Nyke Slawik geht offen mit ihrer Transidentität um.
Copyright: Nabil Hanano
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Köln – Hinweis: Dieser Artikel wurde nach der Wahl aktualisiert und ist bereits am 15. August 2021 erschienen.
Der Deutsche Bundestag soll jünger, weiblicher und bunter werden. Das haben sich viele Parteien auf die Fahne geschrieben. Nyke Slawik (27) aus Opladen erfüllt alle drei Kategorien – und ist am Sonntag nun ins Parlament gewählt worden. Sie zieht über die Landesliste der Grünen in den Bundestag nach Berlin. Sie kandidierte im Wahlkreis Leverkusen - Köln IV, den der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach mit großem Vorsprung gewann. Slawik kam bei den Erststimmen mit 11,3 Prozent auf den dritten Platz..
Im falschen Körper geboren
Bei Slawiks Geburt wurde das männliche Geschlecht eingetragen. Bald begann sie sich im eigenen Körper unwohl zu fühlen. „Ich wusste schon als Kind, dass ich kein Junge bin, habe mich weiblich gefühlt. Als Jugendliche wurde mir bewusst, dass ich im falschen Körper bin“, beschreibt Slawik ihre frühere Situation. Damals habe sie viel Zeit im queeren Jugendzentrum „Anyway“ im Belgischen Viertel verbracht. „Durch den Kontakt zu anderen Jugendlichen aus der LGBTI-Szene habe ich mit 16 den Mut gefunden, mich zu outen und zu sagen, ich bin trans und ich bin eine Frau.“ Sie wählte Nyke als neuen Vornamen – nach der griechischen Siegesgöttin –, unterzog sich einer Geschlechtsangleichung und beantragte beim Standesamt den Geschlechtseintrag weiblich.
Zur gleichen Zeit entdeckte Slawik ihr Interesse an Politik. „Ich hatte den Dokumentarfilm ,Eine unbequeme Wahrheit’ von Al Gore über die Folgen der Erderwärmung gesehen. Das war ein Schlüsselerlebnis. Mir wurde klar, dass uns nur noch wenige Jahren bleiben, das Ruder herumzureißen“, so Slawik. 2009 ging sie zur Grünen Jugend, „weil CDU und FDP nach ihrem Wahlsieg eine Renaissance der Atomkraft einläuten wollten“. 2013 trat sie bei den Grünen ein. Heute sind Klimaschutz, Mobilitätswende und Soziales ihre Topthemen. Nervt es sie da manchmal, wenn sie als Politikerin ständig nach ihrem Privatleben gefragt wird? Sie sehe das mit gemischten Gefühlen, erklärt Slawik.
Umgang mit Transidentität normalisieren
Einerseits gehe es ihr darum, über politische Ziele zu sprechen und nicht nur über ihren biografischen Hintergrund. „Andererseits habe ich mich ganz bewusst entschieden, offen mit meiner Transidentität umzugehen, weil ich selber ohne jegliche Vorbilder aufgewachsen bin. Als Jugendliche kannte ich lange Zeit keine Transpersonen außerhalb des Showbusiness.“
Trans und LGBTI
Transsexualität ist in Deutschland der juristisch korrekte Begriff für Transgeschlechtlichkeit, er wurde 1923 von Sexualforscher Magnus Hirschfeld eingeführt. Er wird heute meist durch andere Begriffe ersetzt. Als Transgender bezeichnet man Menschen, die sich nicht mit der Geschlechterrolle identifizieren, die ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Dafür wird auch der Begriff Transidentität verwendet oder einfach Trans.
LGBTI ist die Abkürzung der englischen Wörter Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender und Intersexual (Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transgender und Intersexuell) als Sammelbegriff für Menschen, die von heteronormativen Regeln abweichen. (fu)
In der Politik wolle sie „dazu beitragen, dass der Umgang mit Transidentität normalisiert wird und in zehn, 20 Jahren kein großes Thema mehr ist“. Und da gebe es viel zu tun, betont Slawik. Noch immer würden transidente Personen oft angefeindet und diskriminiert, auch von den Behörden. Sie verweist auf das Transsexuellengesetz von 1980, das vom Verfassungsgericht in Teilen als verfassungswidrig eingestuft wurde und dringend reformiert werden müsse. „Transgeschlechtlichen Menschen wird in Deutschland das Recht abgesprochen, selbst über ihren Körper zu entscheiden. Wir werden nach wie vor als psychisch krank behandelt, das sind wir aber nicht“, erläutert Slawik. Transidente Personen seien „einfach Teil der geschlechtlichen Vielfalt“ – das werde von der Weltgesundheitsorganisation und vielen Staaten längst als normal akzeptiert.
Kritik an unwürdiger Schikane beim Amtsgericht
Dass in Deutschland Transpersonen noch immer zwei psychiatrische Gutachten vorweisen müssen, bevor sie beim Amtsgericht ihren Namen und den Geschlechtseintrag ändern lassen dürfen, sei „entwürdigend, Schikane und eine Tortur, die absolut unnötig ist“, sagt Slawik. „Dieses Verfahren dauert rund eineinhalb Jahre, kostet bis zu 2000 Euro, und am Ende entscheidet ein Amtsrichter, ob man sich nicht alles nur einbildet.“ In anderen Ländern, darunter Dänemark, Griechenland, Irland, Portugal und Schweiz, reiche hingegen ein Antrag, um seinen Geschlechtseintrag zu ändern. „Argentinien hat sogar eine Quote für Transpersonen im öffentlichen Dienst eingeführt.“
Die Bundestagkandidatin, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin für zwei grüne Landtagsabgeordnete arbeitet, will aber keineswegs nur als Kämpferin für LGBTI-Rechte gesehen werden. Mehr Geld in Klimaschutzprojekte und die Bahn investieren statt in neue Autobahnen, lautet ihre Devise. Deutschland verfüge bereits über eines der dichtesten Straßennetze der Welt. Es jetzt trotz der Klimakrise noch weiter auszubauen, wie Union und SPD es wollten, sei „eine völlig verfehlte Politik“. Die dafür vorgesehenen Milliardensummen müssten stattdessen in erneuerbare Energien und die Schiene fließen.
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Die Industrie in der Region sieht Slawik als „wichtigen Partner auf dem Weg zur Klimaneutralität“. Wichtig sei aber, jetzt endlich Ernst zu machen mit dem Klimaschutz. „Weiter so, das reicht nicht mehr.“