Abo

Rufe während Corona„Mehr Medizin aus Deutschland“ und was aus der Idee wurde

Lesezeit 4 Minuten
Medikamente liegen im Lager einer Apotheke.

Medikamente liegen im Lager einer Apotheke.

Während der Pandemie wurden die Rufe laut, dass mehr Arzneien und Medizin aus der Heimat kommen müssen. Wie steht es drei Jahre später um diesen guten Vorsatz? Eine Spurensuche.

Die Einsicht kam früh: Schon kurz nach dem Beginn der Pandemie hieß es in NRW, Medizinprodukte und Arzneien müssten wieder in der Nähe hergestellt werden, also jederzeit verfügbar sein. Wie steht es drei Jahre später um diesen guten Vorsatz? Eine Spurensuche.

Am 3. Juni 2020 besuchte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) das Landeslager für Schutzausrüstung in Düsseldorf. Kurz zuvor war in NRW die Maskenpflicht eingeführt worden, ein Corona-Impfstoff war noch nicht in Sicht. Den Minister plagten düstere Gedanken: „Wir dürfen uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Das Thema Schutzausrüstung muss auf sicheren Beinen stehen. Ich möchte nicht noch einmal um Produkte auf dem Weltmarkt kämpfen müssen, deren Kosten sich eigentlich im Cent-Bereich bewegen sollten“, sagt er. Die Forderung nach Eigenständigkeit bei der Herstellung von Arzneien, Schutzkitteln, Masken und anderen Medizinprodukten wiederholte er danach oft. Die Abhängigkeit von Regionen, „auf die wir null Einfluss haben“, sei schlecht gewesen. Land, Bund und Industrie müssten das korrigieren.

Man „arbeitet daran“

Fragt man heute im NRW-Gesundheitsministerium danach, ist die Antwort dünn. Deutschland und die EU arbeiteten daran, die Produktion „zurück nach Europa zu holen und die Lieferketten widerstandsfähiger zu gestalten“. Im Übrigen sei das Bundesgesundheitsministerium zuständig.

Alles zum Thema Karl Lauterbach

Eine Anfrage dazu im Ressort von Karl Lauterbach (SPD) bleibt unbeantwortet. Dafür reagiert das Bundeswirtschaftsministerium. Ob die Bemühungen, sich unabhängiger zu machen, in NRW schon Früchte tragen, weiß man dort allerdings nicht. Es habe mal einen Arbeitsstab zum „Aufbau und Ausbau der Produktion von persönlichen Schutzausrüstungen, Testausstattungen und Wirkstoffen in Deutschland und der EU“ gegeben. Aber der sei schon im Dezember 2020 aufgelöst worden. Seitdem liege die „Betreuung“ von solchen Förderprogrammen in verschiedenen Abteilungen. Bei Fragen zur Medikamentenherstellung wende man sich ans Bundesgesundheitsministerium.

Was im „Versorgungsverbesserungsgesetz“ steckt

Dort liegt ein Gesetzentwurf in der Schublade, der auf den ersten Blick Gutes verspricht. Ein „Versorgungsverbesserungsgesetz“ soll daraus entstehen. Krisen wie die Covid-19-Pandemie hätten gezeigt, dass die Versorgung mit Krebsmedikamenten, Antibiotika und Fiebersenkern störanfällig sei, steht darin. Während im Jahr 2000 etwa 30 Prozent der Zulassungen für patentfreie Medizinwirkstoffe in Asien erfolgt seien, seien es im Jahr 2020 über 60 Prozent gewesen. Daher soll nun eine Lagerhaltung für viele Monate eingeführt, der Austausch von Arzneien zwischen den Apotheken verbessert und ein „Frühwarnsystem“ für Lieferengpässe eingeführt werden.

Ist das ein großer Schritt hin zu mehr Unabhängigkeit? Apothekerinnen und Apotheker in NRW sowie die Chemische und die Pharmazeutische Industrie glauben das nicht. „Die Abhängigkeit von Produktionsstätten außerhalb Europas ist über Jahrzehnte entstanden und lässt sich nicht von jetzt auf gleich beseitigen. Deshalb gehen wir weiter von vielen Lieferproblemen aus, die die Versorgung der Patienten erschweren werden“, sagte Thomas Preis, Chef des Apothekerverbandes Nordrhein, unserer Redaktion. Seine Branche kämpft seit Monaten mit Lieferproblemen. Fast jedes zweite Rezept könne nicht gleich bedient werden. Und das geplante Gesetz helfe da kaum, sagt Preis.

Nur ein Bruchteil wird im Gesetz bedacht

Bork Bretthauer, Chef des Lobbyverbandes Pro Generika, erklärt, warum der Bund das Engpass-Problem mit diesem Gesetz seiner Meinung nach nicht lösen könne: „Es geht die Ursachen nur bei Antibiotika und Krebsmitteln an. Die machen aber nur 1,1 Prozent aller Arzneimittel aus.“ Die Maßnahmen müssten für alle Generika gelten. Generika sind legale „Nachahmer-Arzneien“ nach Ablauf des Patentschutzes.

Laut Uwe Wäckers, Vize-Geschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) in NRW, leiden immer mehr kleinere Pharmaunternehmen unter steigenden Kosten. Große Teile der Produktion hätten sich leider wohl auf Dauer aus Europa verabschiedet. Eines der größten Hindernisse für den Weg zurück sei der Zwang zum billigen Angebot. Den müssten Politik und Krankenkassen abschaffen.

Um die Vergabe fairer und die Versorgung mit Arzneien sicherer zu gestalten, schlagen Wäckers vom VCI in NRW sowie der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) vor, die Produktion auf mehrere Schultern zu verteilen. So sollten Arzneien erst ausgeschrieben werden, wenn vier Anbieter im Markt seien. Außerdem sollten „Krankenkassen an mindestens drei Anbieter Zuschläge erteilen müssen, von denen mindestens einer Produktionsschritte in der EU realisiert“, so BPI-Sprecher Andreas Aumann.

Von einer Unabhängigkeit von Produkten aus Asien, darin sind sich alle Befragten einig, seien NRW und Deutschland noch sehr weit entfernt.

Rundschau abonnieren