Rob Jetten von der Partei D66 könnte der jüngste Regierungschef der niederländischen Nachkriegsgeschichte werden: Nach der Auszählung von 99,7 Prozent der Stimmen führen die Sozialliberalen.
Der „Anti-Wilders“Rob Jetten wird wohl der nächste Ministerpräsident der Niederlande

Rob Jetten könnte mit nur 38 Jahren Ministerpräsident werden.
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Rob Jetten taucht aus einem Meer aus niederländischen Flaggen vor seinen Anhängern auf. Sie jubeln euphorisch, er strahlt sein typisches Zahnpastalächeln, reckt den rechten Arm in die Höhe. „Wir haben es geschafft“, sagt der Chef der Partei D66 erleichtert in das Mikrofon. Dann stimmt die Menge im Musikklub Nobel der Universitätsstadt Leiden den Schlachtruf „Het kan wel“ – „es ist möglich“ – an. Tausende Menschen grölen den Kampagnenslogan, der für Aufbruch stehen soll, für Optimismus, für einen Neustart.
Jüngster Regierungschef in der Nachkriegsgeschichte?
Er ist angelehnt an Barack Obamas „Yes, we can“ und tatsächlich: Der 38-Jährige könnte der jüngste Regierungschef der niederländischen Nachkriegsgeschichte werden. So jedenfalls deuteten es die ersten Hochrechnungen am Mittwochabend an, denen zufolge Jetten vor der rechtspopulistischen PVV von Geert Wilders landete.
Das Abschneiden seiner Partei sei ein „Sieg über den Hass“ von Wilders, sagte Jetten und kündigte einen „Abschied von politischer Negativität“ an. Er hatte sich im Wahlkampf ganz bewusst als der „Anti-Wilders“ dargestellt. Doch während das Grolsch bei der Party noch bis zum frühen Morgen floss, holte Wilders' „Partei für die Freiheit“ auf. Nach Auszählung von 99,7 Prozent der Stimmen am Donnerstagabend kamen beide auf jeweils 26 der 150 Sitze im Parlament. Die Sozialliberalen führten dabei mit nur wenigen tausend Stimmen. Es dürfte also noch dauern, bis ein eindeutiger Sieger feststeht, zumindest auf dem Papier.
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Koalitionsbildung ohne Wilders
Aber egal, wie das Endergebnis ausfällt: Rob Jetten gilt ohne Zweifel als der große Gewinner. Und weil vor dem Urnengang alle etablierten Parteien eine Zusammenarbeit mit Wilders ausgeschlossen hatten, dürfte es an ihm liegen, eine Regierung zu bilden. Für diese wolle der ehemalige Klimaminister zuerst nach links schauen, kündigte er an. Daneben wären die christdemokratische CDA und die wirtschaftsliberale VVD, die auf Rang drei kam, mögliche Partner. Da die VVD einer Zusammenarbeit mit den Linken vor der Abstimmung eine Absage erteilt hatte, gilt als weitere Option, dass die kleine Rechtspartei JA21, die überraschend gut abschnitt, das rot-grüne Bündnis GroenLinks-PvdA ersetzt. Die Verhandlungen dürften sich hinziehen.
In den Niederlanden, so heißt es gerne, werden Wahlen im Fernsehen entschieden. Und kein anderer Politiker war in den vergangenen Wochen so präsent auf den Bildschirmen wie Jetten. Dabei kamen ihm einige glückliche Zufälle gelegen. Als etwa Wilders vor zwei Wochen eine TV-Debatte aus angeblichen Sicherheitsgründen absagte, sprang Jetten ein – und überzeugte. Hier der optimistische, lustige und energetische Politiker, der zwar anerkannte, dass Migration für die Niederländer ein Problem darstellt, der aber mit positiven Botschaften gegen die „Spaltung“ des Landes ankämpfen wollte. Dort die Konkurrenz, die sich in giftigen Schlagabtauschen über Einwanderer verlor.
Vergleich mit Mark Rutte: Jetten als Hoffnungsträger
Manche vergleichen Jetten mit dem ehemaligen Langzeit-Premier Mark Rutte, der stets dafür gepriesen wurde, als einer der wenigen ein Rezept gegen Wilders gefunden zu haben. „Wir haben nicht nur den Niederlanden, sondern auch der Welt gezeigt, dass es möglich ist, populistische und rechtsextreme Bewegungen zu besiegen“, sagte Jetten am Mittwoch über das „historische Wahlergebnis“. Geholfen hat ihm auch, dass er in den vergangenen Monaten wöchentlich in einer Quizshow zu sehen war, die bereits vor dem Bruch der Regierung aufgezeichnet worden war. Darin wurde „der klügste Mensch“ gesucht und Jetten präsentierte sich smart und sympathisch.
Im Wahlkampf rückte der Polit-Shootingstar, der mit dem argentinischen Hockeyspieler Nicolás Keenan verlobt ist, die Sozialliberalen zudem weiter nach rechts, ergo in die Mitte. Für viele Bürger war der Kurs der proeuropäischen Partei in der Vergangenheit zu linksradikal und abgehoben.
Während Jetten ein wahres Momentum erlebte, gerieten einige seiner Rivalen in den letzten Wochen zunehmend ins Straucheln. Lange prophezeiten Beobachter ein Duell zweier politischer Veteranen: Geert Wilders und Frans Timmermans. Am Ende drängten sie sich gegenseitig aus dem Spiel.
Wilders' verpasster Triumph und gescheiterte Strategie
So verkalkulierte sich der schrille EU-Hasser und islamfeindliche Hardliner Wilders, als er im Sommer die rechte Koalition wegen eines von ihm angezettelten Asylstreits nach nur elf Monaten platzen ließ. Zudem dachte er offenbar, alle Probleme auf Einwanderer schieben zu können, würde ihm einen Erfolg wie vor zwei Jahren bescheren. Damals fuhr der „niederländische Donald Trump“ einen Erdrutschsieg ein. Sein Programm hat sich seitdem kaum verändert: Er will Moscheen wie auch die Landesgrenzen für alle Asylbewerber schließen, fordert den Austritt der Niederlande aus der EU und kanzelt Klimaschutzpolitik als unnötige Hysterie ab.
Timmermans, der Spitzenkandidat des Bündnisses der Grünen und Sozialdemokraten, landete derweil abgeschlagen auf Platz vier und trat noch am Mittwoch als Parteichef zurück. „Es ist uns nicht gelungen, genügend Menschen zu überzeugen, uns ihre Stimme zu geben“, sagte der 64-Jährige. Dafür übernehme er „die volle Verantwortung“. Der ehemalige EU-Vizekommissionspräsident war gescheitert bei seinem zweiten Versuch, Ministerpräsident zu werden.
Zwar schaffte es der Christdemokrat Henri Bontenbal, die einstige Volkspartei CDA wieder aus der Versenkung zu holen, indem er auf Langeweile setzte. Aber offenbar überzeugte die unaufgeregte Kampagne dann doch nicht genügend Niederländer. Die Konservativen dürfen mit 18 Sitzen rechnen. Das sind zwar 13 mehr als zuletzt, doch angesichts der durch die Umfragen geschürten Erwartungen wurde das Ergebnis nicht als Riesenerfolg gefeiert.

