Interview zum Missbrauch„Die Opfer waren nicht wichtig, der Ruf der Kirche ging vor“

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Sprecher Eckiger Tisch

Matthias Katsch

  • Matthias Katsch ist Sprecher der Opferinitiative Eckiger Tisch. Mit ihm sprach Raimund Neuß über die Studie von Aachen.

Das Erzbistum Köln hat sich von der Kanzlei getrennt, die in Aachen ihr Gutachten vorgestellt hat. Wie bewerten Sie dessen Qualität? Wie wir schon mehrfach gesagt haben, ist gegen ein Gutachten an sich nichts einzuwenden. Der Auftraggeber, das Bistum hat mit Recht ein Interesse, zu verstehen, wie sie den Umgang mit sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch ihre Priester und Mitarbeitenden verbessern können. Aber: Anwälte haben zu erst das Interesse der Mandantschaft zu wahren. Deshalb kann eine solche Untersuchung nur ein Element in einer umfassenden Aufarbeitung sein, die unabhängig durchgeführt werden muss. Jenseits der Kontroverse über die Kanzlei braucht es endlich eine unabhängige Aufarbeitungskommission, die die Betroffenen in den Mittelpunkt stellt.

Nach dem Gutachten galt die bischöfliche Fürsorge oft nicht den Opfern, sondern den Tätern. Entspricht das Ihrem Eindruck auch aus anderen Bistümern?

Das System hat überall mehr oder weniger ähnlich funktioniert, in Deutschland wie weltweit. Die Opfer waren nicht wichtig, der Ruf der Kirche und das Wohl des gefallenen Priesters stand im Vordergrund. Betroffene und ihre Angehörige wurden zum Schweigen gebracht, mit guten Worten oder mit Geld.

Oder sie wurden einfach ignoriert. Ein anderes Verhalten wäre die absolute Ausnahme. Es hätte auch in Konflikt geraten mit der Institution.

Was erwarten Sie vom hart kritisierten Alt-Bischof Mussinghoff?

Ich erwarte, dass das Bistum die Schuld nicht auf einzelne Amtsträger versucht abzuwälzen, sondern Verantwortung für das institutionelle Versagen übernimmt. Dazu gehören angemessene Entschädigungen, die die Folgen der Taten und der Vertuschung im Leben und den Biographien der Opfer berücksichtigt.

Ist das Thema in der Evangelischen Kirche weniger virulent?

Das werden wir erst sagen können, wenn die Protestanten sich an die Aufarbeitung machen. Es ist wahrscheinlich anders virulent. Die Opfer sind bisher jedenfalls oft Mädchen und älter als die durchschnittlichen Opfer in der Katholischen Kirche, wo es sich oft um kleine Jungen handelt, die sexueller Gewalt ausgesetzt waren. In beiden Kirchen gab es und gibt es Intransparenz, fehlende Kontrolle und Machtmissbrauch . Opfervergessenheit und Täterzentrierung. In den Heimeinrichtungen, die beide Kirchen betrieben haben, dürfte es beim Ausmaß der Verbrechen keinen großen Unterschied gegeben haben.

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