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Drohnenschlag gegen die Kronjuwelen der russischen Luftwaffe

Lesezeit 4 Minuten
ARCHIV - 09.05.2015, Russland, Moskau: Ein russischer strategischen Bomber und Raketenträger Tu-95 MS im Flug während der Militärparade zum Tag des Sieges auf dem Roten Platz in Moskau. Die Tu-95 setzt Russland regelmäßig weit im eigenen Hinterland ein, um zivile Ziele wie Energieanlagen in der Ukraine unter Beschuss zu nehmen. (zu dpa: «Vor Gesprächen zerstört die Ukraine russische Flugzeuge») Foto: Yuri Kochetkov/epa/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Strategischer Bomber vom Typ Tu-95: Von solchen Flugzeugen aus greift Russland die Ukraine mit Marschflugkörpern an - jetzt wurden mehrere davon zerstört.

Drohnenangriffe tief im russischen Hinterland: Die Ukraine hat russische Bomber und Fernaufklärer zerstört. Droht jetzt eine weitere Eskalation des russischen Angriffskrieges? Und welche Chancen gibt es für ein Kriegsende? Frage an den Kölner Politologen Prof. Thomas Jäger.

Herr Jäger, der russische Militärblogger Roman Alekhin und mit ihm westliche Online-Medien bezeichnen den ukrainischen Drohnenschlag gegen die russische strategische Luftflotte als neues Pearl Harbour. Haben sie recht?

Nein. Diese Analogie ist ganz schräg. Der einzig sinnvolle Vergleichspunkt wäre der Überraschungseffekt. Die Amerikaner hatten damals, 1941, aber immerhin grundsätzlich einen Angriff Japans befürchtet und Funkaufklärung betrieben, fanden in dem ganzen Rauschen aber nicht die richtigen Informationen. Dagegen wissen wir nicht, ob die Russen überhaupt etwas geahnt hatten.

Der Vergleich mit Pearl Harbour hat einen Hintersinn – die Folgen waren für Japan fatal, der Zweite Weltkrieg endete für das Land mit der kompletten Niederlage.

Klar. Diese Botschaft soll dieser Vergleich transportieren. Man will die Tatsache beiseiteschieben, dass Russland einen schweren Schaden erlitten hat, nicht nur materiell, sondern auch was den professionellen Ruf seiner Streitkräfte und den Glauben an seine militärische Durchsetzungsfähigkeit angeht. In Wirklichkeit kann Russland gar nicht mehr eskalieren.

Nuklearschlag wäre für Russland nicht rational

Das müssen Sie erklären. Russland kann nicht mehr eskalieren?

Was sollen die Russen denn noch tun? Sie könnten entweder parallel weitere Länder angreifen, dafür sehe ich aber momentan keine Ansätze. Oder sie könnten Nuklearwaffen einsetzen. Die Ukraine geht aber seit Kriegsbeginn 2022 davon aus, dass das nicht geschehen wird. Sie lässt sich von so einer Möglichkeit nicht abschrecken. Es wäre für Russland auch nicht rational, dazu zu greifen. Der Krieg läuft jetzt schon auf einem ausgesprochen hohen Eskalationsniveau. Beide Seiten sind bereit, dieses Eskalationsniveau zu halten. Eine weitere Eskalation sehe ich nicht.

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Wie gravierend sind die Auswirkungen des ukrainischen Drohnenschlags? Man könnte ja sagen, selbst wenn 40 Bomber und Fernaufklärer getroffen wurden, haben die Russen immer noch genug.

Vor dem Angriff hatte Russland gut 100 derartige Flugzeuge, und wir wissen nicht, ob sie auch alle einsatzbereit waren. Bei dieser Flottengröße trifft jeder einzelne Verlust einer solchen Maschine, etwa der Abschuss eines Überschallbombers TU-22M3 im April 2024, die russische Luftwaffe schwer. Nun gehen die Zahlen hin und her. Die Zerstörung von 40 Flugzeugen, wie die Ukraine sie behauptet, wäre ein enormer Schlag. Und auch eine geringere Zahl wäre schon äußerst schmerzhaft.

Russland vertraute auf seine riesige Fläche

Diese strategischen Bomber können Nuklearschläge ausführen. Was sagt es eigentlich über das militärische Sicherheitsniveau in Russland, wenn von ein paar Lastwagen aus Drohnenangriffe auf ihre Basen gelingen?

Russland ging bisher davon aus, dass es durch seine riesige Fläche sicher ist. Zu Beginn des Krieges nahm die russische Führung an, dass die Ukraine wenig Fähigkeiten habe, russisches Territorium zu erreichen. Wenn man also einen gewissen Territorialpuffer schuf, dann waren ukrainische Gegenangriffe chancenlos, dachte man. Dann zeigte die Ukraine, dass sie mit ersten Drohnenangriffen 100 Kilometer weit kam. Und das hat sich nach und nach gesteigert. Nach den Angriffen auf die Luftwaffenbasis Engels hat Russland die Flugzeuge eben weiter zurückgezogen. Aber Schutzmaßnahmen irgendwo in Sibirien? Die hat man nicht ergriffen. Uns kann nichts passieren, hat man in Moskau wohl gedacht, Nordkorea ist ein Verbündeter, China wird uns nicht angreifen, die USA machen sowieso nichts, also ist unser Osten sicher. Das war ein gravierender Fehler. Es ist unfassbar: Russland befindet sich im Kriegszustand, aber die Kronjuwelen seiner Luftwaffe werden nicht geschützt.

Was auch auffällt: Wie tief die ukrainischen Geheimdienste Russland durchdrungen haben …

Ja, auch das hat man in Moskau anders gesehen. Man hatte im Gegenteil gedacht, die ukrainischen Militärs und Geheimdienstler würden die einrückenden Russen begrüßen. Stattdessen erleben Russland auf eigenem Territorium gezielte Tötungen, Anschläge auf Brücken und Bahnstrecken und jetzt die Drohnenangriffe. Die ukrainischen Dienste agieren in Russland mit höchster Professionalität.

Putin kann nicht hinter Maximalforderungen zurück

Jetzt wird wieder über eine Waffenruhe verhandelt. Aber kann Wladimir Putin diesen Krieg überhaupt noch beenden? Muss er aus seiner Sicht nicht große Teile der Ukraine erobern und behalten, allein schon, um die russischen Verluste auszugleichen?

In der Tat. Der Druck ist so groß, dass er keinen Kompromiss eingehen kann, der unter seinen bisherigen Maximalforderungen liegt, also Annexion von vier Bezirken, Demilitarisierung der Ukraine, kein Nato-Beitritt und so weiter. In der politischen Klasse Russlands gehen die Forderungen inzwischen noch viel weiter. Zum Beispiel werden auch Odessa und Sumy als vermeintlich russische Städte genannt, die man einnehmen müsse. Am Anfang des Krieges hätte Putin noch die Möglichkeit gehabt, aus der Sache rauszukommen und das propagandistisch als Sieg zu verkaufen. Das geht nicht mehr. Dafür ist der innenpolitische Druck zu groß.  Er muss jetzt irgendetwas liefern.

Der deutsche Außenminister Johann Wadephul hat gesagt, wir hätten uns ein wenig ehrlicher gemacht und hätten keine Kapitulation Russlands erwarten können. Der Krieg werde höchstwahrscheinlich durch eine Verhandlungslösung beendet. Aber welche Möglichkeiten hat der Westen da überhaupt, etwas zu erreichen?

Das ist Wadephuls ganz eigene Kampagne, er setzt ja im Prinzip die Politik von Olaf Scholz fort. In Wirklichkeit hat nie jemand die Kapitulation Russland gefordert. Das ist völliger Unsinn, ein russisches Narrativ, man versucht die Akteure nach dem Motto gleichzusetzen: Die wollen ja gegenseitig die Kapitulation des anderen. Das stimmt nicht, die Ukraine will nur, das Russland sich hinter seine Grenzen zurückzieht. Punkt. Niemand will nachsetzen. Wadephul arbeitet mit einem Strohmannn-Argument, um den Eindruck zu erwecken, es gebe eine neue Politik, wo es gar keine neue gibt. Russische Gesprächsbereitschaft erzeugt man nur durch Druck und nicht, indem man Putin eine Karotte hinhält. Denn die hat er schon gegessen.

Prof. Thomas Jäger, Politologe, Köln

Prof. Thomas Jäger lehrt Internationale Politik an der Universität zu Köln.