Prozessauftakt in KölnGravierende Vorwürfe gegen Pfarrer U. aus Gummersbach

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Der angeklagte katholische Priester hält sich im Gerichtssaal eine Mappe vor das Gesicht. 

Köln – Der Gang ein wenig schleppend, den Kopf hinter einer schwarzen Aktentasche vor den Kameras der Presse verborgen, betritt der Angeklagte am Dienstagvormittag gegen 11.15 Uhr den Saal 210 des Kölner Landgerichts. Als die Fotografen und Kameraleute den Raum verlassen und er die Mappe wegzieht, sieht man, dass fast alles an ihm grau oder fahl ist: Pullover, Hemd, Hose, die um eine Halbglatze liegenden Haare, der Spitzbart, die Brille, das Gesicht. Es wird sich später tiefrot färben, als ob er sich schäme, der Anklage von Staatsanwalt Maurice Niehoff zuhören zu müssen. Denn die Vorwürfe sind gravierend: mehrfacher sexueller Missbrauch an vier Mädchen in insgesamt 33 Fällen.

„Ledig“ bejaht Hans Bernhard U., geboren 1951 in Köln, die entsprechende Frage des Kammervorsitzenden Christoph Kaufmann. U. ist nicht irgendwer, sondern ein „Mann Gottes“, ein katholischer Priester, der in den 90er Jahren Pfarrer in Gummersbach war und ab 2002 Krankenhausseelsorger in Wuppertal. Bis ihm 2018 der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki die Ausübung priesterlicher Dienste untersagte.

Gericht lässt die Öffentlichkeit bei der Anklageverlesung zu

Der Prozess vor der zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts Köln beginnt mit den in solchen Fällen fast üblichen Verfahrensfinessen. U.’s Verteidiger Dr. Rüdiger Deckers beantragt, die Öffentlichkeit während der Verlesung der Anklage und der Einlassung des Beschuldigten auszuschließen, weil „Aspekte aus dem Kernbereich der Persönlichkeit“ zur Sprache kämen, wie er begründet. Die vier Vertreterinnen der Nebenklage widersprechen ebenso wie der Staatsanwalt. Das Gericht lässt die öffentliche Anklageverlesung zu, weil hier das öffentliche Interesse angesichts der Debatte über den Missbrauch in der katholischen Kirche überwiege. Allerdings weist er das Publikum während der Aussage des Ex-Priesters aus dem Saal. Hans Bernhard U., der eine mehrseitige Stellungnahme vor sich auf dem Tisch liegen hat, äußerte sich zur Person und zur Sache.

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angeklagter Missbrauch Gummersbach

Der 70-Jährige wird wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt. 

Niehoff listet nüchtern die Vorwürfe auf. Danach soll U. im Pfarrhaus in Gummersbach zwischen 1993 und Ende 1999 seine damals zwischen sieben und 13 Jahre alten Nichten, die ihn an Wochenenden besuchten, sexuell missbraucht haben. Mal streichelte er sie beim gemeinsamen Spiel am Computer oder beim Anschauen eines Films („Der eiskalte Engel“) an der Brust oder im Genitalbereich, mal stieg er nackt zu einer in die Badewanne oder lag unbekleidet mit einem Kind im Bett. In drei Fällen soll es zum Beischlaf oder beischlafähnlichen Handlungen gekommen sein. Ein Mädchen erhielt vom Onkel als Belohnung einen neuen PC.

Missbrauchsfälle wurden zu einem Verfahren verbunden

Im Juni 2010 zeigte eines der Opfer den Priester an, zog aber drei Monate später die Anzeige zurück und wollte sich gegenüber der Staatsanwaltschaft „wegen innerfamiliärer Konsequenzen“ nicht mehr äußern. Diese stellte danach das Verfahren ein. Der damalige Kölner Erzbischof Meißner beurlaubte U., der die Vorwürfe bestritt, zwar im Oktober 2010, setzte ihn jedoch im Juni 2011 wieder ins Amt als Krankenhausseelsorger ein.

Im gleichen Jahr, zwischen dem 3. und 5. Januar, soll U. in Wuppertal ein elfjähriges Mädchen, Freundin der Tochter einer ihm bekannten Familie, zweimal missbraucht haben. Diese neuen Vorwürfe sind von der Kammer mit den Fällen aus Gummersbach zu einem Verfahren (Az 102 KLs 17/20) verbunden worden.

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Rechtsanwalt Deckers erklärt nach der Anklageverlesung, die Anschuldigungen gegen seinen Mandanten bezögen sich auf dessen privaten Bereich, nicht auf den kirchlichen. Dafür aber haben sie die Institution schwer beschäftigt. Der Fall U. ist als „Aktenvorgang 22“ niedergelegt im Gutachten des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke, der den Umgang des Erzbistums mit den Missbrauchsfällen untersucht hat. Gercke hält dem damaligen Personalchef des Bistums und heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße im Umgang mit U. eine Pflichtverletzung vor. Heße und auch der frühere Offizial Günter Assenmacher gehören zu den insgesamt 38 geladenen Zeugen. Das Urteil wird für Ende Januar erwartet.

Hintergrund: Erzbischof Heße und der Fall U.

Bereits im Herbst 2020 geriet der Hamburger Erzbischof Stefan Heße im Fall U. unter Druck. Damals wurden Informationen aus dem bis heute nicht veröffentlichten Gutachten der Münchner Kanzlei Westphal Spilker Wastl (WSW) publik, die Heßes Agieren in seiner früheren Funktion als Personalchef des Erzbistums Köln betreffen. Heße hatte in Köln gegen das Gutachten interveniert. Auch die vom Erzbistum schließlich statt WSW beauftragte Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger wirft Heße unter anderem im Fall U. Pflichtverstöße vor.

Heße hatte daraufhin seinen Rücktritt angeboten, der Papst ließ ihn aber im Amt. Heße muss wohl am 18. Januar im Prozess gegen Pfarrer U. aussagen – und bereits am 13. der frühere Leiter des Kölner Kirchengerichts (Offizialat), Günter Assenmacher. Beide waren 2010/2011 mit dem Fall befasst, da dem Erzbistum ein Hinweis auf bereits damals laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen U. vorlag. Sie wurden eingestellt, da die Betroffenen eine Anzeige zurückzogen und nicht mehr aussagen wollten. Kurz nach dieser Einstellung und während das Erzbistum seinen Fall noch prüfte, soll U. erneut, nun in Wuppertal, ein Kind zweimal missbraucht haben.

Besonders heikel ist eine von Heße abgezeichnete Aktennotiz vom 3. November 2010 – zwei Monate vor den U. vorgeworfenen neuen Delikten: Die Justiziarin des Erzbistums habe Us. Verteidiger mitgeteilt, dass der Beschuldigte „hier alles erzählt hat. Es wird von uns aus kein Protokoll hierüber gefertigt, da dieses beschlagnahmefähig wäre.“ Heße sei „mit dem Prozedere einverstanden“. Was heißt „alles erzählt?“ Heße hat ausgeschlossen, dass Pfarrer U. ihm gegenüber Schuld eingestanden habe. Beim Abzeichnen der Notiz habe er sich „wahrscheinlich“ nicht viel gedacht – so zitiert ihn das Gutachten.

Laut Gercke hätte Heße für eine Meldung an die Glaubenskongregation eintreten müssen.Assenmacher habe eine falsche Rechtsauskunft erteilt. 2018 rollte das Erzbistum Köln den Fall wieder auf und meldete ihn an die Staatsanwaltschaft. (rn)

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