Berlin – Genmutationen werden gemeinhin zwei Merkmale zugeschrieben: Sie passieren zufällig und ungerichtet. Und sie treten spontan auf, wobei die Wahrscheinlichkeit von Mutationen steigt, wenn zum Beispiel Chemikalien oder Radioaktivität mit im Spiel sind. Experten sprechen von „Mutagenen“.
Übertragen auf die Corona-Politik von Karl Lauterbach ist die FDP so ein Mutagen. Vor allem sie hat dafür gesorgt, dass der SPD-Politiker in seiner Zeit als Gesundheitsminister immer mal wieder vom Mahner zum Lockerer und wieder zurück mutierte. Mitunter bildeten sich innerhalb weniger Stunden mehrere Lauterbach-Varianten. Die Entscheidung, die Isolationspflicht für Corona-Infizierte aufzuheben und dies einen Tag später wieder zurückzunehmen, ist nur ein Beispiel dafür. Der Wegfall der Maskenpflicht in Innenräumen ein anderes. Dabei verknüpften viele mit Lauterbach als Gesundheitsminister die Hoffnung auf einen klareren, kompetenteren Corona-Kurs. Immerhin ist Lauterbach Arzt und Epidemiologe. Stattdessen irritierte der SPD-Politiker immer wieder das Land:
Das Impf-Drama
Da wäre zum Beispiel die Impfstoff-Inventur, die Lauterbach ganz zu Anfang seiner Amtszeit einleitete. An sich war das eine gute Idee: mal zu sondieren, was an Impfdosen überhaupt vorhanden und was bestellt ist. Die Kommunikation aber war desaströs, stand am Ende doch ein vermeintlicher Impfstoffmangel im Raum. Zu einem Zeitpunkt, an dem gerade die Booster-Kampagne hochlief. Während das Boostern dann durchaus zu einem Erfolg wurde, ging es mit der Impfkampagne insgesamt auch unter Lauterbach nicht wirklich voran. Seit Ende Januar rückte auch deshalb die Impfpflicht in den Mittelpunkt. Viele erwarteten, Lauterbach und mit ihm die Regierung würde selbst ein Gesetz dazu vorlegen.
Das tat der Gesundheitsminister dann nicht und verwies auf seine Neutralität, erklärte gleichzeitig aber die Pflichtimpfung für alle ab 18 zur wichtigsten innenpolitischen Entscheidung überhaupt. Aktuell sieht es danach aus, dass er – wenn überhaupt – noch eine Impfpflicht für alle ab 60 bekommt.
Immer Ärger mit Wieler
Dass die Kommunikation zwischen Lothar Wieler, dem Präsidenten des Robert-Koch-Instituts (RKI), und seinem Chef nicht die beste ist, zeigte sich gleich nach Regierungsstart im Dezember: Als Wieler sofortige und schärfere Corona-Maßnahmen forderte, erklärte Lauterbach gerade, dass es zu Weihnachten keine strengeren Regeln gebe.
Bundestag entscheidet heute über Impfpflicht
Nach monatelangen Diskussionen soll der Bundestag heute über die mögliche Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht entscheiden. Ein Gesetzentwurf von Ampel-Politikern sieht vor, dass alle ab 60 bis zum 15. Oktober einen vollständigen Impfstatus nachweisen müssen. Wer die Pflicht ignoriert, dem drohen Bußgelder. Die CDU/CSU signalisierte zuletzt, dem Antrag nicht zuzustimmen. Ein kategorisches Nein zur Impfpflicht schlägt eine Gruppe um FDP-Mann Wolfgang Kubicki vor, dafür wollen auch die Linken-Promis Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi stimmen. Die AfD-Fraktion hat ebenfalls einen Antrag gegen eine Impfpflicht eingebracht. Die Union wiederum schlägt einen „gestuften Impfmechanismus“ vor: Erst, wenn die Corona-Lage kritisch wird, könnte dieser in eine Impfpflicht münden, aber nur für gefährdete Gruppen.
Klar ist: Die Anträge von Kubicki, der AfD, aber auch der „Impfmechanismus“ der Unionsfraktion haben keine Aussicht auf eine einfache Mehrheit. Es geht letztlich um die Frage, ob die Impfpflicht ab 60 kommt – oder überhaupt kein Beschluss. (dpa/tob)
Im Januar dann folgte ein folgenreiches Missverständnis zwischen den beiden: Während Lauterbach der Ministerpräsidentenrunde im Bundesrat gerade versprochen hatte, Änderungen beim Genesenenstatus würden rechtzeitig kommuniziert, teilte das RKI fast zeitgleich und ohne Vorwarnung eine Verkürzung von sechs auf drei Monate mit und überrumpelte alle.
Lothar Wieler musste damals sogar um seinen Job fürchten. Der Gesundheitsminister ließ ihm den Posten, nahm dem RKI sowie dem Paul-Ehrlich-Institut aber Kompetenzen: Über die Festlegung des Geimpften- und Genesenenstatus haben sie nicht mehr zu entscheiden.
Und täglich grüßt der „Freedom day“
Als Karl Lauterbach ins Amt kam, griff das neue Infektionsschutzgesetz bereits seit gut zwei Wochen. Vor allem auf Wunsch der FDP beendete es die „pandemische Lage von nationaler Tragweite“. Es nahm der Regierung viele Möglichkeiten, um die Pandemie einzudämmen und die damals noch vorherrschende, aggressive Delta-Variante einzuhegen.
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So wäre es unfair, dies Lauterbach allein in die Schuhe zu schieben. Wohl aber tat er im Nachgang zu wenig dafür, dass zumindest mit dem „Freedom day“ am 18. März ein Infektionsschutzgesetz kam, das klare Rahmenbedingungen setzt. Das Gegenteil jedoch war der Fall: Während die Infektionszahlen Höchstwerte erreichten, mussten sich die Länder zum Beispiel mit einer nicht näher definierten „Hotspot“-Regelung herumschlagen.