Ausstellung in KölnMuseum Schnütgen zeigt Kristalle für alle Lebenslagen

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Der Albinusschreeinn aus St. Pantaleon in Köln ist mit Bergkristall verziert.

Der Albinusschrein aus St. Pantaleon in Köln ist derzeit in der Schau "Magie Bergkristall" im Museum Schnütgen zu sehen.

Die Ausstellung "Magie Bergkristall" eröffnet am Freitag im Museum Schnütgen. Es ist ein Blick auf die einzigartige Beschaffenheit eines Materials, das bereits in der Antike für Kostbare Gegenstände verwendet wurde. 

Offenbar lasen schon die Wikinger das Kleingedruckte. Denn Teil eines Schatzes, den das Seefahrervolk vor fast tausend Jahren vergraben hatte, ist ein Lesestein. Die Leihgabe aus dem Gotland Museum in Visby liegt nun bis Frühjahr in der Vitrine im Museum Schnütgen.

Wahrscheinlich stammt die Linse von einem Handelszug aus Byzanz. Die Verarbeitung ist so exakt, dass der Optiker Karl-Heinz Wilms, Leiter der Entwicklungsabteilung des Brillenherstellers Rodenstock, über die Ellipse ins Staunen geriet, als er in den 1980er Jahren auf die nahezu perfekte Lupe stieß.

Ein Blick in die Kugel

Es ist nur eine von unzähligen Geschichten, die die Ausstellung „Magie Bergkristall“ spannend wie einen Krimi machen. Ab Freitag ist sie im Schnütgen zu sehen. Museumsleiter Moritz Woelk und sein Team haben eine Auswahl von 130 Objekten getroffen, die einen Bogen von der Antike bis ins Mittelalter und ein bisschen auch in die Gegenwart spannt.

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Am Ausgang steht die magische Kugel, die das Schnütgen im vergangenen Jahr in Idar-Oberstein fertigen ließ – stellvertretend für neuzeitliche Märchen, „oder fahrende Wahrsager, die in der Kugel Hinweise auf verlegte Gegenstände oder auch Verbrecher fanden“, so Moritz Woelk. Bis zum abschließenden Blick in die Bergkristallkugel wird der Besucher aber durch eine didaktisch ausgeklügelte und gleichsam kurzweilige Schau geführt, die dem Bergkristall seinen absolut verdienten Platz in der „Manifestation von Kraft und Schönheit“ zollt.

Als Lesehilfe diente der Stein übrigens schon vor Christus. Unter den Kostbarkeiten von 52 Leihgebern finden sich zwei Löwenköpfchen aus dem Musée de Cluny in Paris oder die Hedwigsbecher (um 1160-1240) aus dem Rijksmuseum in Amsterdam. „Allein dafür lohnt es sich, jetzt nach Köln zu pilgern“, freut sich Woelk über die bislang umfassendste Schau zum Thema Bergkristall.

Kleiner Wagen für die Reliquie

Apropos Pilgern: Weil das Material so kostbar, klar und transparent ist, wurde es in zahlreichen Reliquiengefäßen verarbeitet, die als tapsende Fische, hoppelnde Vögel, ja sogar als kleiner Wagen daherkommen. Geläufig sind den Meisten noch verstaubte Kristalle, die auf Flohmärkten oder als Erbstücke von einer verbreiteten Sammlerleidenschaft zollen. Doch Museumsmitarbeiterin Svenja Trübenbach weiß von einer Art Renaissance zu berichten, die die glitzernden Steine derzeit erfahren – sei es als esoterische Heilsteine oder Zusatz zum Trinkwasser. „Es gibt viele Mineralienbörsen, die mit dem Stein wegen seiner magischen Eigenschaften handeln.“

Schutzfunktion als kühlender Kraftspender gegen Fieber und andere Krankheiten, Mitgift oder teures Geschenk für den Kalifen der islamischen Abbasiden oder in den ismailitischen Dynastien der Fatimiden. Getragen als Amulett am Körper waren die Kristalle häufig auch Grabbeilagen. „Bei den Römern sollten sie im Reich der Toten beim gefürchteten Gang über das Feuer Kühlung verschaffen“, erklärt Trübenbach.

Im Mittelalter wurden bereits bearbeitete Bergkristalle oft weiterverarbeitet: Die Ausstellung zeigt das Borghorster Stiftskreuz, ein goldenes Reliquienkreuz aus dem 11. Jahrhundert. In der Mitte ist eine Phiole aus Kristall zu sehen, die ursprünglich aus einem islamischen Reich stammte und nun an die Stelle Christi tritt. Ein fischförmiger Flakon fängt die Blutstropfen auf.

Wunderwerk der Transparenz

Eine Abteilung widmet sich dem antiken Wissen über die Kristalle. „Plinius erklärte als Erster die Entstehung“, so Woelk. Es handle sich um erstarrtes Wasser, ewiges Eis. In Zusammenarbeit mit dem Geomusem der Universität zu Köln bringt die Schau auf neuesten Forschungsstand. Zur Entstehung braucht es „Silizium und Sauerstoff, ein bestimmter Druck, Hitze und vor allem Zeit“, erklärt Manuela Beer, Kuratorin der Ausstellung.

Bevor im 15. Jahrhundert erstmals ganz klar durchsichtiges Glas in Venedig aufkam, war der Bergkristall ein Wunderwerk der Transparenz und „führte transzendent in göttliche Sphären“, so Trübenbach. Für die Reliquien wurde der Effekt der Vergrößerung, Spieglung und Verzerrung genutzt. Denn damit sah so manches Haarbüschel oder der Blutstropfen schon gleich magisch aus.

Fund einer Schleiferei am Dom 

Impuls für die Ausstellung, die mit internationalen Forschungsprojekten verbunden ist, war 2005 der überraschende und weltweit bislang einzigartige Fund einer Bergkristallschleiferei aus dem 12. Jahrhundert in der Nähe des Kölner Doms . Köln war neben Venedig und Paris ein Zentrum dieser Handwerkskunst, die im Handel mit Reliquien boomte. Zu den Leihgebern gehören auch das Römisch-Germanische Museum der Stadt, Kirchengemeinden oder die Domschatzkammer. Begleitend zur Schau gibt es ein Buch im Hirmerverlag, das im Handel 55, in der Ausstellung 44 Euro kostet. „Magie Bergkristall“ bis 19. März. Mo bis Di 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Fr bis So 10 – 18 Uhr, Leonard-Tietz-Straße 10.

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