem Tanzlokal, das damals in der Nähe eines alten jüdischen Friedhofs lag.

„Der Titel ist nichts weiter als eine Flurbezeichnung, mit der die geografische Auffindbarkeit des Ball- und Konzerthauses, in dem sich der Inhalt des Liedes abspielt, bezeichnet wird“, erklärt Philipp Oebel. Seit Jahren führt der Sänger die sogenannten Krätzjer   kölsche Geschichten in Liedform auf. Vor einigen Wochen noch trat er im Rahmen eines von Jürgen Becker moderierten Kabarettabends im vollbesetzten Gemeindesaal der Synagogen-Gemeinde Köln (SGK) auf und begeisterte mit der ebenso charmanten wie liebevollen Interpretation des Ostermann-Liedes, das wie folgt beginnt: „Will man lachen sich vermachen, muss zum ,Dude Jüdd“ man gehen.“

Beim Karneval im Februar nahmen wir noch jubelnd mit Festwagen am Rosenmontagszug teil und wurden von den Zuschauern bejubelt. Und jetzt?
Felix Schotland, Vorstand Synagogengemeinde

Der unbeschwerte Gesang ist verklungen, wenig später geriet die jüdische Welt aus den Fugen. Kurz vor dem Elften im Elften. „Der Auftakt in den diesjährigen Karneval wird eine sehr persönliche Angelegenheit“, sagt Aaron Knappstein, der Präsident des jüdischen Karnevalsvereins „Kölsche Kippa Köpp“. Konkret: Wer feiern will, könne dies tun; es sei aber eine individuelle Entscheidung. Von Vereinsseite werde es keine Feiern, wohl aber Anpassungen an Veranstaltungen geben. „Es ist uns wichtig, Zeichen zu setzen und sich damit zu befassen, welche Leistungen nicht nur im Karneval – Juden für diese Stadt erbracht haben“, betont Knappstein. Daher werde er auch am Elften im Elften am traditionellen Empfang im Rathaus teilnehmen.

Die 2017 wiedergegründete jüdische Karnevalsgesellschaft „Kölsche Kippa Köpp“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erinnerung an die vielen jüdischen Kölnerinnen und Kölner wachzuhalten. Dazu gehört auch, im Umfeld der Karnevalseröffnung durch den für seine „Stolpersteine“ bekannten Künstler Gunter Demnig solche in den Gehweg eingelassenen Erinnerungen verlegen zu lassen.

Nun richtet sich der Blick auf den traditionellen Auftakt in die fünfte Jahreszeit am 11. November — die Synagoge in der Roonstraße liegt unweit der Feierzone an der Zülpicher Straße. Angesichts der vielen antisemitischen Straftaten seit dem Krieg gegen Israel wird die Synagoge an diesem Schabbat mit Gittern abgesperrt. Links neben dem Eingang zum jüdischen Gotteshaus hängen über den als Zeichen der Solidarität dort hinterlassenen Blumen zahlreiche Plakate mit der Aufschrift „Vermisst“. Sie zeigen Personen im Alter von sechs Monaten bis 79 Jahren, die Opfer der Hamas-Terroristen geworden sind.

Wir können nur hoffen, dass die feiernden Menschen wissen, wie man sich benimmt und wie nicht“, sagt Felix Schotland vom Gemeindevorstand der Synagogengemeinde und schiebt als Frage nach: „Kann so etwas wie am Flughafen in Dagestan, wo Jagd auf Juden gemacht wurde, hier trotz aller Absperrungen nicht auch passieren? Wie sicher ist unser jüdisches Leben noch?“ Resigniert weist Schotland auf die „extreme Wendung“ innerhalb einiger Monate hin: „Beim Karneval im Februar nahmen wir noch jubelnd mit einem eigenen Festwagen am Rosenmontagszug teil und wurden von den Zuschauern bejubelt. Und jetzt?“

Jüdische Gemeinde hofft auf Anstand der Feiernden

Dass der Karneval in Köln, eines der größten deutschen sowie international bekannten Brauchtumsfeste, viel dem Engagement von Juden zu verdanken hat, ist unbestritten. Im Jahr 1824, im zweiten Jahr des organisierten Karnevals, wurde die damalige Figur der Venetia vom jüdischen Kaufmann Simon Oppenheim verkörpert. „Das ist auch ein Beleg dafür, wie sehr Juden damals in die Stadtgesellschaft verwurzelt waren, sonst hätte das Festordnende Komitee wohl nicht Oppenheim das Amt angetragen“, betont Aaron Knappstein. Heute sind es das Festkomitee Kölner Karneval sowie dessen Präsident Christoph Kuckelkorn, die immer wieder das vielfältige Engagement von Juden im Karneval würdigen. Im diesjährigen Rosenmontagszug war es bis zum Beginn des Umzugs aus Sicherheitsgründen ein streng gehütetes Geheimnis, dass erstmals seit mehr als 80 Jahren wieder ein jüdischer Mottowagen mit jüdischen Karnevalisten mitfährt. „1700 Jahre fest verwurzelt in Deutschland – Schalömche und Alaaf“ hieß der Wagen, auf dem unter anderen der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, sowie der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, mitfuhren.

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