Rechtsextremisten und der Ukraine-KriegTraining für den „Regimewechsel“ in Russland

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Dennis Kapustin, alias Dennis Nikitin (links) in Ljubetschanje

Spektakuläre Aktion im Bezirk Brjansk: Denis Kapustin (l.)

Der russisch-ukrainische Krieg beschäftigt auch Rechtsextremisten. In ihrer Bewertung des Krieges sind sie gespalten: Manche halten zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, andere wollen in stürzen – wie der früher in Köln lebende Russe Denis Kapustin.

In Moskau geboren, in Köln aufgewachsen und kurzzeitig auf der halben Welt im Gespräch: Der Rechtsextremist Denis Kapustin möchte nach eigenen Angaben den russischen Präsidenten Wladimir Putin stürzen. Kapustin gehört einer pro-ukrainischen Gruppe an, die laut Kreml Anfang des Monats kurz hinter der ukrainischen Grenze auf russischem Gebiet Anschläge verübt haben soll. Nach Angaben der Ukraine ohne deren Wissen.

Denis Kapustin ist nicht der einzige Extremist aus Deutschland, den es ins Kriegsgebiet zog. Seit dem russischen Einmarsch im Februar 2022 sind mehr als 60 Menschen aus Deutschland in die Ukraine ausgereist, die die Sicherheitsbehörden dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität (PMK) zuordnen. Entsprechende Zahlen der Bundespolizei liegen unserer Redaktion vor. Die Extremisten und Radikalen stammen beinahe aus dem gesamten Bundesgebiet. Einzig aus Schleswig-Holstein und dem Saarland habe es bislang noch keine Ausreiseversuche gegeben, heißt es.

Etwa die Hälfte der Ausgereisten stammt demnach aus der rechten und rechtsextremen Szene. Derzeit sollen sich noch immer sechs Rechtsradikale im Kriegsgebiet aufhalten. Laut Verfassungsschutz sollen bei 29 der ausgereisten Personen konkrete Hinweise vorliegen, dass sie auch an Kämpfen teilgenommen haben. Auf welcher Seite sie sich engagieren, verraten die Behörden nicht, verweisen auf „nachrichtendienstliche Erkenntnisse“.

Szene ist in der Bewertung des russischen Angriffskriegs gespalten

Denn gerade im rechtsextremen deutschen Spektrum sei es möglich, auf beiden Kriegsseiten Mitglieder zu finden, berichtet der Politikwissenschaftler Hendrik Hansen. „In der Frage der Bewertung des russischen Krieges gegen die Ukraine ist die Szene in Deutschland gespalten“, sagt der Professor für Politischen Extremismus von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl.

Neonazis und der „weiße Ethnostaat“

So gebe es etwa die neo-nationalsozialistische Kleinstpartei „Der III. Weg“, die gute Kontakte zu den Rechtsextremisten in der Ukraine pflege. Nach Angaben der Bundesregierung sind Vertreter der Partei bereits kurz nach Kriegsausbruch mindestens zweimal mit Materialspenden in die Ukraine gereist. „Sie betrachtet Russland als imperialistische Macht, die die Souveränität der ukrainischen Nation angreift“, erläutert Hansen.

Aus Sicht der Partei sei die Ukraine auch ein „weißer Ethnostaat“, der gegen den Vielvölkerstaat Russland verteidigt wird. Sie könnten sogar Kontakte zu einzelnen ukrainischen Soldaten haben, „aber sie verfügen sicherlich nicht über offizielle Kontakte zur ukrainischen Armee oder gar zum Verteidigungsministerium. Davon träumen sie höchstens“, stellt der Politikwissenschaftler klar.

AfD und „Die Rechte“: Idealisierung Russlands

Andere Rechte und Rechtsextremisten aus Deutschland stellen sich nach Hansens Erkenntnissen hingegen eher auf die Seite von Putins Russland. Die Partei „Die Rechte“, aber auch Teile der AfD nennt er als Beispiele aus dem politischen Spektrum. „Dabei geht es um die Idealisierung Russlands als Modell gegen einen dekadenten, liberalen Westen“, sagt der Experte. Das zeige sich exemplarisch an der Ablehnung der LGBTQ-Community.

Doch was versprechen sich Rechtsextreme überhaupt von einem „Besuch“ im Kriegsgebiet? Hendrik Hansen nennt drei Motive. Da wäre zum ersten die Ideologie – und ganz allgemein die Affinität der Szene zum Kampf. „Es geht darum, dass der Mensch sich angeblich erst im Kampf verwirklicht“, so Hansen. Dazu komme eine Begeisterung fürs Militärische, für Waffen und Uniformen. Insofern wirke sich ein Krieg nahezu „elektrisierend“ auf Rechtsextreme aus.

Motiv Nummer zwei sei die Strategie: Rechtsextremisten würden sich auf einen „Tag X“ im eigenen Land vorbereiten, an dem sie das von ihnen verhasste „Regime“ in Deutschland stürzen können. „Die Kampfhandlungen in der Ukraine erfüllen hier die Funktion eines Trainings. Und man bekommt dort Zugänge zu Waffen“, sagt der Wissenschaftler.

Und drittens gehe es um Organisation: Deutsche Rechtsextremisten träfen in der Ukraine Gleichgesinnte aus anderen europäischen Ländern. „Da wird viel mehr Vertrauen geschaffen als über eine Telegram-Gruppe. Gerade, wenn sie zusammen kämpfen“, sagt Hansen. Eine solche europäische Vernetzung von Extremisten wäre in Friedenszeiten kaum möglich.

Das Training, die Waffen, die Vernetzung: Das sind für den Experten entscheidende Gründe, wieso die Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste so genau hinschauen müssen, wer aus Deutschland in den Krieg ausreist. Das Bundeskriminalamt (BKA) bestätigt, dass es den Behörden vor allem darum geht zu verhindern, dass „Extremisten durch Auslandsaufenthalte in Krisen- und Kriegsgebieten eine intensive Waffenausbildung erhalten, in den Besitz von Waffen(-systemen) gelangen und Kriegserfahrung erlangen“, wie das BKA unserer Redaktion mitteilt.

Auch wenn es am Ende „nur“ 31 Menschen aus dem rechten Spektrum geschafft haben: „Die Zahl ist erst einmal relativ klein, aber jeder, der da war, kann sich zum Gefährder entwickeln. Die Menschen haben dann nicht nur einen Hass auf unseren Staat, sondern sind auch noch fähig, ihn gewalttätig zum Ausdruck zu bringen“, warnt Experte Hansen mit Blick auf mögliche Terroranschläge.

Nun sind die Rechtsradikalen und Rechtsextremisten aber nicht die einzige Gruppe, die ausreiste. Die Behörden wissen außerdem von 24 Personen, die sie dem Bereich „ausländische Ideologie/Extremismus“ zuordnen. In der Vergangenheit wurden etwa PKK-Kämpfer in dieser Kategorie verortet. Des Weiteren sollen ein einzelner Linksradikaler und auch zwei religiöse Extremisten ausgereist sein.

Ausreise deutscher Extremisten ist laut Behörden kaum zu verhindern

Offenbar haben es die Behörden kaum geschafft, diese Ausreisen zu verhindern, obwohl sie sich genau das auf die Fahne geschrieben haben. „Die deutschen Sicherheitsbehörden haben ein großes Interesse daran, die Ausreisen von politisch motivierten Straftätern aller Phänomenbereiche in die Ukraine zu verhindern“, teilt das Bundeskriminalamt mit.

Doch gerade mal sechs Deutschen, vier davon aus dem rechten Spektrum, ist die Ausreise dann auch tatsächlich untersagt worden. Die Kontrollen sind schwierig, ein Visum für die Reise in die Ukraine braucht es nicht. Nach Angaben des BKA finden Ausreisekontrollen an den Grenzen zu Polen oder Tschechien nur anlassbezogen statt. Heißt: Nur wenn die Behörden vorab erfahren, dass Extremisten und mögliche Straftäter in die Ukraine wollen, können sie auch reagieren.

Der deutsch-russische Rechtsextremist Denis Kapustin, der wohl auf eigene Faust gegen den Kreml kämpft, ist den Behörden streng genommen allerdings nicht durch die Lappen gegangen. Er reiste nach Angaben des „Spiegel“ schon 2018 in die Ukraine aus und soll den Schengen-Raum der EU für zehn Jahre nicht mehr betreten dürfen.

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