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Trotz UngleichbehandlungFrauen erzählen, was sie in der katholischen Kirche hält

Lesezeit 11 Minuten
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„Persönlich fühle ich mich nicht benachteiligt“, sagt Peri Terbuyken.

Köln – Mit der katholischen Kirche verbinden die meisten Menschen den Papst, Kölnerinnen und Kölner natürlich den Dom, dann auch Marienverehrung, Heiligenfeste und viel Sinnlichkeit: Weihwasser, Weihrauch, bunte Gewänder. Dass die von Priestern getragen werden, die nicht heiraten dürfen, fällt vielen beim Stichwort „Zölibat“ ein. Und dass die Weihe ausschließlich Männern vorbehalten ist, gehört auch zu den katholischen Spezialitäten.

Was viele Katholikinnen – und Katholiken – für ungerecht und diskriminierend halten und was sie ihrer Kirche entfremdet, verteidigt die Kirchenleitung in Rom als göttliches Gebot. „Wahre Gleichheit“ der Geschlechter bedeute keineswegs, Männer und Frauen auch in allem gleich zu behandeln, sondern – angemessen. Papst Johannes Paul II. trieb diese Haltung 1994 auf die Spitze, als er sie sehr nahe an eine unveränderliche, unfehlbare Lehre rückte und im Apostolischen Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“ erklärte, die Kirche hätte gar nicht das Recht, Frauen zu den Weihen zuzulassen, selbst wenn sie es wollte.

Nach solchem Willen sieht es allerdings auch nicht aus. Zwar legen Fachleute für Bibelwissenschaft, Kirchengeschichte und systematische Theologie seit Jahrzehnten dar, dass es mit den Ausschlussgründen nicht allzu weit her ist. Aber das ficht Rom bislang nicht an, auch wenn Papst Franziskus 2020 wieder einmal ein Expertengremium eingesetzt hat, das punktuell die Möglichkeit von Reformen prüfen soll. Frei nach der vom Dramatiker Friedrich Dürrenmatt formulierten Strategie der Problemverschiebung: „Beschlossen schon, wir bilden eine Kommission.“

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Aus Gerechtigkeitsgründen wollen Katholikinnen und Katholiken sich damit nicht mehr abspeisen lassen. Sie wollen ihre Kirche als einen Raum gestalten, in dem sie mit ihrem Glauben authentisch leben und wirken können, ohne sich zu verbiegen oder immer wieder gegen die gläserne Decke zu donnern – auf der Ebene der Pfarreien ebenso wie in den kirchlichen Führungsetagen.

Die Initiative Maria 2.0 etwa sammelt Frauen (und Männer), die ein klerikales, männerzentriertes Kirchensystem überwinden wollen, das sie für römisch, aber nicht für katholisch halten. Noch ist es nicht soweit. Noch wirken die Bastionen unerschütterlich. Doch die Mauern bröckeln. Selbst Bischöfe treten heute offen für die Weihe von Frauen ein, was sie vor zehn Jahren noch ihr Amt hätte kosten können. Und kein Geringerer als der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, glaubt, dass sich an der „Frauenfrage“ die Zukunft der Kirche entscheiden wird.

Wir stellen Ihnen drei Frauen aus dem Erzbistum Köln vor, die katholisch sind und bleiben möchten. Sie erzählen von Bindungen und Brüchen, von Motivation und Frustration als „Frau in der Kirche“.

„Erste Erfolge sehe ich bereits“

Stephanie Feder, 41 Jahre alt

Ich arbeite beim Hildegardis-Verein in Bonn, einer der ältesten Vereine zur Förderung des Frauenstudiums in Deutschland. Dort bin ich als Projektleiterin für das Programm „Kirche im Mentoring – Frauen steigen auf“ zuständig. Mit diesem Programm sollen Frauen in Führungspositionen in der katholischen Kirche gefördert werden. Die Teilnehmerinnen werden von den Bistümern, den Caritasverbänden und von Organisationen wie Misereor oder Missio zu uns geschickt. Viele arbeiten im Verwaltungsbereich der Kirche. Andere kommen aus den Bereichen Schule oder Seelsorge und aus Bildungseinrichtungen, die an die Kirche angeschlossen sind. Das Programm gibt es seit fünf Jahren. Damals hatten sich die deutschen Bischöfe verpflichtet, den Frauenanteil in Führungspositionen auf 30 Prozent zu erhöhen. Von diesem Ziel sind wir zwar noch weit entfernt, doch die Zahlen steigen langsam und liegen im Bereich der obersten Führungsebene inzwischen bei 18 Prozent.

Das Thema Frauen und Kirche beschäftigt mich schon seit vielen Jahren. Ich bin in einer Diasporagemeinde in Ostberlin aufgewachsen. Das hat mich unglaublich geprägt, denn im System der DDR war kein Platz für mich. Ich war nicht bei den Pionieren und die einzige in meiner Klasse, die überhaupt Christin war. Das war nicht leicht, aber ich war gut beheimatet in meiner katholischen Kirchengemeinde, in der ich mich sehr wohlgefühlt habe. Ich wollte schon früh Theologie studieren. Nach dem Abitur war ich ein Jahr in Tansania, wo ich auch mit Diözesanpriestern zusammengelebt  habe.  Danach bin ich zum Studium nach Münster gegangen und war dort einige Jahre Hilfskraft an der Arbeitsstelle für feministische Theologie.

„Wären verrückt, wenn wir auf die Begabung von Frauen verzichten würden“

Ich glaube, dass es eine grundlegende Veränderung im Denken braucht, damit die katholische Kirche begreift, dass sie mit der Nichtbeteiligung von Frauen auch eine bestimmte Lebensperspektive ausschließt. Die Talente, die Frauen mitbringen, werden in der Kirche nur unzureichend genutzt. Kardinal Reinhard Marx sprach davon, dass wir als Kirche ja verrückt wären, „wenn wir auf die Begabung von Frauen verzichten würden“. Wenn wir Kirche neu denken wollen, ist ein wichtiger Teil für diesen Kulturwandel die Frage nach Teilhabe. Es ist nicht grundsätzlich damit getan, dass wir Frauen in Leitungspositionen haben. Wir diskutieren auch viel über die Frage, welche Leitungsmodelle es darüber hinaus gibt, jenseits der klassischen Vollzeitstelle. Auch Work-Life-Balance ist ein wichtiges Thema, um Leitung attraktiv zu gestalten und möglichst viele Frauen dafür zu interessieren.

Erste Erfolge der kleineren Art sehe ich bereits.  Nehmen wir Beate Gilles, die erste Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz. Sie ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich schon einiges getan hat. Man hat erkannt, dass es wichtig ist, diese Position mit einer Frau zu besetzen. Ein Anfang ist gemacht, was nicht bedeutet, dass wir schon am Ende sind. Da haben wir noch sehr viel zu tun.

Ich fühle mich nach wie vor gut aufgehoben in der katholischen Kirche. Das liegt daran, wie ich Kirche für mich fasse. Auf der einen Seite gibt es die Institution, die an vielen Stellen Veränderungen braucht. Ich verstehe Kirche aber auch als ein großes Miteinander, wie ich es in meiner Kirchengemeinde in Berlin erlebt habe. Diese Erfahrung prägt mich bis heute.  Es gibt viele Orte, wo man seinen Glauben leben kann. Ich bin zum Beispiel in St. Agnes in Köln in der Firmvorbereitung engagiert und erlebe, dass auch wir zusammen mit den anderen Katechetinnen und Katecheten und den Jugendlichen eine Form von Kirche sind. Vielleicht nicht so klassisch organisiert, wie man sich das vorstellt. Aber das ist das, woraus sich mein Glauben speist und wo ich Kirche lebendig erlebe. Das möchte ich nicht missen.

„Kirche ist die Gemeinschaft vor Ort“

Peri Terbuyken, 52 Jahre alt

Kirche ist grundsätzlich meine Heimat. Ich bin katholisch sozialisiert mit allem, was dazugehört, und war schon Messdienerin, als „Rom“ das für Mädchen noch nicht genehmigt hatte. Mein Glück war, dass ich immer in aufgeschlossenen, offenen Gemeinden gelebt habe. Ich bin in Düsseldorf aufgewachsen und habe in Köln, Leuven und Jerusalem Judaistik studiert. Überall habe ich Gemeinden erlebt, in denen keine Mauern errichtet wurden, sondern vorgelebt wurde, wie alle Menschen eingebunden werden können, unabhängig von Religion, Geldbeutel oder sexueller Orientierung (zu Beginn der 1990er-Jahren!).

Solche Erfahrungen prägen mich bis heute. Genau dieses bunte Mosaik von Menschen, die im Namen Jesu zusammen etwas bewirken wollen, macht Kirche für mich wichtig. Die Gemeinschaft an der Basis, die unzähligen Mitwirkenden, die die Gemeinschaft vor Ort lebendig halten. 

Das gilt für Porz genauso wie für „exotische“ Regionen wie Tansania oder Lateinamerika. Denn weltweit tun Mitglieder der Kirche unglaublich viel Gutes. Bisher habe ich überall Menschen getroffen, mit denen ich auf der Basis unseres gemeinsamen Glaubens über Dinge reden konnte, die mir am Herzen liegen, für die der Mitmensch im Mittelpunkt steht, die Ressourcen gerechter verteilen und Benachteiligten eine faire Zukunftsperspektive aufzeigen wollen. Auch andere Gruppierungen kümmern sich um Randgruppen – das ist selbstverständlich kein katholisches Alleinstellungsmerkmal. Aber ich bringe mich eben hier ein – wie gesagt: es ist meine Heimat.

„Persönlich fühle ich mich nicht benachteiligt“

Vor 60 Jahren hätte das vielleicht anders ausgesehen. Die Möglichkeiten zur Mitgestaltung, die das Zweite Vatikanische Konzil den Laien allgemein und damit auch uns Frauen gibt, sind weitreichend. Ich finde es traurig, dass einiges immer noch nicht umgesetzt wird. Und ich habe Verständnis, dass Frauen, die sich zum Priesteramt berufen fühlen, in der katholischen Kirche etwas Gravierendes fehlt.

Persönlich fühle ich mich jedoch nicht benachteiligt. Bis auf das Weihesakrament habe ich als Frau zu allem anderen Zugang. Ich kann in meiner Gemeinde Projekte auf den Weg bringen; ich kann Themen anstoßen, die mir wichtig sind. In all den Jahren habe ich noch nie erlebt, dass mir Steine in den Weg gelegt wurden, weil ich eine Frau bin. Bei entsprechender Qualifikation könnte ich sogar Hauptabteilungsleiterin im Generalvikariat werden; die Kirchenverwaltung, bei der es oft um Geld und damit um Macht geht, ist keine reine Männerbastion mehr.

Die Amtskirche hat einen miserablen Ruf, und ich kann verstehen, dass man der Kirche den Rücken kehrt, wenn man zu viel Frust oder vielleicht noch schlimmere Dinge erlebt hat. Warum dauerte es Jahrzehnte, bis endlich jemand wie der Jesuit Klaus Mertes Licht in den „Brüder-Nebel“ bringt? Wie wurde Hans Küng wegen seiner vermeintlichen „Irrtümer“ mitgespielt, oder was hätte der Erzbischof von San Salvador, Oscar Romero mit seiner zutiefst christlichen „Option für die Armen“ noch alles bewirken können, wenn nicht seine Ermordung aus Furcht vor kommunistischer Unterwanderung in Kauf genommen worden wäre. Ja, es stört mich einiges, aber es überwiegt die Hoffnung, dass der Geist uns auf einen besseren Weg führt: Dem polnischen Papst folgte eine Dekade später „el papa latinoamericano“, der das Martyrium Oscar Romeros (an-)erkannte.

Ich kann die Dinge nur von innen, in meiner unmittelbaren Umgebung verändern. Jeder einzelne von uns trägt als Mosaikstein zu unserer kirchlichen Gemeinschaft bei. Das ist mir wichtiger, als das Priesteramt anzustreben. Aber Veränderungen sind nicht unmöglich – vielleicht erleben wir immerhin noch den Diakonat der Frau.

„Es muss möglich sein, Dinge zu hinterfragen“

Majella Lenzen, 83 Jahre alt

Ich komme aus einem streng religiösen Elternhaus und bin mit knapp 15 Jahren in einen Missionsorden eingetreten. 40 Jahre später habe ich die Gemeinschaft auf eigenen Wunsch verlassen. Mir ist diese Entscheidung sehr schwergefallen, denn mein Weg zu Gott ging über den Orden. Doch wäre ich geblieben, wäre ich an den starren Strukturen des Ordenslebens zerbrochen.

Schon mein Vater wollte Missionar werden, entschied sich aus familiären Gründen jedoch für einen anderen Weg. Zwei seiner Cousinen waren Missionsschwestern in Afrika, und auch ich wollte den „Weg der Vollkommenheit“ gehen, wie es in der Schrift von Teresa von Avila heißt. Ich träumte von Afrika, vom Kilimandscharo, ohne genau zu wissen, wo der überhaupt liegt. Die ersten Jahre meines Lebens hatte ich zudem in der Diaspora, im protestantischen Lüneburg verbracht, und auch das hatte mich in meinem Glauben bestärkt. Im Ort lebten mit uns nur zwei katholische Familien. Am Sonntag mussten wir zwei Stunden zu Fuß zur Heiligen Messe gehen, und mein Vater erteilte meinem Bruder und mir privaten Religionsunterricht, weil es vor Ort keinen katholischen Religionslehrer gab.

Nachdem ich meine ersten Gelübde abgelegt hatte, wurde ich im Januar 1960 nach Kenia geschickt und am European Hospital in Nairobi zur Krankenschwester ausgebildet. Anschließend leitete ich 18 Jahre ein Buschkrankenhaus in Tansania. Ich wollte in der Mission Menschen helfen, ein menschenwürdiges Leben zu führen, und das tat ich mit all meiner Kraft, mit Enthusiasmus und Idealismus. 1982 wurde ich zur Provinzoberin von Simbabwe ernannt. In dieser Zeit versuchte ich, die strengen Ordensregeln zu lockern und meinen Mitschwestern mehr Eigenverantwortung zu übertragen. Doch fünf Jahre später wurde ich abgewählt. Man kann auch sagen: Ich wurde kaltgestellt, weil ich nicht unterwürfig genug war. Das wird in Kirchenkreisen nicht gern gesehen.

„Zweifel an den starren Ordensregeln“

Mir waren schon relativ früh Zweifel an den starren Ordensregeln gekommen. Sie einzuhalten, schien wichtiger zu sein als ihr Sinn. Nichts durfte hinterfragt werden, stattdessen mussten wir blind gehorchen. „Formation“ nannte man das auf Englisch. Formen, gefügig machen. Heute würde man von spirituellem Missbrauch reden. Statt die Regeln infrage zu stellen, suchte ich den Fehler zunächst bei mir und dachte, ich sei nicht gut, nicht vollkommen genug für das Ordensleben. Also bemühte ich mich, Gott besser zu verstehen und noch mehr zu beten, immer in der Hoffnung, mich irgendwann auch besser zu fühlen und Antworten auf meine Fragen zu bekommen. Doch im Laufe der Jahre wuchs mein Selbstbewusstsein, und ich tat mehr das, was ich für richtig hielt. Auch wenn es vielleicht nicht regelkonform war. Ich wollte auf meine Art langfristig etwas bewirken und glaubte, Gott sei auf meiner Seite.

Irgendwann ging es nicht mehr. Alle meine Neuerungen, die ich  eingeführt hatte, waren rückgängig gemacht worden, und die Diskrepanz zwischen den Regeln, die ich einzuhalten hatte, und dem, was ich für richtig erachtete, machte mich krank. 1995 verließ ich den Orden, nachdem mir vorgeworfen worden war, dass ich Kondome an Prostituierte verteilt hatte.

Dennoch habe ich nie an Gott und meinem Glauben gezweifelt. Ich bin nach wie vor tiefgläubige Christin. Aber es muss möglich sein, Dinge zu hinterfragen und eigenverantwortlich Entscheidungen zum Wohle aller zu treffen. Die katholische Kirche ist immer noch davon überzeugt, dass sie die Wahrheit gepachtet hat und dass nur sie das Recht hat zu sagen, wo es langgeht – auch im Orden. Nur funktioniert das heute nicht mehr. Dafür sind wir zu weit in der Weltgeschichte. Die Kirche muss sich dringend erneuern, wenn sie Bestand haben will, und dafür braucht sie uns Frauen. Die Männer schaffen das nicht mehr. Mein Traum wäre, dass wir gemeinsam an einer solchen Erneuerung arbeiteten. Frauen und Männer. Denn wir Frauen wären ganz bestimmt nicht so dumm, 50 Prozent der Menschen außen vor zu lassen.

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