An zwei Abenden hintereinander hat Billie Eilish die Kölner Lanxess-Arena ausverkauft.
Billie Eilish begeistert in KölnZwei ausverkaufte Shows in der Lanxess-Arena mit besonderer Nähe zum Publikum

Billie Eilish in der Lanxess-Arena in Köln, 29.5. 2025
Copyright: Samir Hussein/WireImage for Live Nation
Wieviel Intimität ist in einem Großkonzert möglich? Für Billie Eilish ist das auch ein physikalisches Problem. Es gilt, die Entfernung zu jedem einzelnen der 18.000 Fans in der ausverkauften Lanxess-Arena so gering wie möglich zu halten.
Der flackernde Kubus, in dem sie am Donnerstagabend einzuschweben scheint wie aus einer anderen Galaxie, landet deshalb genau in der Mitte der riesigen Halle. Aber weil die Ränge steil nach oben gehen, muss es ihr gerechter erscheinen, auf das Dach dieses Bühnenelements zu steigen, das sich bei Bedarf als Plateau in luftige Höhen hieven lässt. Diesmal soll man die Leute auf den teuersten Plätzen nicht beneiden müssen; es ist eine soziale Geste, die jeder versteht.
Ohne Finneas auf Tour
„Chihiro“, die erste Nummer des Abends, ist inspiriert vom Hayao-Miyazaki-Anime „Chihiros Reise ins Zauberland“, einem ihrer Lieblingsfilme, geschrieben mit ihrem Bruder Finneas. Hatte er sie bei ihrem Kölner Auftritt 2022 noch in einer Trioformation begleitet, gehört er diesmal nicht zur Tourband und tritt nur ab und zu als Gast in Erscheinung.
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Dass er in Köln fehlt und Billie nun über eine eigene Band verfügt, für die in der Bühne zwei Gräben ausgehoben sind, lässt sie noch souveräner wirken als jemals zuvor.
T-Shirt der Band Korn
Noch bevor die pulsierenden Bässe des Midtempo-Tracks verklungen sind, hat sie auf dem Bühnenboden einen Sprint hingelegt, als wolle sie den ganzen Spielraum der kommenden 90 Minuten in Sekunden abstecken. Über einer weiten, knielangen roten Sporthose mit weißen Krempen trägt sie ein XXL-T-Shirt der kalifornischen Metal-Band Korn, die sich sehr über die unverhoffte Aufmerksamkeit freuen dürfte.
In der Kombination sieht sie damit ein wenig aus wie der Weihnachtsmann auf Urlaub; ähnlich sehnlich hat man sie hier erwartet. Einige Fans harrten schon Tage vor der Halle aus.
Gegenwehr und Selbstbestimmtheit
Wenn sie sich wieder auf das schwebende Plateau schwingt, sichert ein Stahlseil, das an ihrer Hüfte festgeschnallt ist, ihren Körper. Ihre Musik kennt dagegen kein Netz und keinen doppelten Boden. Nicht die lupenreine Sopranstimme bei ihren punktgenauen Kadenzen und Ausbrüchen in eigentlich kaum erreichbare Höhen.
Und erst recht nicht die Texte, die so oft von Verletzungen und Gegenwehr erzählen. Und von der Selbstbestimmtheit, das persönliche Risiko zu suchen: „Hit Me Hard And Soft“ heißt die Tour nach dem jüngsten, 3,4 millionenfach verkauften Album.
Professionelles Gesangstraining
In den letzten drei Jahren hat sie viel Zeit in professionelles Gesangstraining investiert. Ihre Stimme wurde dadurch athletischer, aber nicht weniger natürlich. Wann hat man jemals einer Künstlerin bei einem so rasanten Entwicklungsprozess zusehen dürfen? Früh vollendet lässt sich nicht mehr sagen; sie wird immer noch besser.
Wer schon als junger Teenager ikonische Musikvideos inszeniert hat, lässt sich auch das Bühnenbild nicht aus der Hand nehmen. Das einfache Element des Kubus dient mal als Videowürfel, mal als Käfig oder übernimmt die Rolle jenes Bergmassivs, an dessen Rand sie in ihrem Video zu „Your Power“ gefährlich nah sitzt.
„Your power“ in akustischer Version
Auch beim Kölner Konzert darf der Song nicht fehlen, in dem es um eine missbräuchliche Beziehung geht: „Du gibst mir das Gefühl, dass es meine Schuld ist, dass du der Teufel bist.“ Sie steigert seine zerbrechliche Wirkung hier durch eine eigene, akustische Version.
Jede Textzeile jeden Liedes bekommt sie aus Tausenden von Kehlen zurück. Billie Eilishs Anleitungen zum Umgang mit toxischen Partnern haben sich tief in das kollektive Gedächtnis des ganz überwiegend weiblichen Publikums eingeschrieben, die meisten jünger als die 23-Jähige.
Mehr als eine Identifikationsfigur
So alt war Bob Dylan bei „The Times They Are A-Changing“, und auch Billie Eilish muss man als politische Singer-Songwriterin betrachten. Wut und Zuversicht gehen in ihren Songs so fließend ineinander über wie Moll- und Durakkorde. Hier in der Arena kann man nicht mehr daran zweifeln, dass sie zu Hymnen einer Generation geworden sind, die im Schatten von Corona und Me-too sozialisiert worden ist. Eilish ist mehr als eine Identifikationsfigur, sie ist eine Schutzheilige.
Noch nie in der Popgeschichte hat ein Idol bereits als Teenager aus eigener Kraft, mit eigener Kunst, mit eigenem Stil einen solchen Einfluss auf die eigene Generation gehabt. Dies mitzuerleben ist überwältigend.
Fans singen alle Texte mit
Auch mit so einem monumentalen Backgroundchor muss man erst einmal umgehen können. Manchmal geht der Glanz von Eilishs Performance ein wenig dabei unter, doch es entsteht auch etwas Neues, wenn ihr das Publikum zu „Wildflower“ als Echo antwortet. Eilish, die Musiktheorie als Kind in einem Chor gelernt hat, scheint diese vielen Stimmen im Griff zu haben wie die eigene. Erstaunlicherweise wird kein Stadionrock daraus, die Songs behalten ihre Intimität.
Nur einmal bittet die Sängerin ihr Publikum für eine Minute mucksmäuschenstill zu sein. Um das Intro von „When the Party’s Over“ a-cappella mit der Loopstation aufzunehmen, brauche sie absolute Stille. Die Originalaufnahme des Songs entstand aus 100 überlagerten Gesangsspuren. Im Schneidersitz sitzt sie nun versunken auf der Bühne und ist dem Publikum doch so nah wie in den vielen Augenblicken ganz direkter Ansprache.
Finale mit vielen starken Songs
In Köln ist sie auch Filmemacherin und Videokünstlerin. Mit einer mobilen Kamera filmt sie sich selbst und ihre Band bei einer peitschend-intensiven Perfomance von „Bad Guy“. Wie sich in ihren Händen die Medien verbinden, geht weit über die üblichen Visualisierungen bei Rock-Konzerten hinaus. Es ist nicht bloße Song-Illustration, sondern body-art in der Tradition von Laurie Anderson. Hat sie das für sich erfunden, oder ist es ein direkter Einfluss?
Zum Finale lässt sie einige ihrer stärksten Songs wie in einem Rausch verschmelzen: „Lovely“, „Idon’twannabeyouanymore“ und „Ocean Eyes“, wobei Meereswellen aus der Videobox auch den Bühnenboden zu überschwemmen scheinen. Einem grandiosen „L’amour de ma vie“ folgen der Barbie-Hit „What Was I Made For?“ und „Happier Than Ever“, während ein Konfetti-Regen dem Gefühl des Beschenktseins einen greifbaren Ausdruck verleiht.
„Ich werde Euch immer beschützen“, verspricht sie am Ende ihren Fans einer als desillusioniert geltenden Generation, für die Erfolgsversprechen der älteren nicht mehr gelten. Einen letzten ihrer aktuellen Songs hat sie für dieses Gefühl des Zusammenhalts aufgehoben, es ist einer ihrer schönsten: „Birds of a Feather“.