Ohne Maske, ohne Abstand„Wir Erzieherinnen sind auch nicht resistent gegen Corona“

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In der Kita ist Abstand halten nicht möglich.

Köln – Wenn wir in den Bus steigen, den Supermarkt betreten oder in den Betrieb kommen, geht der erste Griff zu den beiden kleinen Henkeln. Maske an. Und dann: Abstand halten, möglichst wenig Kontakt zu anderen Menschen. Wenn Saskia Mock auf der Arbeit angekommen ist, zieht sie die Maske erstmal vom Gesicht. Und das obwohl sie den ganzen Tag eng mit anderen Menschen zusammen ist, ganz nah bei ihnen sitzt, sie umarmt und ihre Tränen trocknet. Saskia Mock ist Erzieherin. Damit gehört die 30-Jährige zu der Berufsgruppe in Deutschland, die den engsten Kontakt mit anderen Menschen pflegt – und das ohne sich mit Maske, Handschuhen oder Kittel schützen zu können. „Ich fühle mich in dieser Pandemie völlig im Stich gelassen. Da kann Herr Stamp uns noch so oft als Heldinnen bezeichnen – wir Erzieherinnen und Erzieher sind auch nicht resistent gegen Corona. In unserem Beruf kann man sich nicht richtig schützen.“

Saskia Mock leitet die Evangelische Kindertagesstätte Arche in Bornheim-Sechtem. 30 Kinder zwischen 1 und 6 Jahren finden hier in zwei Gruppen Platz. Zur Hälfte ist Mock für die organisatorischen Tätigkeiten freigestellt, die restliche Zeit unterstützt sie in den Gruppen als Erzieherin. Was Mock und ihre Kolleginnen derzeit am meisten aufregt: „Überall liest man: Die Schulen und Kitas sind geschlossen. Das stimmt aber nicht. Wir haben doch die ganze Zeit geöffnet!“ Es gebe lediglich den Appell, die Kinder nicht zu bringen. Und die Anzahl der zu betreuenden Kinder wachse von Woche zu Woche.

Saskia Mock

Erzieherin Saskia Mock

„Und wenn die Kinder einmal da sind, gehen wir ganz normal mit ihnen um, so als gäbe es kein Corona: Wir nehmen sie auf den Arm und trösten sie, wir setzen uns ganz dicht neben sie, wir wickeln sie und wenn wir Pech haben niest uns ein Kind mitten ins Gesicht“, beschreibt Mock ihren Arbeitsalltag. „Aber wir würden niemals zu einem Kind sagen: Du darfst mir nicht zu nahe kommen.“

So viel Normalität wie möglich

Gerade zurzeit würden die Kinder besonders viel Nähe und Sicherheit suchen, sagt Mock. „Vermutlich weil sie von der ganzen Situation verunsichert sind. Und wir versuchen natürlich das aufzufangen.“ Deswegen wollen sie den Kindern mit einer gewohnten Tagesstruktur so viel Normalität wie möglich bieten. Und doch gibt es diese Einschränkungen: Keine Selbstbedienung beim Mittagessen, kein wildes Drauflos-Singen, keine Treffen mit den Kindern der anderen Gruppe.

Um die Kontakte auch bei den Kleinsten möglichst gering zu halten, trennt ein großer Rollschrank auf dem Flur nun die beiden Gruppenräume voneinander. Trotzdem stehen die Kinder manchmal an der Absperrung und freuen sich, wenn sie auf der anderen Seite ihre Freunde sehen, erzählt Mock. „Man sieht den Kindern dann richtig an, dass sie wissen, dass sie dabei etwas Verbotenes tun. Natürlich sollen die Kinder da nicht stehen, aber man will ja auch nicht alles so schlecht machen.“ Corona sei wie eine dunkle Wolke, die über ihnen schwebe und die Stimmung immer weiter nach unten drücke, sagt Mock. Auch bei ihr und ihren Kolleginnen. Natürlich hätten alle Sorgen, sich anzustecken. „Auf einer Skala von eins bis zehn, liegt meine Angst bei sechs oder sieben“, sagt Mock. „Aber bei einigen Kolleginnen ist die Angst deutlich größer.“ Zu Recht?  

Erzieher erkranken am häufigsten an Covid-19

Mehrere Studien von Krankenkassen legen nahe, dass Erzieherinnen und Erzieher zu der Berufsgruppe gehören, die am häufigsten an Covid-19 erkrankt – noch vor Pflegern und anderem medizinischen Personal. Der Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK) veröffentlichte vor einigen Tagen eine Auswertung: Laut dieser meldeten sich zwischen März und November 162 von 10.000 Kita-Angestellten wegen Corona krank. Bei den Beschäftigten in Alten- und Behindertenheimen waren es 146, gefolgt von Pflegeheimen mit 144 Krankmeldungen.

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Gerade zurzeit würden die Kinder Nähe suchen, erzählt eine Erzieherin.

Zum Vergleich: Der Durchschnitt aller Berufsgruppen lag bei 74 Krankmeldungen auf 10.000 Beschäftigte. Allerdings veränderten sich die Zahlen im Dezember – in dem Monat lagen Altenpfleger und -pflegerinnen sowie medizinisches Personal im Krankenhaus an erster Stelle. Diese Entwicklungen führt die BKK auf den Lockdown und seinen eingeschränkten Betrieb in Kitas zurück (in anderen Bundesländern sind die Kitas nämlich wie im Frühjahr nur für die Notbetreuung geöffnet).

Kitas sind keine Pandemietreiber

Gleichzeitig weisen die Forschungsergebnisse der Corona-Kitastudie im Auftrag der Bundesregierung jedoch darauf hin, dass Kitas keine Pandemietreiber seien, erklärte kürzlich eine der Studienleiterinnen im „Spiegel“-Interview. Infektionen könnten in Kitas weitergegeben werden, sagte Susanne Kuger, die jungen Kinder seien jedoch eher nicht diejenigen, die das Virus verbreiteten. Und weiter: „Wenn ein Ausbruch stattfindet, dann sind fast immer die Erwachsenen beteiligt. Die Virusweitergabe innerhalb der Familien und bei Fachkräften spielen also bei den nachgewiesenen Infektionen eine wichtige Rolle.“

Die britische Corona-Mutation, die auch in mehreren Kölner Kitas zu größeren Ausbrüchen geführt hat, und offenbar in allen Altersgruppen deutlich ansteckender ist, bereitet jedoch Erziehern und Wissenschaftlern große Sorge. Auch vor dem Hintergrund empfiehlt Susanne Kuger im „Spiegel“-Interview, den Fachkräften die präventiven Maßnahmen noch präziser umzusetzen und möglichst „kontinuierlich mit einem Mund-Nasen-Schutz“ zu arbeiten.

Maske ist aus pädagogischer Sicht schwierig

Gerade das findet Saskia Mock aus pädagogischer Sicht jedoch schwierig. „Uns Erwachsenen fällt es ja in Gesprächen mit Maske oft schon schwer, die Befindlichkeiten des anderen einzuordnen – und für Kinder ist das nochmal ungemein schwieriger. Die müssen die Mimik wahrnehmen, die Mundbewegungen sehen. Deswegen haben wir uns im Team dafür entschieden, im Kontakt mit den Kindern keine Masken zu tragen.“ Im Kontakt mit den Kolleginnen und den Eltern tragen die Erzieherinnen aber kontinuierlich die Maske. Einige Kolleginnen würden aber mittlerweile auch in der Gruppe zur Maske greifen. „Ihre persönliche Angst sich anzustecken ist mittlerweile so groß, dass sie ihren eigenen Schutz vor die Pädagogik stellen.“

Karin Schmitz

Erzieherin Karin Schmitz

Vor einem ähnlichen Problem steht auch Karin Schmitz, stellvertretende Leiterin des „Fröbel Kindergartens An St. Peter“ in Köln-Ehrenfeld und Erzieherin in einer Gruppe von Unter-Dreijährigen. „Wenn ich die Einjährigen an der Tür in Empfang nehme und noch meine Maske trage, sind die völlig irritiert. Erst, wenn ich die Maske herunterziehe, strahlen die Kinder mich an, weil sie mich erkannt haben“, erzählt Schmitz. Im Kontakt mit den Kindern könne sie einfach keine Maske tragen. „Die Kleinen lernen ja gerade erst zu sprechen, sie können mich nicht verstehen, wenn sie meine Mundbewegungen und meine Mimik nicht sehen.“

Angst, die Krankheit mit nach Hause zu bringen

Dabei wäre es vor allem für eine Erzieherin wie Karin Schmitz wichtig, sich besser schützen zu können. Sie ist 58 Jahre alt und leidet unter verschiedenen Allergien. „Ich weiß, wenn ich mich anstecken würde, dann hätte ich keinen einfachen Verlauf.“ Zudem hat sie Sorge, die Krankheit mit nach Hause zu bringen: Ihr Mann ist herzkrank. „Wenn ich abends zur Tür rein komme, dann wasche und desinfiziere ich erstmal gründlich meine Hände und wechsele meine komplette Kleidung.“ Corona sei bei ihnen zu Hause jeden Abend Thema, ihr Mann mache sich Sorgen um sie, aber auch um sich selbst. Trotzdem sagt Karin Schmitz, dass sie wegen Corona nicht aufhören wolle zu arbeiten. „Ich liebe meinen Beruf und kann auch gar nicht ohne.“ Die Sorge vor einer möglichen Ansteckung verdrängt sie deswegen tagsüber. „Sonst könnte ich auch gar nicht arbeiten.“

Überhaupt sei die Stimmung bei ihnen im Team gut, sagen Schmitz und ihre Kollegin Natalie Pommerich (25). Träger und Leitung unterstützten sie sehr gut. „Ich telefoniere fast jeden Abend mit einer Kollegin aus einer anderen Gruppe“, sagt Pommerich. „Das nimmt einen Großteil der Angst.“ Die Fröbel-Kita ist mit sechs Gruppen, 32 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und insgesamt 112 Kindern recht groß. Das Haupthaus erstreckt sich über mehrere Stockwerke, die U3-Gruppen mit 24 Kindern sind in einem anderen Gebäude untergebracht.

Kinder sind wieder in festen Gruppen

Das offene Konzept, bei dem die Kinder frei zwischen den drei Ebenen wählen können und sich je nach Bedürfnis einen Raum aussuchen, ist seit März aufgehoben; die Kinder sind nun gemeinsam mit ihren Stamm-Erziehern in festen Gruppen. Auch Projekte wie die Wald- oder die Forschergruppe sowie Feste, Flohmärkte und Elterncafés sind seit Corona gestrichen. Sonst habe sich nicht viel verändert, sagen Schmitz und Pommerich.

Natalie Pommerich

Erzieherin Natalie Pommerich

Bis auf die Masken in den Ü3-Gruppen natürlich. Bei den älteren Kindern tragen die Erzieherinnen seit Beginn der Pandemie Maske, kurz vor Weihnachten wechselten sie auf die besser schützenden FFP2-Masken. Pommerich, die in einer der älteren Gruppen arbeitet, hat nicht den Eindruck, dass das die Kinder verunsichere. „Die Kinder haben diesen Prozess ja mit uns durchgemacht. Wir thematisieren das auch immer wieder, gerade sprechen wir zum Beispiel viel darüber, warum wir statt der schönen, bunten Masken nun diese weißen tragen“, sagt Pommerich und zupft im Video zur Veranschaulichung an ihrer FFP2-Maske. Trotzdem setze sie die Maske im Alltag auch immer mal wieder ab. „Wenn ein Kind mir sagt, dass es die Maske nicht schön findet, oder es weint, dann ziehe ich sie aus.“ Ihre Mittagspause verbringt Pommerich nun besonders gerne draußen an der frischen Luft. 

Wunsch nach früherer Impfung

Zwei Mitarbeiter waren bisher in der Fröbel-Kita erkrankt, sowohl Pommerich als auch Schmitz waren deswegen im Dezember je zwei Wochen in Quarantäne. Seitdem hielten sich alle noch strikter an die Hygiene-Maßnahmen und fühlten sich dadurch eigentlich auch sicher. Trotzdem wünschen Pommerich und Schmitz sich, dass ihre Berufsgruppe früher geimpft wird. Bisher sollen Erzieherinnen mit der dritten Gruppe geimpft werden – also erst nach dem medizinischen und dem Pflege-Personal. „Wir arbeiten schließlich sehr nah am Menschen und ich glaube, viele würden sich weniger Sorgen machen, wenn sie geimpft wären“, sagt Pommerich. Ob sie sich direkt impfen lassen würde? Ja, antworten Pommerich und Schmitz wie aus der Pistole geschossen. „Da muss ich gar nicht drüber nachdenken“, sagt Karin Schmitz.

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Außerdem wünschen sich beide mehr gesellschaftliche Anerkennung. „Wir galten lange als die Basteltanten und Kaffeetrinkerinnen“, sagt Natalie Pommerich, „aber in dieser Pandemie haben wir ja wohl bewiesen, dass wir das nicht sind. Wir arbeiten hier die ganze Zeit unter erschwerten Bedingungen durch.“ Karin Schmitz stört sich vor allem daran, dass Erzieherinnen lange überhaupt nicht im Fokus waren. „Wir waren immer nur das Anhängsel der Lehrerinnen und Lehrer.“ Dabei brauche es klare Konzepte – speziell für Kitas. Die wünscht sich auch Saskia Mock.

Druck von allen Seiten

„Wie sollen wir zum Beispiel mit kranken Kindern umgehen?“, fragt sich die Kita-Leiterin aus Sechtem. Bisher lautet die Regel: Kranke Kinder werden nach Hause geschickt, dort 24 Stunden beobachtet und dürfen wiederkommen, wenn es ihnen nicht schlechter geht. „Wer sagt mir, dass diese Kinder kein Corona haben? Warum können wir in Kitas nicht mehr testen? Welche Kinder dürfen überhaupt kommen?“ Sie fühlt sich von allen Seiten unter Druck gesetzt: Von ihrem eigenen Anspruch, die Kinder bestmöglich zu betreuen – und auch diejenigen im Blick zu haben, die zurzeit zu Hause sind. Von dem Wunsch, ihre Mitarbeiterinnen bestmöglich vor einer Infektion zu schützen. Von den Eltern, die total gestresst sind. „Manchmal habe ich den Eindruck: Die Politiker machen schöne Versprechungen, wollen sich aber eigentlich nur für den Wahlkampf profilieren. In Wirklichkeit machen sie aber keine klaren Ansagen und wälzen die Verantwortung auf uns ab. Das geht so nicht weiter.“

Was Mock, Schmitz und Pommerich in dieser schwierigen Zeit trotz allem durchhalten lässt? Ihr Job. Diese Kita-Blase, in der die Erzieherinnen den Kindern eine normale Welt vorleben – und somit letztlich auch sich selbst beruhigen. „Der Kita-Alltag ist wie so eine kleine Auszeit von der verrückten Corona-Pandemie da draußen“, sagt Natalie Pommerich. „Die Kinder sind so lebensfroh, dass ich jeden Abend mit einem guten Gefühl nach Hause gehe.“

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