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Kremlchef als das „ultimativ Böse“Kritik an Selenskyjs Worten über Putin: „Alle Gleichsetzungen mit Hitler sind Unsinn“

Lesezeit 4 Minuten
Auf der sogenannten John-Lennon-Mauer in Prag hat ein Unbekannter den russischen Präsidenten Wladimir Putin angesichts des Ukraine-Kriegs als Adolf Hitler dargestellt. Nun hat auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Kremlchef mit Hitler verglichen. (Archivbild)

Auf der sogenannten John-Lennon-Mauer in Prag hat ein Unbekannter den russischen Präsidenten Wladimir Putin angesichts des Ukraine-Kriegs als Adolf Hitler dargestellt. Nun hat auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Kremlchef mit Hitler verglichen. (Archivbild)

Wolodymyr Selenskyj hat sich ausführlich über Wladimir Putin geäußert. Der Politologe Thomas Jäger kritisiert die Wortwahl des Ukrainers. 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat kurz vor dem Start der hochkarätig besetzten UN-Generaldebatte vor einem Dritten Weltkrieg gewarnt und Kremlchef Wladimir Putin mit Adolf Hitler verglichen. An der Äußerung gibt es Kritik vom Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger. 

Die russische Gesellschaft habe den Respekt der Weltöffentlichkeit verloren, sagte Selenskyj laut englischer Übersetzung des US-Senders CBS in einem am Sonntag ausgestrahlten Interview der Sendung „60 Minutes“. „Sie haben ihn gewählt und wiedergewählt und einen zweiten Hitler herangezogen.“

Wolodymyr Selenskyj über Wladimir Putin: „Zweiten Hitler herangezogen“

Man könne die Zeit nicht zurückdrehen, aber Putin jetzt stoppen. „Wenn die Ukraine fällt, was wird dann in zehn Jahren passieren?“, fragte Selenskyj. „Wenn die Russen Polen erreichen, was kommt dann? Der dritte Weltkrieg?“, fügte der ukrainische Präsident an. Die ganze Welt müsse sich nun entscheiden, ob Putin aufgehalten werden solle, oder man den Beginn eines Weltkriegs heraufbeschwören wolle.

Alles zum Thema Russisch-Ukrainischer Krieg

Seit Kriegsbeginn wird Kremlchef Putin immer wieder mit Hitler verglichen, meist jedoch bisher nur auf Wandbildern und künstlerischen Darstellungen zum Krieg. Zuletzt mehrten sich jedoch auch unter Wissenschaftlern die Stimmen, die Russland für ein faschistisches Land halten.

Kritik an Wortwahl von Selenskyj: „Alle Gleichsetzungen mit Hitler sind Unsinn“

Die Gleichsetzung von Putin und Hitler kritisierte der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ am Montag jedoch. „Alle Gleichsetzungen mit Hitler sind Unsinn – und zwar immer“, erklärte der Professor für internationale Politik an der Universität zu Köln.

Selenskyj wende sich damit aber ohnehin nicht an Moskau. „Die Adressaten sind hier das europäische und amerikanische Publikum“, der ukrainische Präsident versuche die Unterstützung der Ukraine zu sichern, in dem er Putin als das „ultimativ Böse“ darstelle.

Eine solche Projektion habe es bereits beim Irak-Krieg und Saddam Hussein gegeben, so Jäger. Die unterschiedlichen Spielarten des Faschismus hätten jedoch jeweils unterschiedliche Personen hervorgebracht, erklärte der Politologe, „aber deshalb gehören nicht alle in einen Topf“. 

Politikwissenschaftler sehen Faschismus in Putins Russland

Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ hatte Jäger zuletzt bereits gefordert, die „Faschismus-Diskussion“ müsse zu Russland geführt werden. Das von Putin geführte Russland erfülle die meisten Merkmale des Faschismus. Auch der britische Historiker Ian Garner bezeichnet Russland als „faschistisches Land“ und kritisiert die Darstellung Putins als reinen Verbrecher.  

Der Kreml reagierte am Montag zunächst nicht auf den Vergleich von Wladimir Putin mit Adolf Hitler. Auch die russischen staatlichen Nachrichtenagenturen berichteten zwar über Selenskyjs Interview, erwähnten die Worte zu Hitler jedoch in ihrer Berichterstattung nicht.

Der ukrainische Präsident äußerte sich in dem Interview auch zur militärischen Lage in seinem Land. „Wir verteidigen die Werte der ganzen Welt. Und es sind ukrainische Menschen, die den höchsten Preis zahlen“, sagte Selenskyj. „Wir kämpfen wirklich für unsere Freiheit, wir sterben. Wir sind keine Fiktion, wir sind kein Buch. Wir kämpfen in der Realität mit einem Atomstaat, der die Welt zu zerstören droht.“

Selenskyj über Gegenoffensive: „Wenn wir nicht fliegen können, schicken wir Drohnen“

Mit Blick auf die ukrainische Gegenoffensive erklärte Selenskyj, man dürfe „Putin keine Pause gönnen“. Die ukrainischen Streitkräfte würden zwar nur langsam Fortschritte erzielen, räumte Selenskyj ein, die Armee werde aber auch bei anderen Wetterbedingungen weiter vorrücken, kündigte der ukrainische Präsident an. „Vergessen Sie das Wetter – zu Orten, die gepanzerte Fahrzeuge nicht erreichen können, fliegen wir. Wenn wir nicht fliegen können, schicken wir Drohnen“, so Selenskyj. 

Der ukrainische Präsident schloss zudem erneut aus, dass die Ukraine im Tausch gegen Frieden eigene Gebiete an Russland abgeben werde. „Das ist unser Territorium“, erklärte Selenskyj, der betonte, dass er es den Angehörigen von getöteten ukrainischen Soldaten schulde, den Krieg zu gewinnen. „Alles, was ich ihnen geben kann, ist der Sieg“, so Selenskyj. 

Wolodymyr Selenskyj bei UN-Vollversammlung in New York

Selenskyj wird an diesem Montag in New York erwartet. Am Dienstag beginnt die Generaldebatte der UN-Vollversammlung, bei der von Dienstag an über eine Woche lang mehr als 140 Staats- und Regierungschefs sprechen werden.

Präsident Selenskyj dürfte die größte Aufmerksamkeit auf sich ziehen – mit Spannung wird eine hochrangig besetzte Sicherheitsratssitzung am Mittwoch erwartet, wo er erstmals seit Kriegsbeginn auf den russischen Außenminister Sergej Lawrow treffen könnte. Selenskyj will im Anschluss an seinem Besuch in New York nach Washington weiterreisen. (mit dpa)

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