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Angriff früher möglich als gedachtDeutsche Geheimdienste warnen eindringlich vor Russland – Kreml kontert

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Wladimir Putin betrachtet eine Militärparade in Moskau. Die deutschen Geheimdienste warnen nun vor den Plänen des Kremlchefs. (Archivbild)

Wladimir Putin betrachtet eine Militärparade in Moskau. Die deutschen Geheimdienste warnen nun vor den Plänen des Kremlchefs. (Archivbild)

Die Chefs der drei deutschen Nachrichtendienste wählen im Bundestag drastische Worte – und warnen vor einem Angriff auf die Nato. 

Martin Jäger, der neue Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), hat eindringlich vor Russland gewarnt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundeswehr-Geheimdienst MAD schlossen sich der Warnung während einer Anhörung im Bundestag am Montag an. Die Gefahr einer militärischen Konfrontation mit Russland rückt nach Einschätzung der Geheimdienste näher.

„Wir dürfen uns nicht zurücklehnen in der Annahme, ein möglicher russischer Angriff käme frühestens 2029“, sagte Jäger. „In Europa herrscht bestenfalls ein eisiger Frieden, der punktuell jederzeit in heiße Konfrontation umschlagen kann“, warnte der BND-Chef. Bereits sein Vorgänger, Bruno Kahl, hatte im Sommer eindringlich vor den Gefahren durch Russland gewarnt.

BND-Chef über Russland: „Wir stehen schon heute im Feuer“

Nun wählte Jäger noch drastischere Worte und sprach davon, dass ein russischer Angriff auf die Nato bereits früher als bisher oft angenommen – also 2029 – stattfinden könnte. Das Jahr 2029 war bislang vom BND und auch von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wiederholt als jenes Jahr genannt worden, in dem Russland zu einem Angriff auf Nato-Gebiet in der Lage sein werde.

Martin Jäger, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, und Martina Rosenberg, Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst, bei der Anhörung durch das Parlamentarische Kontrollgremium. (Archivbild)

Martin Jäger, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, und Martina Rosenberg, Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst, bei der Anhörung durch das Parlamentarische Kontrollgremium. (Archivbild)

„Wir stehen schon heute im Feuer“, erklärte Jäger. Russland wolle die Nato unterminieren und die Demokratien in Europa destabilisieren. „Um dieses Ziel zu erreichen, wird Russland, wenn nötig, auch eine direkte militärische Auseinandersetzung mit der Nato nicht scheuen.“

„Buchstäblich überschreitet Russland brandgefährliche Grenzen“

Neben Jäger äußerten sich am Montag auch der Verfassungsschutzchef Sinan Selen und die Präsidentin des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), Martina Rosenberg. Auch Selen und Rosenberg berichteten vor einer wachsenden Bedrohung aus Russland.

„Buchstäblich überschreitet Russland brandgefährliche Grenzen“, erklärte Selen. Moskau sei „Hauptverursacher für die Vorbereitung und Umsetzung von Sabotageakten in Deutschland und weiteren europäischen Staaten“, fügte der Verfassungsschutzchef hinzu. Selen charakterisierte das Vorgehen des Kreml zudem als „unverfroren“. Russlands Ziel sei „ein Austesten der Reaktion des Gegenspielers“ sowie „spürbare Verunsicherung“ zu schaffen, hieß es weiter. 

BND-Chef Martin Jäger berichtet über Moskaus Motive

MAD-Chefin Rosenberg berichtete zudem von Versuchen aus dem Ausland, die Streitkräfte zu destabilisieren. Solche Aktionen zielten darauf ab, „die Bundeswehr zu unterwandern und kritische militärische Infrastrukturen zu gefährden“, sagte Rosenberg.

BND-Chef Jäger attestierte derweil eine „neue Qualität der Konfrontation“. Europa solle „von Furcht und Handlungsstarre gelähmt in die Selbstaufgabe getrieben werden“ – dies sei Russlands Kalkül. „So rechnet man sich in Moskau realistische Chancen aus, die eigene Einflusszone nach Westen auszuweiten und das wirtschaftlich vielfach überlegene Europa in die Abhängigkeit von Russland zu bringen.“

„Gegner konfrontieren, wo immer dies nötig ist“

Geeint baten die drei Geheimdienstchefs um rasche Gesetzesreformen, um besser auf die Bedrohung reagieren zu können. Die Lage sei „jetzt schon kritisch“, sagte Verfassungsschutzchef Selen. „Insofern brauchen wir die Handlungsfähigkeiten jetzt.“

„Wir müssen unsere Gegner konfrontieren, wo immer dies nötig ist“, forderte auch BND-Chef Jäger eine aktivere Ausrichtung der deutschen Auslandsaufklärung. 

Geheimdienstchefs sehen „Gleichgültigkeit“ bei Bevölkerung

Der BND müsse in Zukunft „gezielt Risiken eingehen oder suchen“, fügte der Geheimdienstchef hinzu. „Das heißt nicht, dass wir jetzt Bonanza spielen oder James Bond. Aber ich wünsche mir, dass unser Dienst etwas operativer und wagemutiger wird.“ Dafür müsse man dem Geheimdienst jedoch „entsprechenden Mittel an die Hand“ geben, erklärte Jäger.

Sowohl beim BND als auch beim Verfassungsschutz kommt man zur Einschätzung, dass die deutsche Bevölkerung das Ausmaß der Gefahr durch Russland nicht ausreichend wahrgenommen habe. In Deutschland herrsche eine „gewisse Gleichgültigkeit“ dieser Gefahr gegenüber, erklärte Jäger etwa. Selen pflichtete ihm bei und verwies auf Baltikum und in Skandinavien. Dort sei das Bewusstsein der Gefährdung deutlich stärker ausgeprägt. „Da müssen wir hinkommen.“

Drohnen, Jets, „grüne Männchen“ – Moskau setzt auf Provokation

Die Warnungen stehen auch im Kontext der jüngsten Provokationen des Kremls. Nachdem zunächst russische Drohnen in den polnischen Luftraum eingedrungen waren, meldete Estland kurze Zeit später russische Kampfjets im eigenen Luftraum – beide Länder beantragten daraufhin Nato-Konsultationen gemäß Artikel 4. Das Verteidigungsbündnis hat daraufhin seine Schutzmaßnahmen an der Ostflanke verstärkt.

Dennoch kam es zu weiteren Drohnenvorfällen, bei denen Flughäfen in Europa gestört wurden. Wer hinter diesen Zwischenfällen steckt, blieb zunächst unklar. Der Verdacht fällt jedoch auch hier auf Russland – was Kremlchef Wladimir Putin mit der scherzhaften Versicherung quittierte, er werde keine weiteren Drohnen mehr schicken.

Moskau: „Antirussische Stimmung“ in Deutschland

Zuletzt tauchten dann – wie von Ex-BND-Chef Kahl bereits im Sommer ins Spiel gebracht worden war – sogenannte „kleine grüne Männchen“ nahe der Grenze zu Estland auf. Auch das wird im Westen als Provokation gewertet, insbesondere da der Krieg gegen die Ukraine im Jahr 2014 mit der Entsendung der „kleinen grünen Männchen“ auf die Krim begonnen hatte. Erst später räumte Moskau ein, dass es sich bei den uniformierten Einheiten ohne Hoheitsabzeichen um russische Truppen gehandelt hat.

Russland versucht, die Gefährdungslage unterdessen herumzudrehen. Nach der Warnung der deutschen Geheimdienste attestierte Moskaus Botschafter in Belgien, Denis Gonchar, dem Westen „Hysterie“. Deutschland, das „einst besonnen“ gewesen sei, schließe sich zuletzt der „antirussische Stimmung der traditionell lautstarken baltischen Staaten und Polens“ an, hieß es von dem russischen Diplomaten nach Angaben der Staatsagentur Tass.

Medwedew und Medien: Aggressive Töne aus Russland

Deutlich direkter zu Moskaus Motiven hatte sich unterdessen in der letzten Woche der ehemalige Kremlchef Dmitri Medwedew geäußert. Die Europäer sollten „Angst haben und zittern wie dumme Tiere in einer Herde, die zum Schlachten getrieben wird“, schrieb der nunmehrige Vizechef des Moskauer Sicherheitsrates bei Telegram hinsichtlich der mutmaßlich russischen Provokationen in den letzten Wochen.

Auch in den russischen Propaganda-Medien bleiben die Töne zuletzt aggressiv, dort wurde noch am Wochenende in Talkshows über mögliche Angriffe auf Polen sinniert. (mit afp)