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Interview

Nach dem Gipfel in Alaska
Wird Selenskyj tun, was Trump will, Herr Jäger?

4 min
16.08.2025, USA, Joint Base Elmendorf-Richardson: US-Präsident Donald Trump (oben) besteigt die Air Force One auf der Joint Base Elmendorf-Richardson nach einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Putin. Foto: Julia Demaree Nikhinson/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Abreise aus Alaska: Donald Trump besteigt nach dem Gipfeltreffen sein Präsidentenflugzeug.

„Trump gibt immer das wieder, was derjenige ihm erzählt hat, der zuletzt bei ihm war", sagt der Kölner Politologe Thomas Jäger nach dem Gipfeltreffen zwischen dem US-Präsidenten und dem russischen Machthaber Wladimir Putin. Im Interview erklärt er, was das für die Ukraine und für ihre europäischen Unterstützer bedeutet.

Herr Jäger, was erwartet den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Kanzler Friedrich Merz  und die anderen europäischen Spitzenpolitiker voraussichtlich am Montag in Washington?

Nun, sie werden einiges von US-Präsident Donald Trump hören, was wir möglicherweise noch nicht gehört haben. Und sie werden das hören, was wir inzwischen wissen. Es ist ja sukzessive nach der gemeinsamen Pressekonferenz mit Putin in Alaska herausgekommen, dass bei dem Gipfeltreffen wirklich folgendes Angebot formuliert wurde: Die Ukraine soll sich aus dem gesamten Donbass zurückziehen, der übrige Frontverlauf wird eingefroren. Es sieht so aus, dass dieser Punkt auf dem Tisch liegt. 

Ist es vorstellbar, dass die Ukrainer das tun? Sie würden dann in heikle Lage geraten, weil sie den Festungsgürtel aufgäben, der bisher das Zentrum ihres Landes schützt.

Sie würden sich nicht nur in eine heikle Lage bringen, sondern es ist aus meiner Sicht unvorstellbar, das Selenskyj dem zustimmt. Ein Rückzug aus dem Donbass wäre eine Gebietsabtretung. Bisher wurde nur vom Einfrieren der Front geredet. Dann wären ukrainische Gebiete, die bisher nicht zurückerobert werden konnten, zwar russisch besetzt, aber sie würden nicht abgetreten. Die Ukraine wird sehr darauf achten, dass dieser Status als besetzte Gebiete erhalten bleibt und nicht der Eindruck entsteht, sie hätte etwas abgetreten, was jetzt Russland gehört.

Russland will, dass die Ukraine kapituliert. Erst dann wird aufgehört zu schießen.

Was ist da eigentlich passiert? Noch am Mittwoch hatten die Europäer ein, wie es heißt, freundliches Gespräch mit Trump geführt. Und die Kernbedingungen formuliert, dass es erst einmal eine Waffenruhe mit dem aktuellen Frontverlauf geben muss. Und dass Gebietsabtretungen nicht in Betracht kommen.

Bis jetzt haben alle westlichen Staaten darauf gedrungen, dass die Waffenruhe sofort eintreten muss und man danach verhandelt. Das ist auch zwischen den USA und den Europäern verabredet worden. Jetzt hat sich Trump davon abbringen lassen und ist auf die russische Position eingegangen, die ja schon die ganze Zeit unverändert ist: Waffenruhe erst, wenn alle Fragen geklärt sind, also Entmilitarisierung, Entnazifizierung, Gebietsabtretungen, neutraler Status und, und, und.

Wobei man Begriffe wie Entnazifizierung und Demilitarisierung gewiss in Anführungszeichen setzen muss.

Natürlich. Das ist die russische Diktion. Die nennen das so. Im Ergebnis kann man das mit dem Begriff der Kapitulation zusammenfassen. Russland will, dass die Ukraine kapituliert. Erst dann wird aufgehört, zu schießen.

Aber noch mal. Am Mittwoch ist Trump also mit dem einverstanden, was die europäischen Partner und Nato-Generalsekretär Mark Rutte ihm sagen, nach dem Gipfel am Freitag sagt er, was Putin im beigebracht hat. Bald reden die Europäer wieder mit ihm, geht das jetzt so hin und her?

In der US-Politik gibt es in der Frage, wie man den Krieg Russlands beenden kann, nur eine Konstante. Und die heißt: kein Druck auf Russland. Alles andere ist genauso, wie Sie es beschreiben. Trump gibt immer das wieder, was derjenige ihm erzählt hat, der zuletzt bei ihm war. Das liegt daran, dass die USA unter der Trump-Administration, also schon seit vielen Monaten, nicht den geringsten Plan haben, was sie eigentlich erreichen wollen. Man geht ohne Ziel los. Statt eines Ziels gibt es nur die Chiffre Frieden, aber die ist inhaltsleer. Trump versteht darunter nur, dass das Schießen aufhören soll. Das Sterben soll aufhören. Aber das wird er nicht erreichen können.

Es gibt aber auch die vage Andeutung von US-Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Was ist davon zu halten?

Das ist völlig offen. Das ist eine Nebelkerze. Sicherheitsgarantien wurden schon im Budapester Abkommen 1994 gemeinsam mit Russland formuliert, als die Ukraine ihre Atomwaffen abgab. Was das jetzt bedeuten soll und was dem Nato-Artikel 5 ähnliche Garantien eigentlich sein sollen, weiß keiner. Es würde doch kein Nato-Mitglied sagen, ach ja, ich kann aus dem Bündnis austreten, Artikel-5-ähnliche Garantien reichen mir. Nur ein Mitglied der Nato ist in der militärischen Integration drin und an den Entscheidungen des Bündnisses beteiligt.

Grundstücksgeschäfte sind Trump vermittelbar. Alles andere ist ihm nicht vermittelbar.

Die Gruppe europäischer Politiker, die mit nach Washington reist, versucht zu retten, was zu retten ist. Welche Chancen hat sie?

Die Chancen sind nicht schlecht, zumindest den Abstand zwischen Trump und Putin wieder zu vergrößern und die zwischen Trump und den Europäern wieder zu verringern. Sie sind nicht schlecht, weil Trump eben keinen Plan hat, und wenn er jetzt wieder etwas anderes erzählt bekommt, wird er sagen: Ach, das ist ja genauso plausibel. Etwas erstaunlich ist, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mitreist, denn es geht ja eigentlich um Sicherheitspolitik. Aber möglicherweise wollen die Europäer auch über EU-Beitrittsperspektiven für die Ukraine oder Handelsfragen mit Trump reden. Nur trägt das alles nicht dazu bei, dass es eine wirkliche Entscheidung gibt. In dem Gespräche mit dem Trump-Abgesandten Steve Witkoff, das dem Gipfel in Alaska vorausging, ist es Putin offensichtlich gelungen, die Saite bei Trump anzuschlagen, die bei ihm zum Klingen zu bringen ist: Grundstücksgeschäfte. Vielleicht hatte Witkoff etwas falsch verstanden, vielleicht gab es einen Übersetzungsfehler, oder er ist in eine Falle gelaufen. Aber klar ist: Grundstücksgeschäfte sind Trump vermittelbar. Alles andere ist ihm nicht vermittelbar.

Angesichts des Verhaltens von Trump wird es massiv auf die Europäer ankommen, die Ukraine zu unterstützen, gegebenenfalls auch Sicherheitsgarantien umzusetzen und dem Land beim Wiederaufbau zu helfen. Schaffen sie das?

Gehen wir das nacheinander durch. Die Unterstützung durch die Europäer könnte weit größer sein. Die Europäer setzen auf 200 plus Milliarden Euro eingefrorenem russischen Geld, das sofort für die Verteidigung der Ukraine eingesetzt werden könnte. Die Amerikaner werden ihre Rüstungsgüter weiterhin verkaufen. Wem sollen sie sie denn sonst verkaufen? Das heißt, hier wird die Unterstützung weitergehen. Auch in Europa wird die Produktion hochgefahren. Der zweite Punkt sind Sicherheitsgarantien. Da sagen die Europäer zu Recht, das geht nur momentan mit den USA zusammen. Es geht ja nicht darum, 2000 Soldaten irgendwo zu stationieren. Sondern dazu gehört eine entsprechende Organisationsstruktur, dazu gehört eine Ausstattung, und das können sie momentan nicht alleine leisten. Das läuft alles über die Nato, es gibt keine gemeinsame europäische militärische Führung. Ganz generell haben die Europäer sowohl das demografische als auch das ökonomische Potenzial, die Ukraine zu unterstützen. Gefehlt hat es bisher immer nur am politischen Willen.

Prof. Thomas Jäger, Politologe, Köln

Prof. Thomas Jäger, Politologe, Köln

Prof. Thomas Jäger lehrt Internationale Politik an der Universität zu Köln.