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Ausverkaufter TanzbrunnenRapper Sido tauscht in Köln seine wilden Zeiten gegen Liebe

4 min
Seit 25 Jahren steht Sido alias Paul Hartmut Würdig erfolgreich als Solokünstler auf der Bühne.

Seit 25 Jahren steht Sido alias Paul Hartmut Würdig erfolgreich als Solokünstler auf der Bühne. 

Fans aus ganz Deutschland kamen, um den Berliner im Rahmen seiner Jubiläumstour zu sehen. 

Bis 2005 war er der Mann mit der Maske. Mittwoch am restlos ausverkauften Kölner Tanzbrunnen setzt er sie wieder auf. Aus rein retrospektiven Gründen. Denn Sido alias Paul Hartmut Würdig ist derzeit auf Jubiläumstour unterwegs. In nicht ganz zwei Stunden feiert der 44-jährige Rapper sich, 25 Jahre solo auf der Bühne und 12 000 Fans. Donnerstag werden ihm im am Rheinufer noch mal so viele Menschen zujubeln. Nach Erfurt, Berlin, Ludwigsburg und Bremen ist Köln die vierte Station. Weitere Open-Air-Konzerte in Frankfurt am Main, in Magdeburg, in Dortmund, Rostock, Chemnitz und Kassel folgen bis zum 17. August.

Die Maskerade in memoriam währt aber nur kurze Zeit. Mit „Steig ein!“, „Mein Block“, „Goldjunge“, Straßenjunge“, „Halt dein Maul“ und „Meine Jordans“ hat der gebürtige Ost-Berliner diese Phase zackig abgehakt und taucht, nach einem Einspieler, als der auf, der er heute sein will. Einer, der zum grau melierten Bart und zur dunklen Sonnenbrille ein zweiteiliges Outfit trägt, das wirkt wie eine Mischung aus Golf-Lehrer-Kluft, Hommage an Knabenanzüge der vorletzten Jahrhundertwende und das kleinteilige, jadegrüne Design japanischer Kimonos. Wäre man fies, könnte man auch sagen: an Sommer-Nachtwäsche von Herren fortgeschrittenen Alters.

Sido (* 30. November 1980 in Berlin; als Paul Hartmut Würdig, Deutscher Rapper) gastiert auf seiner "25 Jahre Sido"-Jubiläumstour
am 30. Juli 2025
Open Air am Tanzbrunnen, Rheinparkweg 1, 50679 Köln

SIDO_30072025_60.jpg jpeg / 473 KB Paul Hartmut Würdig alias Sido (Deutscher Rapper) Sido (* 30. November 1980 in Berlin; als Paul Hartmut Würdig, Deutscher Rapper) gastiert auf seiner "25 Jahre... Fotograf (Byline) Thomas Brill

Auch Sido – als Künstlername einst von Würdig als spaßige Kurzformen für „Scheiße in dein Ohr“ und „Super intelligentes Drogenopfer“ lanciert – hat die Wehen, Weihen und Wildheiten der Jugend hinter sich gelassen. Und den, der mit 17 zusammen mit seinem Kumpel B-Tiger als Rap-Duo Royal TS bei Open-Mic Sessions des Hip-Hop Labels Royal Bunker als Kellerkind reüssierte, zwar noch im Blick, aber in einem eher milden. Als einer, der sich und das, was in den Jahren danach folgen sollte, inzwischen reflektiert hat.

„Ich hatte Phasen, da ging’s mir nicht so gut, ich wusste nicht, was mit mir los war“, wird er später am Abend sagen. Und: „Ich mach’ dumme Sachen, ja, aber ihr seid immer noch da.“ Und: „Ich habe angefangen, zu verzeihen, ich habe mir selber verziehen.“ Was genau er damit meint – Drogenabstürze, Beleidigungen, Handgreiflichkeiten oder den Glauben an Verschwörungstheorien während der Corona-Zeit – das sagt er nicht.

Spricht dafür aber umso mehr von positiven Gefühlen und von Dankbarkeit: „Heute Abend werde ich euch zeigen, wie sehr ich euch liebe!“ Oder: „Ich weiß jetzt, was Liebe ist. Vielen Dank dafür, dass ihr da seid.“ Oder: „Heute war hier ein Riesenpaket Liebe unterwegs. Dankeschön! Dankeschön! Vielen Dank für die Liebe!“ Das kommt ein bisschen zu gehäuft und zu dick aufgetragen rüber. Aber man ist geneigt, ihm zu glauben.

Deshalb, weil er eben nicht den reuigen Sünder markiert. Sondern weil er gegen 21.40 Uhr, nach der Rückkehr auf die Bühne zur Zugabe, ganz lässig verkündet: „Musste eben mal frische Luft holen. Frische Luft aus der Tüte.“ Viel weniger nimmt man ihm da ab, wie er am Anfang, scheinbar erstaunt, mit Blick auf die 12 000 sagt: „Ich kann mir nicht erklären, wo all die Leute herkommen!“

Sido zeigte sich angesichts des gefüllten Tanzbrunnens dankbar.

Sido zeigte sich angesichts des gefüllten Tanzbrunnens dankbar.

Sie kommen aus Aachen, Ahaus und Ahrweiler. Aus Bonn, Berlin und Bochum. Aus Castrop-Rauxel, Cochem und Chemnitz. Düsseldorf, Dortmund und Duisburg. Essen, Erkelenz und Einbeck. Und aus allen anderen möglichen Ecken und Enden der Republik. Will er das wirklich nicht gewusst haben?

Es ist eine eingeschworene Fangemeinschaft, die sich hier trifft. Und die dafür, „Bilder im Kopf“, „Leben vor dem Tod“ oder „Masafaka“ und 39 andere Stücke live zu hören, viel Unbill in Kauf nimmt. Angefangen mit Tickets, die doppelt verkauft wurden und deshalb jeweils in einer Variante ungültig waren.

Über eine, an manchen Stellen des Parks, grottige Akustik. Bis hin zu absolut unakzeptablen Sichtverhältnissen. Man hätte die Bühne an einer anderen Stelle errichten müssen. Geregnet hat es gottlob nicht. „Der Künstler wünscht keine Regenschirme“, hieß es am Eingang. Astronauten mit tausend Tattoos, die nicht zwangsläufig Monet mögen, eine Leiche entsorgen und Carmen heißen müssen, fanden’s trotzdem klasse. Die Liebe ist, ganz klar, eine zweiseitige.