Rundschau-Debatte des Tages zu CoronaWoher kommt die Aggressivität?
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Wolgast: Hunderte Demonstranten nehmen an einer Demonstration gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie teil.
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Dresden – Sie stehen im Dunkeln auf der Straße, haben Fackeln in der Hand und Plakate: Die Szenen, die sich am Freitagabend vor dem Privathaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) abgespielt haben und in Videos in den sozialen Medien zu sehen sind, wirken bedrohlich. Politiker auch der Opposition verurteilten den Protest als Einschüchterungsversuch gegen eine Politikerin, die seit Monaten die Pandemie einzudämmen versucht – und das im bundesweiten Corona-Hotspot Sachsen.
Wie ist im Moment die Corona-Lage in Sachsen?
Seit Wochen kämpft die sächsische Regierung gegen die explodierenden Fallzahlen. Das Robert Koch-Institut gibt die Sieben-Tage-Inzidenz für Sachsen mit Werten jenseits der 1000 an. Intensivbetten sind knapp, Patienten werden in andere Bundesländer ausgeflogen.
Organisierte Einschüchterung
Den Protest vor ihrem Haus verurteilte Petra Köpping (kleines Bild) selbst als „widerwärtig und unanständig“. Sie wisse, dass das keine Proteste seien, sondern organisierte Einschüchterungsversuche von Rechtsextremisten und Verschwörungsgläubigen, die leider viel zu oft vorkämen – vor Arztpraxen, an Impfzentren und Krankenhäusern, gegenüber Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und anderen engagierten Menschen. Laut sächsischer Polizei handelte es sich um 30 Menschen, die am Freitagabend „laut rufend mit Trillerpfeifen, Fackeln und Plakaten“ bei einem „unzulässigen Aufzug“ in Grimma angetroffen wurden. Demnach wurden 25 Identitäten aufgenommen. (dpa) Foto: dpa
Krankenhäuser raten selbst Tumor-Patienten, sie sollten sich um eine Behandlung etwa in Norddeutschland kümmern. Zugleich hat Sachsen bundesweit die niedrigste Impfquote – nur gut 58 Prozent der Menschen sind vollständig geimpft. Angesichts der Situation verordnete die Landesregierung dem Freistaat vor zwei Wochen die aktuell strengsten Corona-Regeln in Deutschland. In vielen Bereichen gilt 2G, Restaurants dürfen nur in einem begrenzten Zeitfenster öffnen. Auch für Demonstrationen gibt es nun strengere Vorgaben – sie sind nur ortsfest mit bis zu zehn Teilnehmern erlaubt. In den vergangenen Wochen hielt das Gegner der Corona-Politik dennoch nicht davon ab, zum Teil mit Hunderten durch sächsische Orte zu ziehen. Oft ließen Polizisten die Demonstranten gewähren. Ein „Kontrollverlust“ ist das nach Ansicht der Linken-Politikerin Kerstin Köditz.
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Wie reagiert die Politik auf die Proteste?
Der Druck auf Innenminister Roland Wöller wächst. Der CDU-Politiker hatte in den vergangenen Wochen immer wieder betont, dass die Polizei nicht gewaltsam gegen Demonstrationsteilnehmer vorgehen werde. „Mit Waffengewalt oder mit Gewalt die Menschen auseinandertreiben – das kann keine Alternative sein. Gewalt ist nicht das Mittel der Wahl“, sagte er. Nach dem Protest vor Köppings Haus sprach sich Wöller allerdings für ein „klares und schnelles Signal des Rechtsstaates“ aus. Die Polizei hatte wegen des Protests vor Köppings Haus Anzeige wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz erstattet und prüft Verstöße gegen die Corona-Verordnung. Auch der Staatsschutz untersucht die Vorkommnisse.
Wer sind die Demonstranten und was treibt sie an?
Experten sehen Parallelen zu den Pegida-Demonstrationen von 2015. Von einem teils verfestigten Milieu sprach etwa der Dresdner Totalitarismusforscher Mike Schmeitzner bereits im vergangenen Jahr. Unter den Demonstrierenden seien Menschen, die sich in ihrer Grundkritik am „System“ augenscheinlich festgelegt hätten. Der Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz, Dirk-Martin Christian, äußert sich ähnlich: „Die Idee eines gewaltsamen Widerstands gegen demokratische Regeln gehört inzwischen zu den typischen Standardforderungen der Bewegung der Corona-Leugner.“ Auch unter dem Einfluss von Rechtsextremisten, sogenannten Reichsbürgern und Antisemiten seien die Anti-Corona-Proteste im Verlauf der Pandemie immer aggressiver geworden.
Welche Konsequenzen zieht die Polizei aus den Eskalationen?
Die Dresdner Polizei will sich heute entschlossen zeigen: Sie bereitet sich auf einen Großeinsatz vor dem Sächsischen Landtag vor, weil in den sozialen Medien zum Protest aufgerufen wird. Das Parlament will die epidemische Lage beschließen und damit Rechtssicherheit für eine Fortsetzung bestehender Corona-Schutzmaßnahmen schaffen. „Auch Extremisten mobilisieren für einen Protest vor dem Sächsischen Landtag. Unsere Gefahrenprognose, Grundlage unserer Einsatztaktik, ist damit eine ganz andere als an den vergangen Montagen“, sagte Polizeipräsident Jörg Kubiessa. Eine „härtere Gangart der Polizei“ werde die logische Konsequenz sein. (dpa)