EU-Staaten im ChaosVom Wirrwarr um Daten, Tests und Quarantäne

Lesezeit 3 Minuten
Reisewarnung

Passagiere kommen am Flughafen Palma de Mallorca an.

Brüssel – Das Chaos wird mit jedem Tag größer. Wer derzeit beispielsweise von Brüssel nach Deutschland reist, muss entweder 14 Tage in Quarantäne oder einen negativen Test vorweisen. Allerdings ist unklar, wie aktuell dieser Test zu sein hat. Umgekehrt dürfen Bundesbürger weiter nach Belgien einreisen, müssen sich aber, sollten sie 48 Stunden oder länger bleiben wollen, vorher anmelden. 

Sondervorschriften hat die Regierung in Brüssel für Reisende aus Düsseldorf, Darmstadt, Arnsberg im Sauerland sowie Ober- und Niederbayern erlassen. Diese Regionen werden in Belgien als Risikogebiete eingestuft. Warum? Dieselben Regeln gilt auch für Reisende aus Paris, während die Belgier selbst wiederum völlig problemlos in die französische Hauptstadt fahren können, die für andere ein Risikogebiet ist. Dänemark lässt Belgier dagegen generell rein. Die Grenzen zu Ungarn sind seit gestern wieder geschlossen. Das Durcheinander ließe sich fortsetzen: Einige Länder verlangen eine zehntägige Quarantäne, andere zwei Wochen. Ein negativer Test darf – je nach Staat – 48 oder 72 Stunden alt sein. Ob er vor oder nach der Einreise präsentiert werden muss, ist unterschiedlich geregelt.

Deutschland macht es nicht leichter

Deutschland bereichert das Chaos durch eine neue Variante: Ab 1. Oktober muss zunächst jeder, der aus einem Risikogebiet einreist, fünf Tage in Quarantäne, ehe er einen aktuellen Test vornehmen lassen darf. Und überhaupt: Was gilt eigentlich als „Risikogebiet“?

„Es ist ein Flickenteppich an Reisewarnungen der EU-Mitgliedstaaten entstanden“, kritisierte die Grünen-Europa-Abgeordnete Anna Cavazzini in einem Brief an Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD). „Das Chaos kreiert eher Panik, als dass es einer Logik zur Virusbekämpfung folgt“, schrieb sie. Das spüren auch die Mitgliedstaaten selbst. Am heutigen Mittwoch treffen zunächst die EU-Botschafter der 27 Regierungen zusammen. Auf dem Tisch liegt dann ein Papier der deutschen EU-Ratspräsidenschaft. Darin warnt Berlin vor „einem fragmentierten Ansatz, wie er zu Beginn des Jahres zu beobachten war“.

Datenangleichung soll helfen

Die Bundesregierung fordert dazu auf, die „Integrität des Schengen-Raumes“ zu bewahren. Wie das geschehen soll, ist allerdings noch offen. Dabei geht es vor allem um den Umgang mit den unterschiedlichen Statistiken der nationalen und europäischen Behörden. Wie das deutsche Robert-Koch-Institut legen auch die entsprechenden Ämter der Mitgliedstaaten die Tagesauswertungen der Infektionen vor und erlassen Reisewarnungen entsprechend dem Sieben-Tages-Durchschnitt. Die Europäische Agentur für Seuchenbekämpfung (ECDC) in Stockholm sammelt zwar auch alle täglichen Daten der Mitgliedstaaten, berechnet daraus aber zusätzlich einen Trend der vergangenen 14 Tage. „Die Verwendung der gleichen Daten“, so heißt es in dem Papier der deutschen Ratspräsidentschaft, sei eine „Stellschraube“, um endlich zu gleichen Auflagen für Reisende zu kommen. Dabei sollen auch die Kriterien für rote, gelbe und grüne Gebiete vereinheitlicht werden.

Offenbar arbeitet die Europäische Kommission an einem Vorschlag, der möglicherweise in der nächsten Woche präsentiert werden könnte - vorausgesetzt die Mitgliedstaaten einigen sich heute auf eine grundsätzliche Richtung. Das Ziel der Aktion ist klar: Die Freizügigkeit innerhalb der EU soll nur dann eingeschränkt werden, wenn es wegen der Pandemie unbedingt notwendig ist. Tatsächlich, so argwöhnt man in Brüssel, seien nämlich in einigen Ländern Beschränkungen rechtzeitig zum Schulbeginn vorbeugend erlassen worden, um eine mögliche Infektionswelle durch heimkehrende Urlauber und ihre Kinder abzufangen. Die Bundesregierung hat selbst großes Interesse an einer praktikablen Regelung.

Das könnte Sie auch interessieren:

Schließlich hat sich Berlin für seine sechs Monate der EU-Ratspräsidentschaft viel vorgenommen. Da derzeit aber praktisch alle Behörden der Gemeinschaft in der belgischen Hauptstadt zu einem Risikogebiet gehören, gibt es weder Tagungen noch Sitzungen vor Ort. Mehr noch: Kommissionsmitarbeiter, die Stäbe der Kommissare und Diplomaten können alle nicht nach Deutschland einreisen. Der mit hohen Erwartungen gestartete deutsche EU-Vorsitz droht mehr und mehr zu verpuffen, wenn es nicht gelingen sollte, das Vorschriften-Tohuwabohu zu beseitigen.

Rundschau abonnieren