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Alligatoah in KölnSchusswaffen, Pelzpuschen und Baseballschläger – ein Konzert als Wundertüte

Lesezeit 3 Minuten
Alligatoah in der Lanxess-Arena.

Alligatoah in der Lanxess-Arena.

Das Konzert in der Lanxess-Arena bewies erneut: Alligatoah ist ein stimmstarker Konzeptkünstler mit der Lizenz zu genreübergreifender Unterhaltung.

Junge Kölner brauchen keinen Nubbel mehr – als Strohmann für die Missetaten Heranwachsender hat er ausgedient. Die Verantwortung übernimmt stattdessen Lukas Strobel. Oder, besser gesagt, die Presse deut sie ihm über: „Demnächst könnt ihr es wieder in der Zeitung lesen: Jugendliche haben ein Problem mit Schusswaffen im Büro? Alligatoah ist schuld! Jugendliche haben ein Problem mit Alkohol am Arbeitsplatz? Alligatoah ist schuld! Jugendliche lassen liegen? Alligatoah ist schuld!“ Donnerstagabend in der Lanxess-Arena finden die Fans solche Sprüche klasse. Und nicht nur die.

Das ganze Konzert des 35-Jährigen, der sich das Krokodil-Reptil, lautmalerisch zerdehnt ausgeschrieben, zum Künstlernamen erkoren hat, kommt großartig an. Die Dramaturgie stimmt von vorne bis hinten, das Konzept, das der Tourtitel „Out of Office“ vorgibt, ist bis aufs i-Tüpfelchen ausgefeilt, und jede Frage, die man sich im Verlauf dieses wunderbaren, mehr als zweistündigen, Abends stellt, wird prompt beantwortet.

Alligatoah in Köln: Viele Fragen, viele Antworten

Etwa die, warum Alligatoah so komische Pelzpuschen trägt. Die aber gar keine Pelzpuschen sind. Sondern Spezialschuhe, die er auch Fans für den Moshpit-Einsatz bei harten Konzerten empfiehlt: „Was tut man, wenn im Moshpit einer fällt?“ Richtig. „Drauftreten! Drauftreten! Drauftreten!“ brüllt die hingerissene Halle unisono. Da ist weiche Fußbekleidung schonender. Oder: Ist der Mantel von Alligatoah aus Echtpelz? Nein, ein Alligatoah trägt kein „totes Tier“: „Der Mantel ist aus Plastik, Plutonium und Buttersäure.“

Als Bühnenbild dient ein Büro (englisch „Office“) im Retro-Look, mit Regalen für Aktenordner, Röhrenmonitoren und anderen Artefakten aus der antiquierten Angestelltenwelt. Bis hin zu den (heutzutage verpönten) Topfpflanzen und den von der Decke herunter hängenden Leuchtstoffröhrenkästen. Die später, als eine Schusswaffe im Büro (siehe oben) zum Einsatz kommt, ebenso dran glauben müssen, wie das Meublement. Das da schon lange zu Kleinholz verarbeitet wurde. Macht kaputt, was euch kaputtmacht?

Passend zum Thema tragen Alligatoahs Musiker diesmal mausgraue Anzüge, Schlipse und hellblaue Hemden, auf der letzten Tour schrieb der Dresscode Malocher-Outfits mit Schutzwesten und reflektierenden Streifen vor. Was wohl die nächste Tour bringt? Freizeitlook tragende Akademiker mit Fake-Brillen umgeben von staubigen Folianten?

Konzert in der Lanxess-Arena: Mit dem Metal-Mörser zercrashtes No-Angels-Cover

Jedes Konzert von Alligatoah ist eine Wundertüte. Und jedes Mal viel mehr als bloß ein Konzert. Klar, es gibt satt Musik. Angefangen mit „Stay in Touch“, das erst aus dem Off gesungen wird. Während Alligatoah im Video am Fallschirm hängt, mit vom Wind gezausten Plastik-Plutonium-Buttersäure-Mantel – um dann – „Krawumms!“ – von der Hallendecke mitten in die Bürolandschaft zu krachen. Über sechs aufeinanderfolgende Stücke vom letzten Album „Off“, (2024), alte Hits wie „Ein Problem mit Alkohol“, „Lass liegen“ oder „Fick ihn doch“ und einen wunderbaren akustischen Teil mit „Narben“ im Belcanto-Stil, das in „Hey Jude“ übergeht: „Na, na-na, nanana, naaa.“

Bis hin zum rockig-geröhrten No-Angels-Cover „Daylight“, dem im Metal-Mörser zercrashten „Willst du“ und die mitreißende Zugabe „Partners in Crime“ am Piano. Dann saust der Büroverweigerer wieder himmelwärts. Das Letzte, was man von ihm sieht, ist eine Staubwolke.

Die Bilder bleiben. Wie das von Alligatoah im Gewand eines Zen-Meisters, der seinen Fans Dehn- und Entspannungsübungen, Achtsamkeit und Meditation nahebringt. Oder wenn die Band bei Chips, Duplo und „veganem Butterbrot“ Pause macht. Oder wie Alligatoah plötzlich gar ernst guckt und nach „Musik ist keine Lösung“ sagt: „Eins weiß ich: Nazis sind keine Lösung.“ Angeblich soll er ja Rapper sein. Aber auch er ist viel mehr: ein stimmstarker Konzeptkünstler mit der Lizenz zu genreübergreifender Unterhaltung. Dass das Gastspiel nicht ausverkauft war, ist schade. Aber verständlich: die Release-Show von „Off“ fand schon letzten Sommer statt. Im Tanzbrunnen, auf vollem Rasen.