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Putins blutiger Sturm auf Pokrowsk„Die Verluste der russischen Armee sind einfach gigantisch“

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Eine Aufnahme einer russischen Staatsagentur zeigt russische Truppen, die auf ukrainische Stellung nahe der ostukrainischen Stadt Pokrowsk feuern. In der Stadt kommt es zu schweren Gefechten. (Archivbild)

Die Aufnahme einer russischen Staatsagentur zeigt russische Truppen, die auf eine ukrainische Stellung nahe der ostukrainischen Stadt Pokrowsk feuern. Dort kommt es zu schweren Gefechten. (Archivbild)

Russland versucht, mit Pokrowsk erneut eine lange umkämpfte Stadt einzunehmen – stößt jedoch auf erbitterte Gegenwehr. Front-Berichte fallen drastisch aus. 

Seit Kriegsbeginn hat es ähnliche Geschichten immer wieder gegeben. Ob in Mariupol, Bachmut oder Awdijiwka – um die drei ukrainischen Städte hat es mitunter monatelange, brutale Gefechte gegeben. Die Schlacht um Bachmut brachte schließlich den Begriff „Fleischwolf“ hervor – Russland opferte den Berichten zufolge Zehntausende Soldaten in den Gefechten um die Stadt. Immer wieder wurden Infanteriewellen vor die ukrainischen Maschinengewehre geschickt.

Bachmut gilt seitdem als die verlustreichste und blutigste Schlacht des Krieges, alle drei Städte fielen schlussendlich an Russland. Doch der Preis für die Streitkräfte von Kremlchef Wladimir Putin war enorm hoch. Nun scheint der ukrainischen Stadt Pokrowsk ein ähnliches Schicksal zu drohen.

Pokrowsk: Moskau meldet Fortschritte, Ukraine widerspricht

Während Moskau von großen Fortschritten seiner Armee und einer Einkesselung des Gegners in der Stadt berichtet, fallen die ukrainischen Angaben anders, aber ebenfalls bedrohlich für die Stadt aus. Die russischen Truppen seien am Wochenende bei schweren Kämpfen weiter in das Stadtinnere vorgerückt, berichtete etwa der regierungsnahe ukrainische Militärkanal Deep State auf Telegram, ohne weitere Details zu nennen.

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Zuvor hatte der ukrainische Oberbefehlshaber Olexander Syrskyj darauf verwiesen, dass die Operation zur Vertreibung der russischen Einheiten aus der Stadt fortgesetzt werde. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach zuletzt von einer „schwierigen Lage“ in der ostukrainischen Stadt. Verloren sei Pokrowsk jedoch noch nicht, heißt es aus Kyjiw. Spezialkräfte sollen die Situation indessen offenbar verbessern, berichteten ukrainische Medien am Wochenende. Kyrylo Budanow, Chef des Militärgeheimdienstes (HUR), sei persönlich in die Gegenoperation involviert, hieß es dort.

Ukrainische Soldaten berichten von „gigantischen“ russischen Verlusten

Die Schilderungen von der Front fallen unterdessen erschreckend aus. Eine ukrainische Einheit, die laut eigenen Angaben in Pokrowsk im Einsatz ist, veröffentlichte bei Telegram etwa Aufnahmen von zahlreichen augenscheinlich toten Körpern am Straßenrand. „Dutzende verkohlte oder zerfetzte Leichen russischer Soldaten liegen unter freiem Himmel an den Zufahrtswegen zur Stadt“, fast alle seien durch Drohnen getötet worden, hieß es von den ukrainischen Soldaten.

„Die Verluste der russischen Armee sind einfach gigantisch“, fügte die Einheit hinzu. „Wenn Sie also auf den Karten den Vormarsch des Feindes sehen, wissen Sie, welchen Preis der Besatzer für jeden Quadratmeter ukrainischen Bodens zahlt.“ Unabhängig überprüfen lassen sich die Aufnahmen und Angaben nicht. 

Warnungen im Westen: „Gelände aufgeben, um Kampfkraft zu erhalten“

In ukrainischen Medien ist derweil in diesen Tagen oft von der „Hölle“ von Pokrowsk die Rede. Auch westliche Militärbeobachter schlugen zuletzt Alarm. „Russische Streitkräfte intensivieren ihre Offensivoperationen in und um Pokrowsk, um die Stadt einzunehmen“, berichtete etwa das amerikanische Institut für Kriegsstudien am Sonntagabend. Öffentlich zugängliche Informationen deuteten darauf hin, dass Putins Armee zuletzt im Südosten von Pokrowsk vorgerückt sei, schrieben die US-Analysten.

Peter Dickinson vom „Atlantic Council“ zeigt sich wenig optimistisch angesichts der Schlacht um Pokrowsk. Die Schwächen bei der Mobilisierung in der Ukraine würden bei den Gefechten offensichtlich, schrieb Dickinson in einem Beitrag für den Thinktank und warnte: „Die Ukraine könnte nun an einem Punkt angelangt sein, an dem das Land nicht mehr über genügend Kämpfer verfügt, um die gesamte Frontlinie in Europas größtem Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg wirksam zu verteidigen.“

Russische Streitkräfte in Pokrowsk zahlenmäßig deutlich überlegen

Die ukrainischen Kommandeure müssten sich nun darauf vorbereiten, „bei Bedarf Gelände aufzugeben, um wertvolle Kampfkraft zu erhalten“, schrieb Dickinson weiter. In der Ukraine betont man derweil vor allem die russischen Verluste, Angaben zur Zahl getöteter oder verwundeter Soldaten in den eigenen Reihen gibt es nicht. Aus der zahlenmäßigen Überlegenheit der russischen Armee macht Kyjiw jedoch kein Geheimnis. Putins Armee sei den ukrainischen Truppen personell im Verhältnis von acht zu eins überlegen, hatte Präsident Selenskyj in der vergangenen Woche erklärt.

Zerstörte Häuser in der ostukrainischen Stadt Pokrowsk. (Archivbild)

Zerstörte Häuser in der ostukrainischen Stadt Pokrowsk. (Archivbild)

„Der Feind zahlt in Pokrowsk den höchsten Preis dafür, dass er versucht, den Auftrag des Kreml-Diktators zu erfüllen, den ukrainischen Donbas zu besetzen“, erklärte unterdessen der Oberbefehlshaber Syrskyj am Sonntag. Dass Russland ausgerechnet jetzt den Druck auf die ostukrainische Stadt erhöht, erklärt man sich in der Ukraine unterdessen mit einer angeblichen Anweisung von Kremlchef Putin.

Frist von Wladimir Putin für die Eroberung von Pokrowsk?

Der russische Machthaber habe seinen Truppen befohlen, die Stadt bis zum 15. November einzunehmen, sagte etwa der ehemalige Leiter des Auslandsgeheimdienstes der Ukraine, Mykola Malomuzh, im Gespräch mit „Kyiv24“. Damit verfolge der Kremlchef insbesondere nach dem jüngsten Kurswechsel von US-Präsident Donald Trump das „strategische Ziel, zu demonstrieren, dass er bestimmte Gebiete erobern kann“, erklärte Malomuzh. Putin wolle so unterstreichen, dass er „die Bedingungen diktieren kann“, hieß es weiter.

Ein Foto einer russischen Staatsagentur zeigt russische Soldaten nahe der Stadt Pokrowsk. (Archivbild)

Ein Foto einer russischen Staatsagentur zeigt russische Soldaten nahe der Stadt Pokrowsk. (Archivbild)

Dass Kremlsprecher Dmitri Peskow am Sonntag erklärte, ein Treffen zwischen Trump und Putin sei vorerst nicht nötig, stützt diese These. „Der Kreml war niemals an Diplomatie interessiert“, schrieb am Sonntag schließlich auch der Russland-Experte Matthäus Wehowski auf der Plattform X. „Putin hat gehofft, dass Trump die Ukraine zur Kapitulation zwingen könnte. Als das nicht eingetroffen ist, will Russland auch kein Treffen mehr“, fügte der Historiker an.

Klare Worte aus Moskau: „Desto größer wird das Gebiet sein“

Ex-Kremlchef Dmitri Medwedew unterstrich zu Wochenbeginn dann erneut die imperialistischen Motive Moskaus. Umso mehr Geld der Westen für die Unterstützung der Ukraine bereitstelle, „desto größer wird das Gebiet sein, das letztendlich zu unserem Mutterland Russland zurückkehren wird“, drohte der nunmehrige russische Sicherheitsratsvize am Montag in einer seiner mittlerweile bekannten vulgären Telegram-Tiraden, die erneut mit Beleidigungen gespickt war. 

In Pokrowsk und rund um die belagerte Stadt, die in großen Teilen bereits in Schutt und Asche liegt, laufen die Gefechte unterdessen auch am Montag unerbittlich weiter. „Die Befreiungsoperationen in Pokrowsk dauern aktiv an“, zitierten ukrainische Medien aus Armeekreisen.

Aus Russland kommen derweil weiterhin ausschließlich Erfolgsmeldungen, von eigenen Verlusten ist bei den staatlichen Nachrichtenagenturen nichts zu lesen. „Die Zerstörung der eingekesselten Einheiten der ukrainischen Streitkräfte in der Stadt wird fortgesetzt“, berichtete etwa RIA Novosti am Montag und nutzte mit Krasnoarmeisk dabei den früheren Namen der Stadt Pokrowsk, der übersetzt „Rote-Armee-Stadt“ bedeutet.