Interview mit Wolfgang Niedecken„Ich leiste Abbitte bei den Jecken“

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Wolfgang Niedecken in den Sartory Sälen.

Wolfgang Niedecken in den Sartory Sälen.

BAP-Gründer Wolfgang Niedecken spricht vor den Sartory-Konzerten über die 80er Jahre, veränderte Haltungen und einen Gänsehautmoment.

An diesem Donnerstag spielt Wolfgang Niedecken das erste von vier nostalgische Konzerten mit dem BAP-Frühwerk im Sartory. Jens Meifert war bei dem Planungstermin im Saal dabei und ging mit dem 72-Jährigen auf „Zeitreise“ – so heißt die Tour 2024.

Nirgendwo in Köln haben Sie so viele Konzerte am Stück gespielt wie hier. Wie nostalgisch werden Sie im Saal?

Schon sehr. Die ersten Gedanken gehen zurück an die Präsentation des „Affjetaut“-Albums, das haben wir am 3. Dezember 1980 vor 2000 Leuten hier gespielt. Und dann ging das weiter bis zur „Salzjebäck un Bier“-Tour '84/85. Die Sporthalle war uns immer zu groß. Ich habe gesagt, ich muss das Weiße in den Augen des Publikums sehen. Aber nach dem Durchbruch 1981 und '82 ging es nicht mehr im kleinen Rahmen.

Das heißt: Sartory, das ist ein Stück Heimat?

Absolut, wenn ich da rein gehe, bekomme ich sofort nostalgische Gefühle. Auch wenn ich ansonsten den Begriff „Nostalgie“ umgehe, wie der Teufel das Weihwasserbecken. Ich glaube, das wird für die Besucher auch so sein. Die haben uns vielleicht mit 17 oder 18 Jahren zum ersten Mal gesehen. Also sind sie heute fast 60 Jahre alt. Das ist für jeden eine Zeitreise, und das war ja auch die Grundidee. Bei der letzten Tour haben wir sehr viele neue Stücke vom „Alles fließt“-Album gespielt, und sowas funktioniert nur, wenn auch viele ganz alte Songs, die jeder kennt, im Programm sind. Also haben wir unter anderem „10. Juni“ aus der Kiste geholt. Und was passiert? Die Leute hatten Tränen in den Augen. Das war unverhofft für uns, mit einigen Stücken haben die Fans gar nicht mehr gerechnet.

Manche Stücke wandeln sich im Laufe der Zeit. Oder die Bedeutung lädt sich neu auf. Das gilt sich für „Wenn et bedde sich lohne daät“, ein Stück zwischen Hoffnung und Desillusionierung. Wie ist es, das heute zu spielen?

Da geht mir permanent durch den Kopf, was sich alles in der Zwischenzeit getan hat. Wir haben in St.Peter-Ording sämtliche Stücke durchgeprobt, und natürlich bleibe ich an jedem einzelnen Song hängen, manchmal an jeder Zeile und habe dazu Bilder und Geschichten im Kopf. Es spielt alles in der Südstadt, rund um uns damals hoffnungslos naive Musiker, die gar nicht wussten, was mit ihnen gerade passiert. Wir spielen übrigens auch „Nit für Kooche“.

Ich fand den Karneval einfach miefig. Das hat sich nach der Stunksitzung nach und nach geändert.
Wolfgang Niedecken

Eine derbe Abrechnung mit dem Karneval.

Genau, aber bekanntermaßen ist meine Einstellung zum Brauchtum deutlich milder geworden. Doch was nützt es, wenn ich den Text jetzt nachträglich verändere? Wir werden ihn so spielen, wie er geschrieben war. Die Moderation gibt es erst danach (lacht). Denn eigentlich war das Stück schon unverschämt. Es gab damals viele spießige Vereinsmeier, und die greife ich an. Aber natürlich waren da auch immer sehr engagierte Leute bei. Ich fand den Karneval einfach miefig. Das hat sich nach der Stunksitzung nach und nach geändert. Insofern leiste ich nun Abbitte bei den organisierten Jecken, da vergebe ich mir nix. Außerdem wird man bei einigen Themen auch altersmilde.

BAP ist in den 80er Jahren groß geworden mit der Umweltbewegung und der Gründung der Grünen. Heute sitzt die sogenannte Öko-Partei in der Berliner Regierung. Eine andere Welt?

Es ist eine total andere Zeit. Es ist nicht mehr die Welt von 1980, aber auch nicht mehr die des Mauerfalls. Die Illusion eines dauerhaften Friedens ist uns schnell abhandengekommen. Es ist aber auch nicht die Zeit der Nachrüstung. Wie jeder politisch denkende Mensch musste auch ich über manche Einstellung nachdenken und die zum Teil auch revidieren. „Frieden schaffen ohne Waffen“ war ein schöner Traum. Es funktioniert einfach nicht, das sehen wir auch jetzt, wenn wir in die Ukraine oder auf den Nahen Osten schauen. Als Künstler kannst Du da nicht viel dran ändern, aber darfst auch nicht die Augen verschließen. Und wir können wenigstens für Empathie sorgen. Es ist erschreckend, aber das ist heute notwendiger denn je.

Und siehe da: Der Text stimmte wieder zu 100 Prozent.
Wolfgang Niedecken über den Titel „10. Juni“.

Habt ihr Neuentdeckungen gemacht bei der Probe der Songs?

„10. Juni“ ist schon speziell. Ich bin 30 Jahre nach der Bonner Protestdemo gegen den Nato-Doppelbeschluss gefragt worden, ob ich das Stück jemals wieder spiele. Und dann kam Putins Generalmobilmachung, und viele junge Russen haben sich vom Acker gemacht. „Plant mich bloß nit bei üch ein“, heißt es in dem Stück und „Ich hann met ühre Logik nix ahm Hoot“. Und siehe da: Der Text stimmte wieder zu 100 Prozent. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Es war ok, dass man im Kalten Krieg nachgerüstet hat. Das kann ich gerne zugeben, auch da vergebe ich mir nichts. Wir hatten Angst vor den hochgerüsteten Armeen in Ost und West. Und der Vietnam-Krieg war noch nicht lange vorbei.

Es gibt andere Stücke, die ihr das erste Mal spielt. Vermutlich ist es für die Band das Spannendste?

Absolut. „Fuhl am Strand“ etwa, das haben wir nie live gespielt, weil es leisere Stücke in einem Rock'n Roll-Konzert immer schwer haben. Auch „Hundertmohl“ und „Weißte noch?“ haben wir nur ganz selten gespielt.

Wolfgang Niedecken: Die Entstehung von „Verdamp lang her“

Dafür Verdamp lang her umso häufiger. Es ist vermutlich der BAP-Song überhaupt. Dabei haben Sie ihn nicht mal in Köln geschrieben.

Er ist aus einer Karnevalsflucht entstanden. Am Rosenmontag 1981 war das, in Morlitzwinden in Franken. Da habe ich einige Tage mit meiner damaligen Freundin, der Mutter meiner Söhne, verbracht. Wir sind mit meiner Kastenente runtergefahren, haben uns in einem Bauernhof eingemietet und sind im Schnee spazieren gegangen. Mein Vater war am 18. September des Vorjahres gestorben, und es gab so viel, was ich ihm eigentlich noch sagen wollte. Aber wir konnten damals einfach nicht mehr miteinander reden. Dann wurde er sehr krank. Ich habe immer sehr bereut, dass so vieles ungesagt blieb. So ist das Stück entstanden.

Kann man aus Verdamp lang her oder auch Kristallnaach live heute noch etwas anderes machen?

Nein, wir haben das zwar immer mal wieder versucht, aber wenn wir nah an der Originalfassung bleiben, ist es am besten. Dieser Nähmaschinenriff auf der Gitarre am Anfang ist einfach unschlagbar. Das kommt übrigens auch in „Nemm mich met“ und „10. Juni“ vor. In der Band sagen wir: Komm, wir spielen die Police-Nähmaschine. Für die Leute ist das wie eine Rückkehr, da entsteht sofort ein Sog.

Kein Song ist jünger als 40 Jahre auf der Tour. Hat nicht die Band gesagt, spiel' Deine alten Sachen doch alleine? Die hatten ja mit der Entstehung der Lieder gar nichts zu tun.

Hätten sie sagen können, ja. Es kam aber ganz anders. Ich habe die Idee einen Monat lang für mich behalten, über die Setliste nachgedacht und dann einen Brief an alle geschrieben und rumgefragt. Die schönste Reaktion kam von unserem Trommler, Sönke Reich, dem jüngsten in der Band, der noch nicht geboren war, als die ganzen Zeitreise-Songs entstanden sind. Er hat nur geschrieben: „JAAA!“ Das war wunderbar.

Auf späteren Alben finden sich eher Songs, die ich nicht noch einmal so aufnehmen würde, das bleibt bei über 30 Alben nicht aus.
Wolfgang Niedecken

Gibt es Stücke, die Sie heute ganz anders schreiben würden?

Nein, nur kleine handwerkliche Ausbesserungen, ein Wort wird getauscht, dann läuft es wieder. Auf späteren Alben finden sich eher Songs, die ich nicht noch einmal so aufnehmen würde, das bleibt bei über 30 Alben nicht aus. Aber wir können musikalisch hier und da etwas optimieren. Den Dylan-Song „One Too Many Mornings“ haben wir als „Su 'ne Morje“ für das Live-Album aufgenommen und da ist klar: Das geht besser. Dieses Mal spielen wir ihn richtig.

Im Erinnerungsreigen von „Jupp“, der Hymne auf den Clochard vom Chlodwig-Eck, heißt es: „Da wird mancher Neger blass“. Das bleibt?

Ja, natürlich. Da handelt es sich um ein literarisches Ich. Wenn ich das ändere, um politisch korrekt zu sein, dann würde ich dem Jupp sehr unrecht tun. Ich gendere ja auch nicht beim Singen.

Konzert wird mindestens drei Stunden dauern

Was wird das erste Stück sein?

Das ist ganz logisch: „Koot vüür Aach“. Das haben wir noch nie live gespielt. „Koot vüür aach ess et, jlisch ess et widder suwigg (singt) Op de Bühn, et jeht loss, et ess voll. Optimal, klar, ich weiß, ich beklaach mich jo nit. Bloß: Wie ich hück widder dropkumme soll… “ Das passt, und unmittelbar kommt die Gänsehaut. Da muss ich aufpassen. Es kann sein, dass es mir die Sprache verschlagen wird. Ich habe ziemlich nah am Wasser gebaut.

Eine Marke ist gesetzt: 4 Stunden und 8 Minuten dauerte das längste Konzert, das ihr je gespielt habt, hier im Sartory.

Dieser Rekord wird nicht fallen. Aber das Konzert wird mindestens drei Stunden dauern. Je nach Plauderlaune. Wir haben ja schließlich einen Ruf zu verlieren (lacht). Man sollte sich besser an dem Abend nichts anderes mehr vornehmen.

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