Heikle Visite bei Netanjahu: Kurz nach dem Renten-Krimi im Bundestag ist Friedrich Merz zum Antrittsbesuch nach Israel gereist. Unsere Reporterin war dabei.
Merz in IsraelVon einer Einladung für Netanjahu ist keine Rede mehr

Gemeinsamer Auftritt: Merz und sein Gastgeber Netanjahu.
Copyright: Michael Kappeler/dpa
Der Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ist die wohl einzige Konstante im Vergleich zu früheren Antrittsbesuchen deutscher Kanzler in Israel. Früher gehörte das Land zu einem der ersten Reiseziele neuer Regierungschefs. Friedrich Merz kommt nun mit einigen Monaten Verspätung mitten im gerade erst begonnenen, noch brüchigen Friedensprozess mit den Palästinensern. Im Sommer hatte Merz mit deutlichen Worten die israelische Kriegsführung kritisiert und Waffenlieferungen eingeschränkt. Deutschland könne nicht länger Waffen liefern, wenn der Konflikt „ausschließlich mit militärischen Mitteln gelöst wird und Hunderttausende von zivilen Opfern fordern könnte“. Israels Premier Netanjahu war erbost. Es ist kompliziert geworden zwischen Deutschland und Israel.
Doch in Yad Vashem in Jerusalem gibt es für den deutschen Kanzler einen Moment der Klarheit. In dem eindrücklichen Gedenkort für die ermordeten Jüdinnen und Juden bricht ihm für einen Moment die Stimme, als er seinen Eintrag für das Gästebuch vorträgt. „Ich verneige mich vor den sechs Millionen Männern, Frauen und Kindern aus ganz Europa, die von Deutschen ermordet wurden, weil sie Juden waren.“
Nachdrücklich setzt er fort: „Hier, in Yad Vashem ist mit Händen zu greifen, welche bleibende historische Verantwortung Deutschland trägt: Deutschland muss für die Existenz und die Sicherheit Israels einstehen. Das gehört zum unveränderlichen Wesenskern unserer Beziehungen, und zwar für immer.“
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Dank für „echte Tränen“
Zuvor hatte er gemeinsam mit dem Leiter der Gedenkstätte, Dani Dayan, einen Teil der eindrücklichen Ausstellung besucht. Dayan dankt Merz für seinen Besuch, seine Freundschaft und für dessen „echte Tränen“.
In Yad Vashem zeigt Friedrich Merz sich nicht zum ersten Mal angefasst angesichts der Shoa. Bei der Wiedereröffnung einer Synagoge in München oder als er beim Deutschlandtag im vergangenen Jahr über den wieder aufflammenden Antisemitismus in Deutschland sprach, war ihm schon einmal anzumerken, wie nah ihm diese Themen wirklich gehen.
Der Antrittsbesuch in Israel ist für jeden deutschen Regierungschef etwas Besonderes, doch diese erste Reise von Friedrich Merz in das Land findet an diesem 7. Dezember unter geänderten Vorzeichen statt. Es ist nach dem Antrittsbesuch bei Donald Trump vielleicht seine bisher schwierigste Auslandsreise. Seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023, auf den Israel mit einem fast zweijährigen Krieg in Gaza antwortete, wird die deutsche Solidarität mit Israel auf die Probe gestellt. Und Merz hat sachte seinen Kurs angepasst.
Noch am Morgen nach der Bundestagswahl im Februar hatte er bestätigt, dass er Netanjahu nach Deutschland einzuladen gedenkt. „Ich halte es für eine ganz abwegige Vorstellung, dass ein israelischer Ministerpräsident die Bundesrepublik Deutschland nicht besuchen kann“, so Merz im Februar. Woraufhin der Internationale Strafgerichtshof ihn darauf hinwies, dass dieser dann in Deutschland zu verhaften sei.
Neue Akzente
Inzwischen ist von der Einladung nach Deutschland keine Rede mehr. Dafür setzt Merz vorsichtig neue Akzente in der Israel-Politik. Nicht alles unwidersprochen hinnehmen, was Israel tut, bei aller Freundschaft – in der Bundesregierung ist man der Überzeugung, dass die Beziehungen auch Kritik aushalten können und müssen. Und dass Deutschland international für das Land mehr erreichen kann, wenn der Kanzler Grenzen benennt, die nicht überschritten werden sollten. Die Gewalt durch jüdische Siedler gegen Palästinenser im Westjordanland etwa hält er für nicht hinnehmbar.
Im Vorfeld hatte es Kritik an seinen Reiseplänen gegeben. Menschenrechtsorganisationen warnten in einem Brief, Merz würde den vom Internationalen Strafgerichtshof als Kriegsverbrecher angeklagten israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit seinem Besuch eine derzeit unzulässige Ehre erweisen. Außer von Trump hat Netanjahu in den vergangenen Monaten nicht mehr viel Besuch aus den westlichen Demokratien bekommen.
Wie würde der israelische Premier die Bühne mit dem deutschen Kanzler nun nutzen? Bei der gemeinsamen Pressekonferenz werden die Differenzen trotz aller freundlichen Würdigungen überdeutlich. Netanjahu bedankt sich bei Merz für dessen Verteidigung der israelischen Angriffe auf die Atomanlagen im Iran. Und für den Widerspruch gegenüber dem türkischen Präsidenten Erdogan in Ankara, der Israel bei einer gemeinsamen Pressekonferenz Völkermord vorgeworfen hatte. Merz spricht nun in Israel aber auch über seine Erwartungen an „Bibi“, wie er Netanjahu nennt. Er ermunterte dazu, die palästinensische Autonomiebehörde zu unterstützen. Und er sagt, es dürfe keine Annexionsschritte im Westjordanland geben, „die auf eine Annexion hinauslaufen“. Nur eine Zwei-Staaten-Lösung könne eine friedliche neue Ordnung im Nahen Osten ermöglichen.
Netanjahu erteilt solchen Vorstellungen dann doch eine sehr deutliche Absage. Die palästinensische Autonomiebehörde würde keinen Staat neben Israel anstreben, sondern einen eigenen Staat „statt Israel“. Er warnt: „Wir werden keinen Staat vor unserer Haustür schaffen, der sich unserer Zerstörung verschrieben hat.”
Als ein deutscher Journalist danach fragt, ob der Kanzler Netanjahu nach Deutschland einlädt, sagt Merz, über diese Frage habe man gar nicht gesprochen. Und fügt noch etwas hölzern hinzu: „Wenn es die Zeit erlaubt, werde ich eine Einladung aussprechen.“ Netanjahu setzt daraufhin zu einer Generalkritik am Internationalen Strafgerichtshof an. Ein „korrupter Staatsanwalt“ sei es, der gegen ihn ermittle.
Merz lässt das so stehen. Er hat seine Punkte gemacht – und wirkt sichtlich erleichtert, dass die Pressekonferenz ohne Eklat über die Bühne ging. Eine Stunde haben beide zuvor unter vier Augen gesprochen. Womöglich gab es da auch klarere Worte von Merz. Beide sind bekannt dafür, dass sie eigentlich kein Blatt vor den Mund nehmen. Es wird kompliziert bleiben.
