Donald Trump fordert, dass die Hamas ihre Waffen abgibt. Doch Erfahrungen aus Afghanistan und Kosovo zeigen: Die Entwaffnung militanter Gruppen gelingt nur selten nachhaltig.
Analyse zu GazaWarum die Entwaffnung der Hamas scheitern könnte

amas-Kämpfer stehen in Formation vor der Freilassung von Geiseln im zentralen Gazastreifen.
Copyright: Abdel Kareem Hana/AP/dpa
Die Hamas hat die Geiseln an Israel übergeben und damit eine Forderung des „Friedensplans“ von Donald Trump erfüllt. Diese Forderung des US-Präsidenten wirkt auf den ersten Blick genauso plausibel wie eine andere: Die Hamas müsse ihre Waffen abgeben, damit ein politischer Neuanfang im Gazastreifen möglich werde.
Die Logik dahinter: Wer Frieden will, muss auf Gewalt verzichten. Doch die Realität politischer Konflikte lehrt anderes. Organisationen wie die Hamas definieren sich vor allem über ihren militärischen Arm. Ihre Macht kommt aus den Gewehrläufen. Waffen sind für sie nicht nützliches Beiwerk, sondern Teil ihrer Identität und ihres politischen Kapitals.
Ohne Waffen würde die Hamas nicht mehr als ernstzunehmender Akteur wahrgenommen – weder von ihren Anhängern noch von ihren Gegnern. Kann es gelingen, eine solche Organisation zu entwaffnen?
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Ein Blick auf die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit ist ernüchternd. Nur in wenigen Fällen gelang es, Milizen oder Guerillagruppen nachhaltig zu entwaffnen. Häufig blieb es bei der symbolischen Abgabe von Waffen, während im Untergrund weiter Waffen kursierten.
Afghanistan und Kosovo als frustrierende Beispiele
Besonders lehrreich sind dabei zwei Fälle. In Afghanistan scheiterte die Entwaffnung der Milizen, das ebnete den Boden für die Rückkehr der Taliban. In Kosovo blieb die Waffenfrage trotz massiver internationaler Präsenz ungelöst und wirkt bis heute negativ auf die Entwicklung des Landes.
In Afghanistan war mit der amerikanisch geführten Intervention im Jahr 2001 eine paradoxe Lage entstanden. Einerseits sollte ein neuer Staat aufgebaut werden, der über Polizei und Armee ein Gewaltmonopol etablieren sollte. Andererseits setzten die USA im Kampf gegen die Terrororganisation Al-Qaida und die Taliban auf Warlords, die kein Interesse an einem starken Staat hatten.
Nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ konnte auf Waffen, Geld und politische Rückendeckung durch die USA zählen, wer sich im Kampf gegen die Extremisten nützlich machte. Damit wurden Strukturen verstärkt, die überwunden werden sollten.
Da nützten auch die verschiedenen Entwaffnungsprogramme der Vereinten Nationen nichts. Angeblich wurden Zehntausende Milizionäre demobilisiert und Waffen eingesammelt. Wenn man mit deutschen Soldaten in Afghanistan sprach, hörte man allerdings eher, dass die Milizen alte und unbrauchbare Waffen abgegeben hätten, während moderne Bestände verborgen geblieben seien. Damit terrorisierten sie über Jahre die Bevölkerung, die ihr Heil schließlich bei den Taliban suchte.
Keine Jobs, kein Einkommen und kein sozialer Status
Ein zentrales Problem war die fehlende ökonomische Alternative für die Milizionäre. Afghanistan ist bis heute eines der ärmsten Länder der Welt. Arbeitsplätze gibt es kaum. Die Milizen boten Einkommen, Schutz und sozialen Status. Sie fanden keine Zukunft im zivilen Leben, auch weil es dem Westen nicht gelang, die Wirtschaft in Afghanistan aufzubauen.
Hinzu kam die geopolitische Dimension. Die Taliban konnten sich in Pakistan zurückziehen, wo sie weitgehend unbehelligt neue Kämpfer rekrutierten und Waffen horteten. Selbst wenn ein Teil der Taliban-Milizen im Inland kontrolliert worden wäre, hätten bewaffnete Formationen von außen nach Afghanistan nachrücken können.
Die Folgen der misslungenen Entwaffnung waren von strategischer Dimension. Der afghanische Staat blieb schwach, zersplittert und vom Wohlwollen der Warlords abhängig. In vielen Gebieten des Landes herrschte nicht die Regierung in Kabul, sondern lokale Kommandanten, deren Loyalität von persönlichen Netzwerken bestimmt war. Am Ende erwies sich die gescheiterte Entwaffnung der Milizen in Afghanistan als eine der zentralen Ursachen dafür, dass die Taliban vor vier Jahren erneut die Macht übernahmen.
Auch in Kosovo stand nach dem Krieg 1999 die Entwaffnung einer Guerillagruppe im Zentrum. Die UCK hatte im Kampf gegen die serbischen Herrscher breite Unterstützung in der Bevölkerung gefunden und war nach dem Einmarsch der Nato die dominierende Macht in der damaligen serbischen Provinz.
Unter dem Druck der internationalen Schutztruppe Kfor und der Uno-Verwaltung Unmik unterzeichnete die UCK ein Abkommen, das ihre Entwaffnung und Transformation in das Kosovo Protection Corps vorsah. Das war offiziell eine zivile Hilfseinheit, eine Art Technisches Hilfswerk.
Auf dem Papier war das ein Erfolg. Zehntausende Waffen wurden registriert und abgegeben. Die UCK löste sich als Kampfverband auf, die Kfor übernahm die Verantwortung für die Sicherheit in dem Gebiet. Doch hinter der Fassade blieb vieles bestehen. Moderne Waffenbestände wurden von den früheren UCK-Kadern versteckt, während alte oder defekte Waffen abgegeben wurden.
Auf Schmuggelrouten zum Waffennachschib
Über Schmuggelrouten aus Albanien und Mazedonien versorgten sich die UCK-Reste und illegale Nachfolger weiterhin mit Waffen. Die ehemalige Guerilla behielt zudem über ihre Kommandanten großen politischen und sozialen Einfluss. Das Kosovo Protection Corps war formal eine zivile Einheit, blieb aber personell eng mit der UCK verflochten.
Die Schutztruppe Kfor zeigte zwar großflächig Präsenz. Doch auch sie war nicht in der Lage, jedes Dorf, jedes Waffenlager und jede Schmuggelroute zu überwachen. Viele Dorfgemeinschaften vertrauten weiter ihren lokalen Kommandanten, nicht den internationalen Verwaltern. Während die Kfor in der Hauptstadt Pristina die neuesten Entwaffnungserfolge verkündete, gab es in den Dörfern Säuberungspatrouillen der Ex-UCK.
Das Kosovo Protection Corps wiederum wurde schnell politisch instrumentalisiert: Es bot ehemaligen UCK-Kommandanten einflussreiche Posten, Ressourcen und eine neue Plattform, um ihren Einfluss zu sichern. Wiederholt kam es in den Jahren der Kfor-Präsenz zu massiven Unruhen, die sich plötzlich über das ganze Gebiet ausbreiteten.
Der Verdacht lag nahe, dass sie aus ehemaligen UCK-Strukturen heraus organisiert wurden. Die Entwaffnung, die auf dem Papier erfolgreich aussah, war in Wirklichkeit eine Umwandlung, welche die alten Strukturen konservierte.
Die Konsequenz war eine fragile Sicherheitslage. Immer wieder kam es zu Gewalt zwischen den Bevölkerungsgruppen. Vor allem die weitgehende Vertreibung der Serben aus großen Teilen des Gebiets zeigt, wie das internationale Engagement in Kosovo versagt hat.
Bis heute gilt die hohe Verfügbarkeit von Kleinwaffen als eines der zentralen Probleme im Land. Die formelle Abrüstung konnte den faktischen Fortbestand bewaffneter Macht durch die ehemalige UCK nicht verhindern.
Die Beispiele Afghanistan und Kosovo zeigen zwei Varianten misslungener Entwaffnung. Am Hindukusch scheiterte sie, weil die Warlords nie ernsthaft entmachtet wurden und externe Rückzugsräume bestanden. In Kosovo blieb sie unvollständig, weil Waffen im Untergrund kursierten und die internationalen Truppen den Konflikt mit der UCK scheuten.
Beide Beispiele verdeutlichen, dass eine Entwaffnung ohne ein politisches Abkommen, ohne glaubwürdige internationale Kontrolle und Überwachung sowie ohne langfristiges internationales Engagement nicht funktioniert.
Für Gaza bedeutet das: Eine Entwaffnung der Hamas dürfte nur dann erfolgversprechend sein, wenn sie Teil eines umfassenden politischen Abkommens wäre. Es müsste für die Hamas echte Gegenleistungen bieten, etwa politische Teilhabe, Sicherheitsgarantien oder wirtschaftliche Perspektiven. Zugleich wäre eine internationale Truppe nötig, die glaubwürdig, robust und auf Jahrzehnte hin angelegt ist. Zudem bräuchte es eine wirksame Grenzkontrolle, um den Schmuggel von Waffen und Munition zu verhindern.
Einsätze mit anhaltender Präsenz
ziehen sich oft über viele JahreEine Uno-Mission mit robustem Mandat wäre eine Möglichkeit. Sie könnte für Sicherheit sorgen, Waffen einsammeln und langfristig beim Aufbau von Institutionen helfen. Es gibt dafür durchaus ein positives Beispiel. Nach dem Bürgerkrieg in Sierra Leone schaffte es eine Uno-Truppe zwischen 1999 und 2004, Zehntausende Kämpfer zu entwaffnen und in zivile Strukturen zu integrieren. Allerdings steht Israel solchen Uno-Missionen traditionell skeptisch gegenüber.
Eine zweite Option in Gaza wäre eine arabische Schutztruppe, gestellt etwa von Ägypten, Jordanien oder einer breiten arabischen Koalition. Sie hätte den Vorteil regionaler Akzeptanz, könnte aber als parteiisch gelten. Viele arabische Staaten verfolgen in dem Konflikt eigene Interessen.
Eine dritte Variante wäre eine hybride Lösung: internationale Beobachter mit politischem Mandat der Uno, kombiniert mit regionalen Sicherheitskräften, die in Gaza für Ordnung sorgen. Auch hier bestünde das Problem der Akzeptanz, sowohl durch Israel als auch durch die Palästinenser.
Als wäre das alles nicht schon kompliziert genug, kommt noch das Zeitproblem dazu. In Afghanistan und in Kosovo zeigte sich, dass solche Einsätze Jahrzehnte dauern können. Eine Gaza-Mission würde Milliarden kosten, Zehntausende Soldaten und Polizisten binden, politische Geduld und internationale Aufmerksamkeit über viele Jahre erfordern.
Genau daran scheitern die meisten Missionen. Irgendwann schwindet der Wille der internationalen Gemeinschaft am Engagement, während die Konfliktparteien weiter eigene Interessen verfolgen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei der „Neuen Zürcher Zeitung“.