Literaturfestival in KölnAbwechslungsreicher Streifzug über die lit.Cologne

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Albrecht Schuch und Marion Brasch lesen bei der lit.Cologne.

Mit Albrecht Schuch (mit Marion Brasch) lieh bei der lit.Cologne Thomas Brasch seine Stimme.

Zuhören, durchdringen, grübeln und am Ende signieren lassen: ein Streifzug über drei abwechslungsreiche Termine der 23. lit.Cologne.

Der Frühling ist die Zeit der Transformation. Beim Literatur-Festival lit.Cologne erblühen Romanseiten aus aller Welt, bekommen Flügel, wenn sich beim Live-Hörbuch neugierige Augenpaare nicht nur aufs Papier, sondern auf die Bühne richten.

Was macht eigentlich Fred vom Jupiter?

Im Theater am Tanzbrunnen warten die Zuschauer gespannt auf Musiker Andreas Dorau, bekannt durch den Neue-deutsche-Welle-Hit „Fred vom Jupiter“ und Sven Regener, Schriftsteller und Musiker bei „Element of Crime“. Beide Künstler haben nach „Ärger mit der Unsterblichkeit“ (2015) erneut ein Buch geschrieben: „Die Frau mit dem Arm“. Erneut geht es um Anekdoten aus Doraus Leben, die Regener literarisch und amüsant zusammenfasst – und damit schallendes Gelächter im Saal auslöst. Denn Regener entfesselt die auf den Buchseiten gebannte Situationskomik.

Danach spielt Dorau die zum Buchausschnitt passenden Videos ein, die gepaart mit den erzählten Anekdoten eine herrlich polemische Eigendynamik von Witz entwickeln. Dieser Kanon aus Lesung und Videoausschnitten schaukelt sich in regelmäßigen Abständen hoch und sorgt für Wellen des Lachens, während es um Versuche, Scheitern und Erfolge geht, aber auch um einen Hypnosekönig, DJ-Talentfreiheit, Flaschenpfand oder Ein-Fuß-links-ein-Fuß-rechts-Tanz. Unzusammenhängend, wie das Leben manchmal spielt und dadurch in gewisser Weise wieder chronologisch. Nach knapp zwei Stunden endet die Lesung. Das Lachen versiegt, aber die gute Laune hält an.

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Im Empfangsbereich stapeln sich die Romanausgaben in die Höhe, die Zuschauer reihen sich ein am Autogrammtisch, die Autoren signieren geduldig. Für einen Großteil der Besucher endet der Abend erst nach der finalen Unterschrift in ihrem Exemplar von Doraus Leben. Nur eine Frage bleibt ungeklärt: Was hat es mit dem Titel des Buchs auf sich? Diese beantwortet Regener schon zu Beginn der Lesung auf seine Art und in schelmischem Unterton: „Wer die Frau mit dem Arm ist, verraten wir heute noch nicht. Das können sie in unserem Buch nachlesen. Ein paar Geheimnisse muss man sich noch bewahren.“ Und genau darum geht es bei der lit.Cologne.

Dichter zwischen zwei Ländern

Ein wüster Roman sei das Leben von Thomas Brasch gewesen, sagt der Theatermann Claus Peymann, ein Roman über Ost und West und über die innere Zerrissenheit eines Menschen. „Ich bin mein eigenes Volk“, schrieb der 2001 verstorbene Lyriker und Dramatiker. „Aber wie traurig ist es, in einem Land im Gefängnis zu sitzen, das man doch liebt?“ Albrecht Schuch spielte Brasch vor zwei Jahren in dem Film „Lieber Thomas“.

Etwas sehr viel Muskeln, Drogenexzesse und Grenzgänge, die man ihm da angedichtet hat, waren dabei. Dieses Mal leiht ihm Schuch, der am Wochenende hoffnungsvoll zur Oscar-Verleihung nach Hollywood reist („Im Westen nichts Neues“) im WDR-Funkhaus die Stimme. Gemeinsam mit Marion Brasch, die ein Buch geschrieben hat über die Familie, über ihre drei ungemein talentierten und stets so nah am Abgrund tanzenden Brüder, die alle mit dem Staat in Konflikt kamen. Und mit dem Alkohol, am Ende hat sie wohl beides kaputt gemacht. „Er war lustig und konnte auf Händen gehen“, schreibt die Radio-Moderatorin über ihren Bruder Klaus. „Aber das war beim Militär nicht gefragt.“ Auch er musste vors Militärgericht, an seinen Bruder Thomas schrieb er liebevoll: „Du bist für mich ein roter Punkt in diesem scheiß Irrgarten.“  

Filmszenen und Dokumente bereichern diesen beklemmend-nahen Abend. 1976 verließ Brasch die DDR. Zu seinem berühmtesten Werk „Vor den Vätern sterben die Söhne“ jubelte Kritiker Marcel Reich-Ranicki: „Die Lyrik ist zurück in Deutschland.“ Doch der Schriftsteller sah sich aus falschen Gründen geliebt - weil er im DDR-Knast saß. „Ich will, dass ihr mich gut findet, weil ich gut bin“, sagte er. Sein Land wollte er nicht verachten.

Hauptsache Spaß an der Sache

„Es ist fast unmöglich über das echte Leben zu schreiben, davon gibt es einfach zu viel“, zitiert die Hörbuchsprecherin Therese Hämer David Foster Wallace. Dieser Worte schrieb der Schriftsteller an einen Freund, am Samstagabend stand – das Zitat legt es nahe – der „Spaß an der Sache“ im Mittelpunkt. Da Iris Berben erkrankt war, sprang die Schauspielerin und Sprecherin Hämer ein, mit Schauspieler, Komiker und Musiker Olli Dittrich gab sie Einblicke in Wallace Arbeit.

Die präzisen Beobachtungen von augenscheinlich alltäglichen Situationen und seine ironischen, wortreichen Beschreibungen machten Wallace zu einem der einflussreichsten und wichtigsten Schriftsteller seiner Generation. Das Buch „Der Spaß an der Sache“ erschien 2018 zum zehnten Todestag von Wallace und vereint alle Essays des US-amerikanischen Schriftstellers in einem Werk, übersetzt von Ulrich Blumenbach.

In „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ beschreibt Wallace seine Reise auf einem Kreuzfahrtschiff – Absurditäten inklusive. Mit „Von Mrs. Thompsons Warte“ verarbeitet er seine Erlebnisse des 11. Septembers. In „Am Beispiel des Hummers“ ergründet Wallace, der für eine Gourmetfachzeitschrift das Hummerfestival in Maine besucht, das Schmerzempfinden der Tiere und die Praxis, sie lebend zu kochen.

Die von Hämer und Dittrich vorgetragenen Passagen sind geprägt von verschachtelten Sätzen, Ironie und Ehrlichkeit und bringen die etwa 1000 Zuhörenden in den Sartory Sälen immer wieder zum Lachen. Doch das Leben des Schriftstellers, das Hämer und Dittrich skizzieren, ist geprägt von Depressionen und Drogenabhängigkeiten.

2008 begeht Wallace mit 46 Jahren Suizid. Sein literarisches Schaffen kann nicht ohne seinen Gesundheitszustand betrachtet werden. Und obwohl Wallaces Leben von Angstzuständen, Panikattacken und Depressionen maßgeblich beeinflusst war, lesen sich die Texte als Suche nach Identität und Zerstreuung.

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