Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Dopingproblem im Kugelstoßen - Mindestens sieben dubiose Athleten

Lesezeit 3 Minuten

Irina Korschanenko, Russland

Olympia - Als bei einer beeindruckenden Zeremonie der Beifall der 15.000 Zuschauer über den Ölbaumzweig-bekränzten Häuptern der 16 Kugelstoßer niederging, war dies der emotionale Höhepunkt der ersten Wettkämpfe seit 1611 Jahren an der Geburtsstätte von Olympia. Doch Indizien sprechen dafür, dass in der Hälfte aller geehrten Köpfe "fauler Lorbeer" schmückte.

"Nadine Kleinert hat hier Bronze gewonnen. Aber wir müssen ernsthaft überlegen, ob Kugelstoßen unter diesen Bedingungen für uns noch Sinn macht. Denn der Leichtathletik-Weltverband IAAF hat durch fehlende Trainingskontrollen im Bereich der früheren Sowjetunion in der doping-intensiven Phase von Mai bis August wieder viele dubiose Athleten bei Olympia geduldet", sagt Dieter Kollark, mit neun Goldmedaillen (Diskus/Kugel) binnen zehn Jahren bei Olympia und WM einer der erfolgreichsten Trainer des deutschen Sports.

Die mit 22 Medaillen bei 15 Olympischen Spielen in Serie erfolgreichste Disziplin steht am Scheideweg. "Ich will Astrid Kumbernuss überreden, dass sie noch zwei Jahre mit mir gegen die Russen kämpft", meinte Nadine Kleinert nach ihrem Bronze-Stoß. Doch die 34 Jahre alte Neubrandenburgerin, die nach ihrem Patellasehnenanriss seit Ende Mai schon auf verlorenem Posten kämpfte, schüttelt das Haupt, ohne schon jetzt den Abschied zu verkünden.

"Wir müssen in den nächsten Tagen alles besprechen. Fest steht: Eine Astrid Kumbernuss auf dem früheren Niveau wird es nicht mehr geben. Sie muss jetzt ihre berufliche Zukunft sichern", sagt Kollark, der außer der bei Klaus Schneider trainierenden Nadine Kleinert, groß und schlank wie Kumbernuss, keine "deutsche Bastion" mehr im Kampf gegen die kleinen, muskelbepackten Frauen Osteuropas sieht.

Kollark klagt die IAAF an, und meint damit auch die internationale Anti-Doping-Agentur Wada: "Die Dopingstatistik 2003 weist über 1000 deutsche Trainingskontrollen aus, aber nur 43 in Russland, 17 in Weißrussland und zwei in der Ukraine." Aktuelle Zahlen aus dem Vorfeld Olympias liegen noch nicht vor.

Von den drei männlichen Finalisten aus der weitgehend "kontrollfreien Zone" tauchte nur Olympiasieger Juri Belonog (Ukraine) bei einem Wettkampf außerhalb des Terrains der früheren Sowjetunion auf: Er wurde am 5. Juni im polnischen Bydgoscz Europacupsieger mit 20,84 m, nachdem er eine Woche zuvor in Moskau 20,88 m gestoßen hatte. Anschließend wurde er in einer Phase, in der entscheidend die Leistung "gemacht" wird, nicht mehr gesichtet. Der Olympiafünfte Andrej Michnewitsch, vor seinem WM-Titel 2003 schon einmal positiv getestet, und der Sechstplatzierte Juri Below (beide Weißrussland) haben mit 21,33 bzw. 21,03 m nur am 31. Juli in Minsk ein Wettkampf-Resultat über dem Niveau der Leistung zu verzeichnen, die in Olympia für das Finale (20,26 m) nötig war.

Bei den Frauen taucht Olympiasiegerin Irina Korschanenko, als Siegerin der Hallen-WM 1999 gedopt, nur am 5. Juni (20,42 m) und 24. Juli (20,79) in Tula mit einer Weite von über 19 m in der Wettkampf-Statistik auf. Weltmeisterin Swetlana Kriweljowa (ebenfalls Russland), mit 19,49 m medaillenlose Vierte, stieß ebenfalls nur am 24. Juli in Tula (20,69) und 8. Juli in Kasan (20,49) eine nennenswerte Weite. Ähnliches gilt für die Weißrussinnen.

Bei Olympia haben die Kugelstoßer indes eine "Tradition" fortgesetzt: Mindestens einer der zwei Sieger (Männer/Frauen) bei den vier letzten Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen war schon doping-positiv. Bei der WM 1997 Aleksandr Bagatsch (Ukraine), 1999 C. J. Hunter (USA), 2001 Janina Koroltschik, 2003 Andrej Michnewitsch (beide Weißrussland) und bei Olympia 1992 Mike Stulce, 1996 Randy Barnes (beide USA), 2000 Janina Koroltschik (Weißrussland) und nun Korschanenko. (sid)