Stoltenberg-NachfolgeSteht der „Trump-Flüsterer“ bald an der Nato-Spitze?

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Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (.) spricht mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (.) spricht mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte.

Favorit mit Zwei-Prozent-Makel: Der Niederländer Mark Rutte gilt als Favorit für die Nachfolge von Jens Stoltenberg.

Bei der Nato gilt seit jeher eine ungeschriebene Regel bei der Besetzung des Spitzenpostens: Alle Kandidaten, über die zuerst spekuliert wird, schaffen es am Ende nicht auf die Position des Generalsekretärs. Würde man dieser Logik folgen, wird Mark Rutte definitiv nicht die Nachfolge von Jens Stoltenberg antreten. Denn der Name des scheidenden niederländischen Premierministers steht seit Monaten auf Platz eins der Liste der potenziellen Bewerber. Vielleicht kommt es dieses Mal aber auch ganz anders. Der Prozess zieht sich nämlich bereits so lange hin, dass die Verzweiflung groß scheint, zumal die Partner einstimmig entscheiden müssen.

Einige Mitgliedstaaten haben sich schon jetzt hinter Rutte gestellt. So ließen nicht nur Großbritannien, Frankreich und Deutschland über Vertraute ihre Unterstützung für den Niederländer bekunden. Auch die US-Amerikaner sprachen sich für ihn aus. Und sie geben schlussendlich den Ausschlag.

Nato-Generalsekretär: Komplizierter Weg bis zur Wahl

In Brüssel wird gerne gelästert, das Prozedere zur Bestimmung eines Nato-Generalsekretärs lasse die Wahl eines neuen Papstes wie den Inbegriff von Transparenz erscheinen. Tatsächlich wird viel geschachert und gedealt. Immerhin handelt es sich bei der Rolle um einen politischen Job, mehr Sekretär als General. Während die USA traditionell den Oberbefehlshaber der Nato, den sogenannten Saceur, stellen, pochen die EU-Länder darauf, dass der nächste Generalsekretär wieder aus dem Club der 27 kommt. Rutte, der seit fast 14 Jahren niederländischer Ministerpräsident ist, erfüllt aber nicht nur dieses Kriterium. So wurde er von den Amerikanern für sein „tiefes Verständnis für die Bedeutung des Bündnisses„ gelobt. Außerdem sei er eine natürliche Führungspersönlichkeit und ein guter Kommunikator. Als solcher schwirrt der 57-Jährige seit Wochen aus, als sei er auf Kampagnentour.

Erst kürzlich forderte Rutte auf der Münchner Sicherheitskonferenz, ganz auf Nato-Linie, die Europäer müssten mehr in ihre Verteidigung investieren. Man solle dies aber nicht wegen einer möglichen Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus machen, „sondern weil es in unserem Interesse ist“. Das klang allein deshalb bemerkenswert, weil die Niederlande in Ruttes Amtszeit das Zwei-Prozent-Ziel stets verfehlten. Es sieht vor, dass die Bündnismitglieder mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung stecken. Die jahrelange Nicht-Erfüllung ist der größte Makel in seiner Bewerbung und könnte insbesondere Trump aufstoßen, sollte dieser abermals zum US-Präsidenten ernannt werden. Der betrachtet die Europäer als Schmarotzer in Sachen Militär und die Frage ist, ob er sich noch an sein Urteil von vor sechs Jahren erinnert. Damals verdiente sich Rutte den Spitznamen „der Trump-Flüsterer“, nachdem er ein angespanntes Treffen der Staats- und Regierungschefs des Bündnisses gerettet und einen tobenden Trump „zur Vernunft gebracht“ hatte, wie es im Anschluss hieß. Der damalige US-Präsident hatte sich einmal wieder über die Knausrigkeit anderer Länder beschwert. Mittlerweile herrscht bei der Verteidigungsallianz zwar Einigkeit darüber, dass Europa mehr investieren muss, egal ob der Demokrat Joe Biden in Washington die Geschäfte leitet oder der Republikaner Trump. Trotzdem werden die Streitigkeiten beim Thema Geld zu den Herausforderungen gehören, die der künftige Generalsekretär zu lösen hat.

Dass es derweil wieder auf eine Notlösung namens Jens Stoltenberg hinausläuft, ist unwahrscheinlich. Der Norweger geht nun wirklich, nachdem er bereits zwei Mal aus Mangel an Kandidaten und auf Wunsch der US-Amerikaner verlängert hat. Eigentlich wollte er schon 2022 aufhören. Neuerdings wird hinter den Kulissen auch der rumänische Präsident Klaus Johannis als Überraschungskandidat gehandelt. Nur, braucht die Nato nach 75 Jahren nicht einmal eine Frau an der Spitze? Vor einem Jahr galt die Ministerpräsidentin Estlands Kaja Kallas als aussichtsreiche Bewerberin, die auf der jüngsten Fahndungsliste des Kreml steht. Aber die 46-jährige hat den Ruf einer Falkin, die schärfere Worte gegen Russland wählt als viele andere im Bündnis. Diese Botschaft wollen nicht alle Verbündeten aussenden. Im Gegenteil. Stoltenberg wird häufig für sein Geschick gepriesen, das Bündnis auf eine gemeinsame Linie zu bringen und Konsens auszuloten. Insbesondere nach der Vollinvasion Russlands in die Ukraine, als die Nato eine Art Wiedergeburt erlebte, profilierte sich der Norweger mit seiner Unaufgeregtheit als Vermittler. Das müsste, würden die Nato-Partner ihre alte Regel denn brechen, bald Mark Rutte übernehmen. Pünktlich zum Jubiläumsgipfel im Juli in Washington, wenn die Allianz ihr 75-jähriges Bestehen feiert, soll die Nachfolge offiziell bekanntgegeben werden.

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