Niedecken zum neuen BAP-Album„Ich werde nicht in der Arena vor 50 Glasboxen spielen“

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BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken

Köln – Ein sonniger Tag auf dem Gastroschiff „Achterdeck“ am Kölner Rheinufer. Wolfgang Niedecken wohnt wenige Schritte entfernt.  In einer Woche erscheint das neue Album. Titel: „Alles fließt.“ Natürlich gibt der Rhein dafür das Sinnbild ab, aber auch die Zeiten sind schwer bewegt, alles ist im Fluss. Eingespielt wurden die Stücke  schon vor rund einem Jahr, später geschliffen. Nun kommt es heraus, aber aufgrund der Corona-Pandemie können die Musiker es nicht live spielen. Niedecken (69) kommt zu Fuß, Sonnenbrille, nur ein Wasser dazu. Er spricht über: 

Das neue Album „Alles fließt“

„Ich habe bekanntlich eine Rhein-Macke und schreibe meine Stücke mit Blick auf den Fluss. Die Idee für den Albumtitel kam bei einem Termin auf dem Vierungsturm des Doms. Dort schaut man den Fluss und die Hohenzollernbrücke. Und von hier ist 1946 das ikonische Foto von Walter Dick mit der im Rhein liegenden Hohenzollernbrücke entstanden. Es hängt bei mir im Arbeitszimmer und geht mir immer noch sehr unter die Haut. Für mich ist es ein ,memento mori“,  (lat.: „Sei dir der Sterblichkeit bewusst“). So weit darf es nie wieder kommen.

Das dazugehörige Stück ,Ruhe vor“m Sturm“ war das erste , das fertig war. Es ist eine Mahnung vor Rechtspopulisten und Rattenfängern, vor all den Trumps und anderen Idioten. Da habe ich mich zum Psychiater Niedecken auf die Couch gelegt, ohne Ladehemmung, das floss sofort. Dann konnte ich in Ruhe weiterschreiben, Balladen wie „Mittlerweile Josephine“ für unsere Tochter fallen mir als Songwriter ohnehin etwas leichter.

Das Album – „Alles fließt“

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Ein Rockalbum ohne Bremsfunktion, das sei die Spielregel für das Album gewesen, sagt Wolfgang Niedecken.

14 Stücke sind entstanden, in denen der 69-Jährige entschieden vor dem politischen Erdrutsch warnt („Ruhe vor“m Sturm“), Sorgen und Ängste der Menschen, die sich abgehängt fühlen, besingt  („Verraten und verkauft“). Er schaut zurück auf die Anfänge der Band-Geschichte, als wenige Akkorde viel abverlangten („Jenau jesaat: op Odyssee“). Viele Themen  dürfen eingefleischten BAP-Anhängern bekannt vorkommen: Gegen die Stromlinienförmigkeit und den Einheitsbrei im Formatradio etwa ist „Jeisterfahrer“ gerichtet.

Die Gitarren dominieren bei „Amelie, ab dofür“, muntere Reggae-Töne bei „Volle Kraft voraus“, und wie „Mittlerweile Josephine“ ist auch „Wenn am Ende des Tages“ aus der Abteilung sanfte Ballade. Das Album „Alles fließt“ erscheint am 18. September, dem 40. Todestag von Niedeckens Vater, dem „Bapp“, der der Band  seinen Namen gab. Verdamp lang her. (mft)

Wir haben das  Album zwei Tage nach unserem letzten Konzert im Sommer 2019 in Bonn aufgenommen. Weil wir wussten, dass wir so schnell nicht wieder zusammen bekommen. Ulrich Rode (Gitarrist) und Anne de Wolff (Multiinstrumentalistin) hatten das perfekt vorbereitet. Wir waren eine Woche  in der Nähe von Dresden im Studio, in Hamburg  haben wir es komplettiert.

Das Verrückte ist, dass die Stücke nicht für die jetzige Zeit geschrieben sind, aber auf einmal wie Faust aufs Auge zur Pandemie passen. So wie der Helfer-Song ,Huh die Jläser, huh die Tasse„. Der war schon lange vor der Corona-Krise fertig und für all die gedacht, die bei uns den Laden am Laufen halten. Oder ,Volle Kraft voraus“, das erinnert an unbeschwerte Jugendtage am Bleibtreusee. Ich denke manchmal schon auch,  jetzt wirst Du bald 70, nun hör schon auf „ze kühme“ (Kölsch für klagen). Wir sollten manchmal nicht vergessen, einfach das Leben zu genießen, auch wenn es zurzeit etwas schwerer fällt.“

Die Band BAP ohne Auftritte

„Am 18. September hätten wir das Album in den Sartory-Sälen vorgestellt. ,Ne schöne Jrooß“ wäre das erste Stück gewesen, so wie vor 40 Jahren, als wir das Affjetaut-Album hier vorgestellt haben. Aber das wird nix. Der Arena-Termin ist reserviert fürs nächste Jahr. Da wollen wir an meinem 70. Geburtstag spielen, am 30. März.  Aber ob es klappt? Wir haben alle Open-Air-Termine absagen müssen, weil vieles aus diesem Jahr auf 2021 verschoben wurde. Ich werde  aber nicht in der Arena vor 50 Glasboxen spielen und auch nicht im Autokino. Das mache ich nicht, sowas ist irgendwie würdelos. Wir versuchen flexibel zu bleiben, aber es ist unendlich mühsam, ohne Sicherheit zu planen.

Für uns Musiker ist es schwer. An Tonträgern gibt es nicht mehr viel zu verdienen, Konzerte gehen nicht. Ich kann keine Herbsttermine vereinbaren, ich kann nicht mal meine Musiker dafür blocken. Wenn ich für eine komplette Tour Ausfallhonorare zahlen muss, bin ich pleite. Das zieht sich immer weiter, bis zum Technikverleiher und Beleuchter.  Für die ist  es  ganz bitter. Wer weiß, wann es einen Impfstoff gibt, vielleicht spiele ich erst zum 75. in der Arena. (lacht) Wenn ich das überhaupt noch schaffe.“

Die Dauer der Corona-Krise 

„Ich habe große Sorge, dass die Leute die Geduld verlieren. Ich halte das Tragen einer Maske aber auch für einen Ausdruck von Respekt. Weil man damit ja andere schützt, nicht sich selbst. Ich zähle nach meinem Schlaganfall zur Risikogruppe, also bin ich schon vorsichtig.  Aber ich weiß auch nicht mehr als das, was ich in der Zeitung lese und von den Virologen höre.

Am Aschermittwoch bin ich das erste Mal Großvater geworden, „Quinn“ von meinem Sohn Robin und neun Tage später noch einmal, „Noah“ von meiner Tochter Isis. Da war es leicht, sich als Familie zurückzuziehen. Plötzlich war wieder Babygeschrei im Haus, es war fantastisch. Ich weiß aber, dass es für viele Familien im Lockdown sehr schwer war. Mit kleinen Kindern in einer engen Etagenwohnung, das ist sehr schwer. Ich weiß das sehr gut und kann mitfühlen. Ich will aber auch nicht so tun, als ob wir gelitten hätten. Wenn ich nachts wach liege, dann, weil ich mich frage, wie wir das Projekt BAP am Laufen halten.“

Das Alter und neue Ideen

„Ich fühle mich in meinem Nest sehr wohl. Gerade jetzt, wo die Kinder mit den Enkeln so nah bei uns waren. Die 70 ist für mich nur eine Zahl. Es hätte auf einer Tour eine Rolle gespielt, aber so eben nicht. Ich versuche, Ruhe zu bewahren und nicht mehr alles zu machen. Für den Verlag Kiepenheuer & Witsch schreibe ich ein Buch über Bob Dylan, es soll vor seinem 80. Geburtstag 2021 erscheinen, das macht großen Spaß. Als wir letztens in New Orleans waren, bekam ich übrigens zum ersten Mal einen Rentnerrabatt auf einer Fähre – ein echter Einschnitt (lacht).

Zur aktuellen politischen Lage

„Ich kann die Kölner Themen und den Kommunalwahlkampf zu wenig im Detail bewerten. Aber ich kann nur raten, grün zu denken. Wir haben nicht mehr viele Gelegenheiten um den Schalter umzulegen. Also müssen wir ökologische Aspekte immer mitdenken, immer, bei allen Entscheidungen. Ich hoffe, dass uns die Vernunft nicht abhanden kommt. Die Trumps und Bolsonaros dieser Welt werden kein Mitleid haben, also brauchen wir eine politische Führung, die das austariert und die Balance findet. Denn natürlich haben viele Menschen derzeit vor allem existenzielle Sorgen. Ich habe gar keine Lust ständig zur Vernunft zu mahnen. Das ist als Rockmusiker ja fast imageschädigend (lacht). Aber wir werden alle zusammen sehr wachsam bleiben müssen.“

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