Andrij Melnyk hat in einem Interview eigentlich nicht viel Neues gefordert. Dennoch herrschte am Wochenende helle Aufregung.
BSW und Linke bejubeln Interview„Dumm, wenn man Beiträge nicht liest“ – Melnyks Worte sorgen für Wirbel
Der frühere ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, sieht die Bundesregierung in der Lage, eine diplomatische Lösung für den Ukraine-Krieg auszuloten. „Deutschland könnte eine diplomatische Vermittlung anstoßen“, sagte Melnyk in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“. In dieser Hinsicht könne Berlin eine „genauso wichtige Rolle“ wie die USA übernehmen, fügte der mittlerweile als ukrainischer Botschafter in Brasilien tätige Diplomat hinzu.
„Ganz persönlich glaube ich, dass Bundeskanzler Olaf Scholz kreativ werden und die bestehenden diplomatischen Kanäle Deutschlands nutzen könnte, um auszuloten, ob Gespräche mit Putin sinnvoll wären“, sagte Melnyk weiter. Die Bundesrepublik habe immer noch eine Botschaft in Moskau, fügte er an. „Und die Hauptsache ist, dass wir Ukrainer den Deutschen vertrauen.“
Andrij Melnyk: Wahlerfolg von AfD und BSW „eine Horrormeldung“
Melnyk sieht insbesondere in der schwierigen innenpolitischen Lage in Deutschland nach den Erfolgen von AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen einen möglichen Ansporn für eine diplomatische Initiative Deutschlands.
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„Die schockierenden Wahlerfolge von AfD und BSW, die als fünfte Kolonne Russlands agieren, waren eine Horrormeldung für die Ukrainer. Aber vielleicht werden sie für die Ampel ein Weckruf sein, auf – zugegeben kuriose – Weise, dass man diplomatische Initiativen auslotet, auch um diesen beiden populistischen Kräften den Wind aus den Segeln zu nehmen.“
BSW- und Linken-Politiker: Freude über angeblichen Kurswechsel
Insbesondere in den Reihen der Wagenknecht-Partei sorgten die Aussagen des ehemaligen Botschafters in Deutschland für helle Aufregung – jedoch nicht wegen Melnyks Kritik an der Partei, sondern wegen der Forderung nach einer diplomatischen Initiative. BSW-Politiker wie Fabio De Masi, aber auch Vertreter der Linken wie Dietmar Bartsch oder Gregor Gysi, sahen sich dadurch offenbar in ihren Forderungen bestätigt.
Melnyks Worte wurden dabei auch vom Politikwissenschaftler Johannes Varwick zu einer veränderten Position umgedeutet. „Schön, wenn er inzwischen dazugelernt hat“, schrieb der Politologe bei X. „Melnyk hat seine Meinung geändert“, hieß es derweil bei Gysi. Tatsächlich hatte sich der ukrainische Diplomat jedoch bereits in der Vergangenheit ganz ähnlich geäußert – und den Vorwurf der „fünften Kolonne“ gegenüber dem BSW in dem aktuellen Interview bekräftigt.
Andrij Melnyk fordert nicht nur Diplomatie – sondern auch den Taurus
Zudem erwähnten die BSW- und Linken-Politiker in ihren Beiträgen im sozialen Netzwerk X die weiteren Forderungen Melnyks aus dem Interview mit der „Berliner Zeitung“ nicht. Der Ukrainer hatte jedoch nicht nur Kanzler Scholz, dazu geraten, eine diplomatische Initiative zu starten, sondern dafür auch klare Prämissen benannt.
Es sei für Verhandlungen „überlebenswichtig, dass die Ukraine sehr gute Karten in den Händen hält (…), um Russland zum Rückzug zu zwingen“, erklärte Melnyk, der damit vom offiziellen ukrainischen Ziel nicht abrückte.
Kritik an verkürzter Darstellung von BSW- und Linken-Politikern
Dafür seien deutlich mehr Waffenlieferungen an die Ukraine notwendig, insbesondere der weitreichende deutsche Taurus-Marschflugkörper müsse an Kiew geliefert werden, bekräftigte Melnyk frühere Forderungen. „Gleichzeitig sollten deutsche Militärhilfen ausgeweitet werden, es geht vor allem um weitreichende Waffensysteme wie Taurus“, so Melnyk.
Dass diese Forderungen, die den Zielen insbesondere des BSW widersprechen, das sich für ein Ende von Waffenlieferungen an die Ukraine einsetzt, von De Masi, Gysi und Co. in ihren Beiträgen unterschlagen worden waren, sorgte derweil schnell für heftige Kritik.
„Egal, wer sich vom BSW äußert – sie spielen die Kreml-Partitur“
„So agieren die Ideologen vom BSW“, kommentierte der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk den Beitrag von De Masi. „Es geht bei Andrij Melnyk nämlich noch weiter“, erklärte Kowalczuk und veröffentlichte die weiteren Forderungen des ehemaligen Botschafters in Deutschland. „Egal, wer sich vom BSW zur Ukraine äußert – sie spielen die Kreml-Partitur“, fügte der Historiker an.
Auch der Sicherheitsexperte Carlo Masala, Professor an der Universität der Bundeswehr, verweis auf die weiteren Aussagen Melnyks. „Na, seid ihr noch immer Melnyk-Fans oder pickt ihr euch nur den diplomatischen Schnipsel raus?“, fragte Masala bei X. Direkt an Gysi gewandt, schrieb Masala: „Echt dumm, wenn man Beiträge nicht liest, Herr Gysi.“
Andrij Melnyk: Hitzige Wortgefechte als Botschafter in Deutschland
Melnyk war von 2015 bis Oktober 2022 ukrainischer Botschafter in Berlin gewesen, danach löste ihn der jetzige Botschafter Oleksii Makeiev ab. Melnyk war wegen seiner oft als provokativ empfundenen Äußerungen umstritten. Im November 2022 wurde er zunächst zum Vize-Außenminister ernannt und wechselte dann im Juni 2023 nach Brasilien.
Insbesondere mit Sahra Wagenknecht und den Unterstützern einer „Friedensinitiative“ der nunmehrigen BSW-Chefin wie Alice Schwarzer war Melnyk in seiner Amtszeit immer wieder heftig aneinandergeraten.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich derweil am Sonntag zu Friedensbemühungen. „Ich glaube, das ist jetzt der Moment, in dem man auch darüber diskutieren muss, wie wir aus dieser Kriegssituation doch zügiger zu einem Frieden kommen“, sagte Scholz im ZDF-Sommerinterview. Eine künftige Friedenskonferenz müsse dabei mit Russland stattfinden. Darüber sei er sich mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj einig. (mit afp)