Interview mit Hendrik Wüst„Olaf Scholz hat keine klare Linie“

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Hendrik Wüst

Hendrik Wüst (CDU) 

Der 46-jährige Hendrik Wüst (CDU) will Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen bleiben. Auch die Bundes-CDU blickt gespannt auf die Landtagswahl am 15. Mai. Über seine Ziele und den Ukraine-Krieg sprach er mit Rena Lehmann.

Die Ampel-Koalition will nun doch schwere Waffen in die Ukraine liefern. Was halten Sie davon?

Die Debatte wird in ganz Deutschland geführt, deshalb gehört sie nicht nur in die Talkshows, sondern in den Bundestag. Ich mache mir große Sorgen darüber, wie sich Deutschland in seiner Ukraine-Politik aufstellt. Wenn es um Sanktionen wie bei Swift geht und jetzt auch die Frage der militärischen Unterstützung der Ukraine, ist Deutschland zögerlich und zaudernd. Dieses Verhalten schadet nicht nur der Ukraine, sondern auch dem Ansehen der Bundesrepublik bei unseren europäischen Partnern und in der Nato.

Gibt es nicht gute Gründe für die Zurückhaltung?

Deutschland handelt nicht mit Voraussicht und der Bundeskanzler erklärt seine Position auch nicht ausreichend und deutlich genug. Das SPD-Russland-Netzwerk ist ja bekannt. Aber diese Verflechtungen aus der Vergangenheit dürfen in der Bundesregierung nicht verhindern, dass die in der Gegenwart notwendigen Entscheidungen getroffen werden.

Hat nicht auch die CDU etwas aufzuarbeiten in Ihrer Russlandpolitik? Schließlich hieß die Bundeskanzlerin in den vergangenen 16 Jahren Angela Merkel …

Praktisch der gesamte Westen ist in Bezug zu Russland Fehleinschätzungen unterlegen, völlig klar. Aber es macht doch einen Unterschied, ob man nach dem Atomausstieg eine finanzierbare Brücke finden muss, mehr Strom aus erneuerbarer Energie verfügbar ist und sich dann für Gas aus Russland entscheidet, oder ob ein Russland-Netzwerk wie in der SPD einen offenbar auch heute noch hindert, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Es wird wohl niemand bestreiten, dass es da Unterschiede zwischen den Parteien gibt.

Kanzler Olaf Scholz hielt die zurückhaltende Linie bislang für richtig, weil er die Gefahr eines dritten Weltkriegs sieht …

Ich warne davor, dieses Narrativ Putins zu übernehmen. Kriegspartei werden, will niemand. Die Drohung mit einem Atomkrieg ist doch eben genau Teil von Putins Strategie der Destabilisierung des Westens. Man könnte genauso argumentieren, dass eine Stärkung der Abwehr der Ukraine auch uns davor schützt, später in einen Bündnisfall hineingezogen zu werden, nämlich dann, wenn Putin nach der Ukraine nicht aufhört und seine kriegerische Aggression auf EU- oder NATO-Partner ausweitet. So oder so hat die Bundesregierung keine klare Linie: Gestern warnt sie bei Lieferung schwerer Waffen vor dem Dritten Weltkrieg, heute wird die Lieferung von Gepard-Panzern zugesagt. Ich wundere mich daher, wenn nun alle empört aufschreien, weil die Union – genau wie Bundestagsabgeordnete von Grünen und FDP – die Lieferung schwerer Waffen zum Schutz der Ukraine und damit auch zu unserem Schutz fordert. Das ist doch Aufgabe der Opposition im Bundestag, zu sagen, was sie für richtig hält.

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Übernimmt jetzt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Führungsrolle in Europa?

Die Wiederwahl von Emmanuel Macron ist eine Riesenchance, die deutsch-französische Partnerschaft weiter und stärker mit Leben zu füllen. Deutschland und Frankreich sollten eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik anstreben. Es ist doch niemandem mehr zu erklären, dass wir gemeinsam in unseren Werten angegriffen werden, aber militärische Güter noch immer rein nationalstaatliche Angelegenheit ist. Die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr wären doch dann am besten angelegt, wenn wir mit unseren Partnern gemeinsam beschaffen.

Am 15. Mai ist Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Ist die Solidarität mit der Ukraine endlich, wenn Sprit und Brot immer teurer werden?

Die Hilfsbereitschaft für die Menschen in der Ukraine ist überwältigend. Da wird der ganzen Unmenschlichkeit dieses Krieges viel Menschlichkeit und Nächstenliebe entgegengesetzt. Trotzdem machen sich so viele Menschen wie nie zuvor auch Sorgen um ihren Arbeitsplatz und wie sie ihr normales Leben noch bezahlen können. Wir haben in Nordrhein-Westfalen viel energieintensive Industrie. Jeder weiß, dass wir vor der großen Herausforderung stehen, unsere Energieversorgung rasch auf Erneuerbare umzustellen. Es geht jetzt darum, Arbeitsplätze zu erhalten und für die Zukunft krisensicher zu machen. Das schaffen wir nur, wenn wir die Wirtschaft in dieser Situation stärken, vor allem durch eine bezahlbare und sichere Energieversorgung und weniger Bürokratie.

Wird der Staat noch einmal wie in der Pandemie einspringen müssen?

Entscheidend ist jetzt, dass der Bund sich dazu bereit erklärt, auf breiter Front die Steuern auf Energie zu senken, um Privathaushalte und Wirtschaft zu entlasten. Der Weg zur Arbeit und eine warme Wohnung dürfen nicht zum Luxusgut werden. Langfristig müssen wir dafür sorgen, dass unser Wirtschaftsstandort mit bezahlbarer Energie sicher versorgt ist. Darum sollten wir uns kümmern, anstatt die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen. In der Pandemie hat die Politik bewiesen, wie man schnell helfen kann.

Das Ampel-Kabinett wird am Mittwoch ein milliardenschweres Entlastungspaket beschließen. Reicht das nicht?

Nein. Es ist nur ein Schritt in die richtige Richtung. Die Ampel sollte den Steueranteil an den Energiepreisen weiter senken. Das ist die einfachste Entlastung auf breiter Front. Zudem sollte die Pendlerpauschale erhöht werden – und zwar ab dem ersten Kilometer.

Mit wem wollen Sie denn regieren, falls Sie die Wahl gewinnen?

Wir haben mit der FDP Nordrhein-Westfalen stark vorangebracht. Es sind 400000 neue Arbeitsplätze entstanden. Wir haben das Land objektiv viel sicherer gemacht und 10000 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer eingestellt. Auch in den kommenden Jahren wollen wir noch nochmal 10000 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer einstellen. Wir haben in wesentlichen Fragen der Landespolitik sehr erfolgreich gearbeitet. Deswegen möchte ich diese Zusammenarbeit gerne fortsetzen.

Es gäbe nach Stand der Umfragen auch eine Mehrheit für ein Ampel-Bündnis in Ihrem Bundesland …

Man merkt, dass die Attraktivität einer Ampel-Regierung in den letzten Monaten deutlich abgenommen hat. Das gilt für die Sicht vieler Menschen als auch die Perspektive mancher Beteiligter.

Was würden Sie in den ersten 100 Tagen machen?

Wir müssen die Arbeitsplätze krisenfest machen und dafür die Energieversorgung sichern. Das hat Priorität. Wir müssen uns um den Nachholbedarf der Schüler kümmern, die in der Pandemie im Distanzunterricht nicht gut unterstützt werden konnten. Und wir werden uns beim Thema Planungsbeschleunigung für den Ausbau der Erneuerbaren engagieren. Wir werden in den ersten 100 Tagen einen Pflegebonus von 3000 Euro auf den Weg bringen, um ausländische Pflegekräfte nach Nordrhein-Westfalen zu holen. Wir werden sehr schnell an die Arbeit gehen müssen, weil die Themen drängen.

Im Bund ist die Union in der Opposition, als NRW-Ministerpräsident wären Sie bei der nächsten Bundestagswahl automatisch ein möglicher Kanzlerkandidat. Reizt Sie der Gedanke?

Ich mache meine Aufgabe als Ministerpräsident sehr gerne. Andere Fragen stellen sich nicht. Es geht jetzt um die Wahl in Nordrhein-Westfalen.

Was ist an Vorbereitung nötig, um den nächsten Corona-Herbst diesmal besser zu überstehen?

Wir müssen weiterhin achtsam bleiben und vor allem für das Impfen werben. Ich erwarte, dass das umstrittene Infektionsschutzgesetz unmittelbar angepasst wird, um die Menschen bestmöglich zu schützen, wenn sich die Situation wieder ändert. Zu glauben, es wird schon gut gehen, ist sicher genauso falsch, wie die Angstrhetorik von Karl Lauterbach, der mit Sprüchen über „Killer-Varianten“ die Menschen verunsichert und sich dann in der Bundesregierung nicht mal durchzusetzen vermag.

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