Serie zum 70. GeburtstagDiese zehn Lieder stehen auf Niedeckens Lieblings-Playlist

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Wolfgang Niedecken im Jahr 2014 während der Tour „BAP zieht den Stecker“

Köln – Nächsten Dienstag hätte Wolfgang Niedecken sein Kölner Geburtstagskonzert gespielt. Für die Rundschau wählt er zehn persönliche Stücke aus und erzählt, was sie ihm bedeuten.

„Wahnsinn“ (1979)

„Der Song dreht sich um die Kneipe Kurfürstenhof, die plötzlich cool auf Szene-Laden getrimmt wurde. Er steht stellvertretend dafür, dass wir Entwicklungen augenzwinkernd beschrieben haben.

W Niedecken 1979 im Basement

Früher Auftritt im Basement, im Jahr 1979 

Wie auch bei der „Ruut-wieß-blau querjestriefte Frau“ oder später dem Müsli Män“. Wir haben gemerkt, dass die abstrusen Geschichten bei den kleinen Konzerten am besten funktioniert haben, ganz in der Tradition des „Talking Blues“ – Bob Dylan stand Pate.“

„Jenau jesaat: Op Odyssee“ (2020)

„Ein Lied über die Blauäugigkeit der ersten Band-Jahre. Man hatte noch keine Verantwortung für die Familie zu tragen, es war ein gelebter Traum. Plötzlich kamen 2000 Leute zu uns in den Sartory-Saal, wir standen ungefragt in der ,Bravo’, wir haben das alles gar nicht richtig kapiert. Wie ein Road-Movie, von dem wir nicht wussten, wie er endet.“

 „Volle Kraft voraus“ (2020)

„Das Stück erzählt vom Sommer 1973 und den Ausflügen an den Bleibtreusee. Eigentlich singe ich es für mich selbst: ,Hühr mir joot zo, loss dich nit hänge, ahle Mann, et jitt e Levve zo jeneeße.’ Man muss an die Glücksmomente erinnern, das ist die Botschaft. Ich hätte nicht gedacht, dass es so gut ankommt. Offenbar, weil es etwas sehr Lebensbejahendes hat.“

„Jupp“ (1981)

„Ich saß mit meinem Hund Blondie im Chlodwig-Eck an der Annostraße. Aus dem benachbarten Johanneshaus, dem Männerübernachtungsheim, kommt ein Mann rein und sagt den unglaublichen Satz: ,Der Schäferhund ist der beste Freund des Mannes, mir hat mal einer in Alaska das Leben gerettet.’ Ich habe ihm ein Frühstück bezahlt und bin nach Hause gegangen, mit der Frage im Kopf, was könnte er mir noch alles erzählen?

Major Niedecken 1999

Mit „Major“ Klaus Heuser auf der Bühne im Jahr 1999

Mittags war der Text fertig, er endet in Stalingrad. Es ist eins der wichtigsten BAP-Stücke. Bei vielen älteren Songs, denke ich heute, das würdest du anders schreiben. Den würde ich genauso schreiben.“

„Bahnhofskino“ (1983)

„Am 26. Oktober fand ein Fußballspiel zwischen Deutschland und der Türkei statt. Es ging 5:1 für Deutschland aus, einige Jugendliche randalierten danach vor dem türkischen Kulturverein an der Alteburger Straße.

Ich wohnte am Ubierring und dachte, was geht denn hier ab? Einen Monat später kam mein erster Sohn auf die Welt. Es stellten sich Fragen wie: In was für eine Welt wird Dein Kind geboren? Das Stück ist in der folgenden Nacht entstanden, es ist letztlich ein surrealer Traum, sehr assoziativ formuliert.“

„Paar Dach fröher“ (1993)

„Dieses Lied habe ich geschrieben, nachdem meine spätere zweite Frau Tina endlich zu mir nach Köln gezogen ist. Unsere ersten Jahre waren nicht einfach, ich schleppte einfach zu viel Gepäck mit mir rum, aber so langsam sah ich einen silbernen Streif am Horizont. Passend zum Marokko-Sehnsuchts-Text haben wir ein sündhaft teures Video in Marrakesch gedreht. Es war die Hoch-Zeit von MTV und VIVA, die Promo-Budgets der Plattenfirmen waren beachtlich.“

„Verdamp lang her“ (1981)

„Auf unserem vorletzten Album ,Lebenslänglich“ habe ich ein Stück über die Entstehung von ,Verdamp lang her“ geschrieben, vielleicht spiele ich beide Stücke bei der nächsten Tour mal hintereinander, das muss mal sein. Ich singe das Lied auf der Bühne immer sehr andächtig.

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BAP feierte im Jahr 2016 das 40-jährige Bestehen

Meist kommt mein Vater vor meinem geistigen Auge in seinem grauen Kittel und dem Cord-Hütchen vorbei. Das Publikum weiß das inzwischen und versteht mich sehr gut.“

 „Huh die Jläser, huh die Tasse“ (2020)

„Das ist die Hymne, die von der Realität eingeholt wurde. Es sollte ein fröhlicher Party-Reggae werden. Wir wollten die feiern, die nicht unbedingt als die coolsten gelten: Krankenwagenfahrer, Altenpfleger, all die, die obendrein noch total unterbezahlt werden. Und dann kam die Corona-Krise, und es passte genau. Eine Zeit lang wurde am Fenster applaudiert. Noch wichtiger wäre, dass die besser bezahlt werden.“

„Mittlerweile Josephine“ (2020)

„Das Lied ist für meine jüngere Tochter Jojo geschrieben. Es ist der Blick eines Vaters, dessen Kinder flügge werden. Ich habe, ehe wir ins Studio gegangen sind, in der Familie gefragt, ob das jemandem peinlich ist (lacht), das war nicht der Fall.

Jojo hatte Tränen in den Augen, die Schwester und die Mutter auch. Man muss die Kinder irgendwann loslassen, die Freiheit lässt sich nicht einsperren. “

 „Ruhe vor’m Sturm“ (2020)

„Das war der erste Text, den ich fürs Album ,Alles fließt’ geschrieben habe. Er ist auf Sri Lanka entstanden und drückt die Angst vor Populisten und rechten Scharfmachern aus. Der schwere Sound mit japanischen Taiko-Trommeln trägt diese Bedrohlichkeit. Für mich hat es etwas von ,Kashmir’ von Led Zeppelin. Ich würde es gerne bald auf der Bühne spielen.“ Protokoll: Jens Meifert

Alben und Musiker

20 Studio-Alben hat BAP seit der Bandgründung veröffentlicht. Das letzte („Alles fließt“) wurde nun als Geburtstagsedition in aufwendiger Gestaltung neu aufgelegt und um eine EP bereichert. Es erscheint am Freitag. Darauf findet sich unter anderem „Leev Frau Hermanns“, Niedeckens wiederentdecktes erstes Kölsch-Stück. Mit dabei auch die kölsche Fassung der Dylan-Nummer von „One Too Many Mornings“, die bislang lediglich auf dem ersten BAP Live-Album „Bess demnähx“ unter dem Titel „Su ’ne Morje“ zu finden ist.

Dazu kommen Live-Alben aus allen Schaffensperioden der Band, Unplugged-Versionen, der Mitschnitt der Akustik-Tour 2014, als Niedecken erstmals in bestuhlten Theatern und der Kölner Philharmonie (!) gespielt hat. Mit Niedeckens Freund und Weggefährten Wim Wenders entstand 2002 „Viel passiert, der BAP-Film“, der die Band-Geschichte auf der Kinoleinwand erzählte. Niedecken nahm fünf Solo-Alben auf, darunter „Zosamme alt“, das er 2013 seiner Frau Tina widmete und zuletzt „Reinrassije Strooßekööter“, ein Familienalbum, das er in New Orleans einspielte.

1976 gründete Niedecken BAP mit seinem Studienkollegen Manfred „Schmal“ Boecker und Hans Heres (den 1980 „Major“ Klaus Heuser ersetzte). Das erste Album „BAP rockt andere kölsche Leeder“ stellte die Band 1979 im Anno-Saal in der Südstadt vor. Offizieller Bandname damals: „Wolfgang Niedecken’s BAP“. 26 Musiker haben Niedecken in der Bandgeschichte begleitet, am längsten Jürgen Zöller (1988 bis 2014) am Schlagzeug saß. Seit dem letzten Album gehören die Bläser Christoph Moschberger, Axel Müller und F. Johannes Goltz zur erweiterten Band. (mft)  

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