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Polen ruft Nato zusammen„Schwerwiegendste Verletzung des europäischen Luftraums durch Russland“

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General Wieslaw Kukula, Mitte, Chef des Generalstabs der polnischen Streitkräfte, während einer außerordentlichen Regierungssitzung in der Kanzlei des Ministerpräsidenten nach der Verletzung des polnischen Luftraums während eines russischen Angriffs.

General Wieslaw Kukula, Mitte, Chef des Generalstabs der polnischen Streitkräfte, während einer außerordentlichen Regierungssitzung in der Kanzlei des Ministerpräsidenten nach der Verletzung des polnischen Luftraums während eines russischen Angriffs.

Mehrere Drohnen sind in Polen Luftraum eingedrungen. Der deutsche Nachbar hat Konsultationen zum Bedrohungsfall beantragt.

Polen hat nach der Verletzung seines Luftraums durch russische Drohnen Konsultationen zum Bedrohungsfall gemäß Artikel 4 des Nato-Vertrags beantragt. Die Gespräche mit den Verbündeten „nehmen zu diesem Zeitpunkt die Form eines formellen Antrags auf Aktivierung von Artikel 4 des Nordatlantikvertrags an“, sagte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk vor dem Parlament in Warschau. Die ohnehin für Mittwoch geplante Sitzung des Nordatlantikrats wurde daraufhin nach Angaben von Nato-Diplomaten unter Artikel 4 abgehalten.

Russland hatte in der Nacht zum Mittwoch erneut Angriffe auf die Ukraine geflogen, unter anderem auf die westukrainische Stadt Lwiw, die etwa 80 Kilometer von der Grenze zu Polen entfernt ist. Wie die polnischen Streitkräfte am frühen Morgen bekanntgaben, drangen dabei auch Drohnen in den polnischen Luftraum ein, die zum Teil abgeschossen wurden.

Polens Regierungschef Donald Tusk schrieb auf X, es seien Waffen gegen die Flugobjekte eingesetzt worden. Er sei in ständigem Kontakt mit der Armeeführung, dem Verteidigungsminister und dem Präsidenten. 

„Die Flugzeuge haben ihre Waffen gegen feindliche Objekte eingesetzt“, erklärte Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz im Onlinedienst X. „Wir stehen in ständigem Kontakt mit dem Nato-Kommando.“

Die Heimatschutz-Einheiten der Armee waren angewiesen worden, am Boden nach Trümmern der abgeschossenen Drohnen zu suchen. Kosiniak-Kamysz appellierte an die Bürger, sich diesen Trümmern nicht zu nähern und im Falle eines Fundes die Polizei zu informieren.

EU steht Polen bei – Von der Leyen verurteilt Russlands Handeln

Der Verteidigungsminister dankte den Offizieren und Piloten für ihren Einsatz. Unter anderem hatten niederländische Kampfflugzeuge des Typs F-35 bei der Sicherung des polnischen Luftraums geholfen. Der Dank gelte auch dem Alliierten Luftkommando (Aircom) der Nato, hieß es.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verurteilte Russland für die Verletzung des polnischen Luftraums. „Wir haben eine rücksichtslose und beispiellose Verletzung des polnischen und europäischen Luftraums durch mehr als zehn russische Shahed-Drohnen erlebt“, sagte von der Leyen am Mittwoch in ihrer Rede zur Lage der Union im EU-Parlament in Straßburg. „Europa steht Polen in voller Solidarität bei“, fügte sie hinzu.

Ursula von der Leyen sprach Polen die Solidarität der EU aus.

Ursula von der Leyen sprach Polen die Solidarität der EU aus.

Laut EU-Angaben gäbe es Anzeichen für ein planmäßiges Vorgehen Moskaus. „Vergangene Nacht haben wir in Polen die schwerwiegendste Verletzung des europäischen Luftraums durch Russland seit Beginn des Krieges erlebt, und Hinweise deuten darauf hin, dass sie absichtlich erfolgte und nicht versehentlich“, teilte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas mit.

Zuvor hatte bereits Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das „Eindringen russischer Drohnen in den polnischen Luftraum“ aufs Schärfste verurteilt. Er forderte Russland am Mittwoch dazu auf, „die Flucht nach vorn zu beenden“ und sagte der polnischen Bevölkerung und seiner Regierung seine Solidarität zu. Er wolle in Kürze mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte sprechen. „Wir werden bei der Sicherheit der Alliierten keine Kompromisse eingehen“, betonte Macron.

Vier Flughäfen in Polen zwischenzeitlich geschlossen

Wie mehrere Medien unter Berufung auf die US-Luftfahrtbehörde FAA berichteten, schlossen die polnischen Behörden vier Flughäfen, darunter den internationalen Flughafen Warschau. In einer Mitteilung für Piloten hieß es, der Flughafen Warschau-Chopin sei „aufgrund ungeplanter militärischer Aktivitäten im Zusammenhang mit der Gewährleistung der staatlichen Sicherheit“ nicht verfügbar. 

Auch der Flughafen selbst teilte mit, wegen Aktivitäten der Armee sei ein Teil des Luftraums über Polen geschlossen.  Betroffen waren demnach zudem unter anderem die Flughäfen in Lublin und Rzeszow im Osten des Landes. Am Vormittag konnten die Flughäfen wieder freigegeben werden. 

Infolge der Verletzung des Luftraums durch russische Drohnen hat Polen die Meldefrist für Soldaten verkürzt, wie ntv berichtet unter Bezug auf das polnische Militär. Die Fristen wurden nach Regionen gestaffelt. Soldaten der Territorialen Verteidigungskräfte in den Woiwodschaften Podlaskie, Mazowieckie, Lubelskie und Podkarpackie könnten demnach nun innerhalb von sechs Stunden zum Dienst beordert werden. In weiteren Woiwodschaften wurde die Frist auf 12 Stunden verkürzt.

Härteres Vorgehen gegen Luftraumverletzungen angekündigt

In den vergangenen Wochen waren mehrfach Drohnen in den Luftraum über Polen eingedrungen und abgestürzt. Verletzt wurde dabei niemand. Der Verteidigungsminister hatte bereits am Dienstag gesagt, die Drohnen könnten zukünftig abgeschossen werden, wenn dies vertretbar sei. Die Entscheidung darüber müsse die Armee im Einzelfall treffen. 

Das EU- und Nato-Mitglied Polen ist ein wichtiger politischer und militärischer Verbündeter der von Russland angegriffenen Ukraine. Das Land hat auch eine zentrale Funktion als logistische Drehscheibe für die Militärhilfe des Westens für Kiew. Polen fühlt sich auch selbst von Russland bedroht und rüstet massiv auf. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 haben neben Polen auch die baltischen Staaten immer wieder Verletzungen ihres Luftraums durch russische Drohnen gemeldet. (pst/dpa/afp)